"Hausverbot" aus der Gerüchteküche

Gastronomie: Spitzenköche ärgern sich über das Märchen von den Roten Karten für schlechtes Benehmen der Gäste. Johann Lafer setzte jetzt eine Belohnung aus. VON MICHAEL SCHRÖDER

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Verwundert blickt der Gast auf die Rote Karte, die neben der nicht ganz billigen Rechnung liegt. Er fragt den Restaurantchef, was er damit anfangen soll. "Sie haben sich schlecht in unserem Haus benommen, weil Sie von den Tellern Ihrer Tischnachbarn probierten", bekommt er zur Antwort. Entrüstet zahlt der Gast und verlässt mit seiner Familie kopfschüttelnd das Sterne-Lokal. Man schwört, nie wiederzukommen.

Viele Sterne-Lokale betroffen

Auch Klaus M. ist empört, als er diese Geschichte erzählt, die er von einem guten Bekannten erfuhr, der sie so "wirklich selbst erlebt hat". "Tatort" des Gäste-Tadels: das Gourmet-Restaurant "Le Val d'Or" des populären Fernsehkochs Johann Lafer auf der Stromburg im Hunsrück. Klaus M. hätte indessen den Vorfall auch so schildern können: Auf der Rechnung sei in einer Fußzeile vermerkt worden, man bitte darum, das Lokal nie wieder zu besuchen. Oder auf der Roten Karte hätte das Wort "Hausverbot!" gestanden. Oder es habe sich um einen Blauen Brief gehandelt. Doch nichts davon stimmt. Denn auch Klaus M. ist einem Gerücht aufgesessen, das sich seit Jahren in der deutschen Spitzengastronomie hartnäckig hält.

Diese moderne Sage hat bislang schon fast alle Top-Köche der kulinarischen Republik getroffen: Von Dieter Müller im gleichnamigen Drei-Sterne-Restaurant im "Schloss Lerbach" in Bergisch Gladbach über Heinz Winklers "Residenz" im bayerischen Aschau bis zu den feinsten Gourmet-Adressen im Schwarzwälder Schlemmer-Mekka Baiersbronn - kaum einer der großen deutschen Herdkünstler ist von diesem scheinbar unausrottbaren Märchen verschont geblieben.

Dabei wird ein Hausverbot in der Gastronomie höchst selten und allenfalls solchen Gästen erteilt, die etwa unter Alkoholeinfluss rabiat werden. Tim Raue, kulinarischer Direktor im Berliner Nobel-Hotel "Adlon", erzählt, dass er schon mal unverschämt auftretende Besucher seines Restaurants "MA" - "unter dem Beifall der anderen Gäste" - zur Tür hinaus komplimentierte, weil sie den Service schikaniert hatten. Aber meist werden Konflikte mit dem Benimm-Knigge diskret geregelt, beispielsweise dann, wenn mitten im Lokal laute Gespräche am Mobiltelefon geführt werden.

Phänomen der "Wandersage"

Kein Gastronom jedoch würde ein Hausverbot aussprechen, nur weil man vom Teller seiner Mit-Esser genascht hat. Dass sich das Gerücht dennoch schon so lange hält, schreiben Wissenschaftler dem weltweit bekannten Phänomen der "urban legends" (deutsch: Wandersagen) zu. Diese Mythen kreisen immer wieder um den Erdball, meist stammen sie von "einem guten Freund", der die skurrile Geschichte tatsächlich erlebt haben soll. In seinem Bestseller über die todbringende "Spinne in der Yucca-Palme" hat der Volkskundler Rolf Wilhelm Brednich schon vor 20 Jahren die tollsten Schauergeschichten veröffentlicht.

Sterne-Koch Lafer allerdings findet das Ammenmärchen vom Hausverbot gar nicht mehr lustig. "Bedauerlicherweise sind viele potenzielle Gäste durch die Verleumdungen, die seit einiger Zeit über unser Haus im Umlauf sind, verunsichert worden", sagt Lafer. 3000 Euro setzte er deshalb im März als Belohnung für denjenigen aus, der ihm ein entsprechendes Beweisstück vorlegen kann - "wohlwissend, dass wir diesen Betrag nie zahlen müssen, da alles schlichtweg erfunden ist".

In der Tat hat sich bis heute niemand bei ihm gemeldet. "Wir freuen uns, wenn es den Gästen bei uns schmeckt und sie die Gerichte wechselseitig probieren", versichert Lafer. Zur Philosophie seines Hauses gehöre, den Gästen keine Vorschriften zu machen: "Unsere Aufgabe ist es nicht, die Gäste zu belehren oder zu bevormunden, sondern sie aufs Herzlichste zu betreuen." Und das ist schließlich kein Gerücht.

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