Freinsheim. "Backe-backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen“ heißt ein Kinderlied, das wirklich fast jeder kennt. Was kaum einer weiß: Das Lied beschreibt eine alte Tradition. Früher, im Mittelalter, blies der Bäcker in sein Horn und rief die Dorf- oder Stadtgemeinschaft am Backhaus zusammen. Er signalisierte den Menschen, dass sie nun ihre eigenen Teiglinge im Feuer des Holzofens backen konnten. Den eigenen Teig kneten und selbst backen - diese Tradition haben die Freinsheimer wiederbelebt. An der historischen Stadtmauer hat eine Bürgerinitiative ein Vereinsbackhaus gebaut. Einmal im Monat kommen die Menschen am Backhaus „An der Bach“ zusammen - um wie früher gemeinsam ihren mitgebrachten Teig zu backen. Und als Gemeinschaft zusammen zu wachsen.
Es ist der dritte Samstag im Monat. Ulrich Reimer wirft einen prüfenden Blick in den Schamott-Ofen und nickt. Das Feuer prasselt, ein Schwall Hitze dringt ins Freie, umhüllt ihn. Wie der Geruch nach verbranntem Holz. 300 Grad zeigt das Thermometer oberhalb der Ofenklappe an. Seine Frau Verena Rappaport kommt mit einer Backform auf ihn zu, stellt sie auf einen Tisch neben dem Holzofen. Behutsam lüftet sie das Geschirrtuch, das auf dem Teigling ruht.
Ein Ort der Begegnung
Gleich wird die Form in den Ofen wandern, unter Gelächter. So, wie Verena Rappaport sich das vor fünf Jahren vorgestellt hat. 2018, als die Freinsheimer sich Gedanken über neue Projekte für ihren Ort machten und sich eine Idee herauskristallisierte, die auch ihre war: ein eigenes Backhaus für die Gemeinde. Ein Ort der Begegnung, an dem es nach Holz und frischem Brot riechen sollte. An dem Kinder etwas über Brot lernen -und Erwachsene, wie man den Teig richtig ansetzt. Rappaport und ihr Ehemann gründeten mit ihren Mitstreitern einen Verein und suchten ein Grundstück für das Backhaus. Sie mussten nicht lange suchen. Das Ehepaar schlug den eigenen Schrebergarten vor, den sie von einem Freinsheimer Winzer an der südlichen Stadtmauer gepachtet hatten. Der stimmte zu, stellte es dem Verein zur Verfügung und seine Mitglieder stampften das Freinsheimer Backhaus aus dem Boden. Übrigens das erste im Ort überhaupt.
Backhaus Freinsheim
- Das Freinsheimer Backhaus wurde auf eine Bürgerinitiative hin errichtet, aus der ein gemeinnütziger Verein hervorgegangen ist, der einen neuen Begegnungsort für die Gemeinde errichten wollte. Außerdem finden dort Backkurse statt, Veranstaltungen mit Kindergärten und Schulen sind geplant.
- Das Projekt wurde im Rahmen des Entwicklungsprogramms EULLE von der EU und dem rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministerium gefördert.
- Immer am dritten Samstag im Monat bietet der Verein ein „öffentliches Backen“ an. Teilnehmende bringen dabei ihren eigenen Teig mit, der im Holzofen des Vereins gebacken wird. Die Veranstaltung steht nicht nur Freinsheimern, sondern allen Interessierten offen.
- Der nächste Termin für das öffentliche Backen ist der 21. Mai. Anmeldungen sind unter https://backhaus-freinsheim.de/anmelden/ möglich.
- Weitere Infos zum Freinsheimer Backhaus unter: https://backhaus-freinsheim.de/
„Freinsheim hatte ursprünglich gar kein Backhaus“, sagt Reimer, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins kümmert. Anders als einige Nachbardörfer. Und viele Gemeinden deutschlandweit. „Früher war es gang und gäbe, sein eigenes Brot im Ofen des ansässigen Bäckers backen zu lassen“, sagt Felix Rommel von der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim. Weil die Menschen zu Hause keinen geeigneten Ofen hatten, trafen sie sich am örtlichen Backhaus.
Am 13. April 2019 feierten die Freinsheimer die Eröffnung ihres Backhauses mit einem großen Fest. Inzwischen hat der Verein über achtzig Mitglieder aus dem Dorf, dem Umland und sogar im Ausland. Denn: „Mitmachen kann jeder -auch beim öffentlichen Backen“, sagt Reimer. Weil zum Backhaus eine echte Bäckerin gehört, ging Verena Rappaport in die Bäckerprüfung. Auch weil der Verein entsprechende Expertise vorweisen musste, um seine Arbeit aufzunehmen. Weil sie über 45 ist, musste Rappaport nicht mehr in die Lehre, sie legte eine „Sonderprüfung“ ab.
Guter Sauerteig als Grundlage
„Ich habe schon immer gern Brot gebacken“, sagt Verena Rappaport. Das Backhaus hat viel für die 58-Jährige verändert. Nach der Prüfung kündigte die Biologin und Agrarwissenschaftlerin ihren Job in der Industrie und richtete eine kleine Backstube ein, nur wenige Meter vom Backhaus entfernt. Um wie früher zu backen, mit wenigen Zutaten und vielen Handgriffen.
„Ein gutes Brot braucht nicht viel“, sagt der Weinheimer Brot-Experte Rommel. Mehl, Salz und Wasser. Einen guten Sauerteig, der ein bis zwei Wochen zuvor angesetzt wird. Während der Pandemie avancierten viele Menschen zu Hobby-Bäckern, folgten in Scharen dem Brot-Blogger Lutz Geißler. Weil sie auf einmal die Zeit übrig hatten, die ein gutes Brot braucht. „Dadurch ist ein ganz neues Bewusstsein dafür entstanden, wie viel Arbeit in einem handwerklich gut hergestellten Brot steckt“, sagt Rommel. Und wie gut es schmeckt - auch zwei, drei Tage später noch.
Sortenreiches Kulturgut
Ohnehin gilt Brot in Deutschland als Kulturgut, die Unesco hat es zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Kaum ein anderes Land hat so viele verschiedene Sorten Brot zu bieten. Ulrich Reimer greift sich einen Ascheschieber, anschließend einen Stahlbesen, räumt Glut und Asche aus. Dann wird der Ofen ausgefeudelt - feucht ausgewischt - bevor die Laibe hineinwandern. Reimer öffnet die Klappe des Ofens. Die Freinsheimer Backfreunde umkreisen ihn, außerdem Menschen, die zufällig vorbei gekommen und geblieben sind. Noch schnell das Brot einschneiden, schon schiebt Reimer es in den Ofen.
„Die Großen nach hinten, die Kleinen nach vorne - wie im richtigen Leben“, sagt Elke Lebershausen und lacht. Die Freinsheimerin ist mit ihrem Mann zum öffentlichen Backen gekommen. Beide engagieren sich im Verein. Weil sie gutes Brot mögen - und gute Gesellschaft. „Mit anderen Menschen zusammenzukommen und gemeinsam beieinander zu sitzen, darum geht es doch“, sagt Klaus Lebershausen. Vielleicht mit einer Weinschorle, ganz bestimmt aber mit einer guten Scheibe lauwarmen Brots. Holzbänke und Tische, Gläser und Dips stehen dafür schon bereit. An diesem Ort der Begegnung, an dem es nach Holz und frischem Brot riecht. Ganz so, wie es sich Verena Rappaport vor fünf Jahren gedacht hat.
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