Essen und Trinken

Lieblingsort Küche

Vom offenen Feuer zum modernen Experimentierfeld: Die offene Küche erobert seit den 1980er Jahren Deutschland. Dort wird gegessen, gestritten und gelacht.

Von 
Viola Schenz
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Museumsreif: Wohnküche und Originalkulisse der „Lindenstraße“ im Museum Wilhelmsbau in Speyer, mit Schauspielerin Marie-Luise Marjan. © dpa

Amerikaner mögen es gerne „great“, besonders beim Wohnen: großes Grundstück, großes Haus, große Zimmer, große Garage, viel Privatsphäre. Insofern verblüfft eine Studie der Universität Kalifornien in Los Angeles zu den Lebensgewohnheiten im eigenen Heim. Sie erfasste über vier Jahre die Bewegungsabläufe einzelner Familien. Ergebnis: Alle verbrachten die meiste Zeit in der Küche. Der Monitor zeigte die höchste Konzentration um den Küchentisch, dort wurde, außer gegessen, der gesamte Alltag geplant und organisiert – auch wenn die anderen Räume dafür genauso Gelegenheit boten. „Die Küche ist das logistische Zentrum des Familienalltags“, erläuterte Anthony Graesch, der Leiter der Studie, in der „New York Times“ und bestätigt damit, was Drehbuchautoren und Filmregisseure immer wussten: In der Küche tagt der Familienrat, hier wird gestritten, versöhnt, gelacht, gearbeitet, getrauert – und daher rotten sich auch in vielen TV-Serien die Protagonisten immer wieder hier zusammen. „Die Simpsons“, „Alf“, „Lindenstraße“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Two and a Half Men“ würden ohne Küche nicht funktionieren.

Bis die Küche ihren Ehrenplatz im Haus erobern konnte, war es jedoch ein langer Weg. Er begann mit einer Feuerstelle im Erdboden. Der frühzeitliche Mensch hatte entdeckt, dass gegarte Nahrung nicht nur bekömmlicher war, sondern auch besser schmeckte. Das Büffelsteak wurde gebrutzelt oder in Blättern oder Lehm in die heiße Asche gelegt. Als mit Ackerbau und Handel Siedlungen entstanden, kochte man vor dem Haus oder im Hof, starker Rauch und Brandgefahr machten offenes Feuer drinnen unmöglich. Erst ummauerte Kamine änderten das. Wer sich Gemäuer leisten konnte, zog die Feuerstelle nach drinnen und auf einen Sockel, man musste also nicht mehr bei Wind und Wetter gebückt im Eisentopf rühren. Mit Glück und Geschick funktionierte der Rauchabzug; der Qualm war höchst ungesund, aber immerhin konservierte er die Dachbalken und vertrieb Ungeziefer. Die Reichen – Adel, Ritter oder Klerus – hielten sich Rauch, Brandgefahr und Gerüche fern, indem sie alles in den Küchenflügel verbannten, weit weg von den Wohnräumen. Die armen Schichten Mitteleuropas lebten hauptsächlich von Getreidebrei; Fleisch gab es nur zu sehr besonderen Anlässen. Bis weit in die Neuzeit änderte sich wenig an diesem primitiven Verfahren, vor allem auf dem Land.

Für eine Kochrevolution brauchte es François de Cuvilliés den Älteren. Der französische Architekt prägte nicht nur das deutsche Rokoko, sondern erfand auch 1735 für die Münchner Amalienburg einen geschlossenen Herd, den Castrol-Herd (abgeleitet vom französischen „Casserole“ für Kochtopf). Der war sicherer, die lodernden Flammen im ummauerten Kasten verschwanden unter einer durchlöcherten Eisenplatte, Kochen war nicht mehr ganz so lebensgefährlich. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert strömte die Landbevölkerung in die Städte, wo die Fabriken nach Arbeitern gierten. Man pferchte sie in eigens errichtete Mietskasernen, ein Dutzend Personen pro Zimmer war keine Seltenheit. So entstand die Wohnküche, dort wurde gekocht, gegessen, gewaschen, gebadet, und auch geschlafen. Gas löste Kohle und Holz als Brennmaterial ab.

Der technische Durchbruch kam 1893, als auf der Weltausstellung in Chicago der erste Elektroherd präsentiert wurde. In deutschen Haushalten setzte er sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch, im Verbund mit der Einbauküche. Das Leben in den Neubauten, die in den ausgebombten Städten hochgezogen wurden, war jetzt funktional, und die Küche ein kurzer Schlauch mit Kochzeile rechts und Schrankregal links. Essen ließ sich hier maximal zu zweit, später auch neben dem blankgewienerten Ceranfeld, das in den 1980er Jahren die Hauben beerbte, die die hässlichen schwarzen Herdplatten verdeckten. Gegessen wurde jetzt im Wohnesszimmer. Statt um den Herd versammelte man sich vor dem Fernseher, und was sah man da? Amerikanische Filme und Serien, die in Wohnküchen spielten. In großzügigen, offenen Herd-Sofa-Landschaften, mit einer schicken Frühstücksbar als Trennelement, wo man auf Barhockern thronte und im Rührei pickte.

Hersteller preisen die offene Küche als fast sakrale Stätte. „Die Küche ist für den Menschen ein Ort des Angekommenseins. Dort kocht er. Dort lebt er auf“, liest man in Hochglanzprospekten. Und weiter: „Kochen und dabei kommunizieren – mit einer Kücheninsel sind Sie den Menschen im Raum zugewandt.“

Küche ist gleich Wärme plus Nahrung, diese Kombination ist weder trenn- noch schlagbar, sie ist das Erfolgsrezept der Menschheit. Trotz Fußbodenheizung und Dinner-Lieferdiensten bleibt der Herd der Hausmittelpunkt. Im Zeitalter von Streamingdiensten und Mediatheken, da sich die Familie nicht mehr gemeinsam vor dem TV als Ersatzlagerfeuer einfindet, weil jeder fernsieht, wo und wann er will, tut sie das eben wieder um die Kücheninsel, zusammen mit dem neuen Mitglied, dem Smartphone. Und der Fernseher? Hängt ein paar Meter weiter im Großformat an der Wand und spielt dekorativ in Dauerschleife das Video „Brennendes Kaminfeuer“.

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