Wachenheim

Wie ein Sternekoch aus Wachenheim mit seiner japanischen "Izakaya" Konventionen bricht

Von 
Agnes Polewka
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© Enrico Markx

Wachenheim. Im Juni 2016 ist Yannick Schilli Gast im „Urgestein“ in Neustadt. Das Essen ist laut. Viel Säure, viel Schärfe, viel Geschmack. Und es ist besonders. Auch für Schilli, dessen berufliche Heimat die Spitzengastronomie ist. Er hat für die Besucher der Wagner-Festspiele in Bayreuth gekocht und in den Steigenberger Hotels. Doch der 24-Jährige ist müde. Die langen Arbeitstage, die um neun Uhr früh beginnen und um 1 Uhr nachts enden, zehren an ihm. Er denkt darüber nach, aufzuhören. Bis er im „Urgestein“ sitzt - und Benjamin Peifers Kreationen probiert. Der Moment markiert den Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte. Anfang März wurden beide Köche für ihre Kreationen in der japanisch-pfälzischen Kneipe „The Izakaya“ in Wachenheim mit einem Stern im Gastroführer Guide Michelin ausgezeichnet. Zum dritten Mal nach 2020 und 2021. Schon 2013 erkochte sich Peifer im „Urgestein“ seinen ersten Stern, mit 26 Jahren.

„Benni denkt Gastronomie einfach anders“, sagt Schilli. Peifer hinterfragt alles. Konzepte und Abläufe, Erwartungshaltungen. Was ihm nicht passt, ändert er einfach. Und bleibt dabei immer kreativ. Wenn er ein Lebensmittel in Händen hält, dann macht das etwas mit ihm. Eins ergibt das andere. Wie von selbst. Einer unsichtbaren Logik folgend. Küchenchef Yannick Schilli lässt sich auf Peifers Kreationen ein, denkt sie mit.

Küchenchef in der „Izakaya“ in Wachenheim: Yannick Schilli. © Enrico Markx Photo | Cinematogr

Japanische Kneipe als Vorbild

Ein Mittwochnachmittag im April. Benjamin „Benni“ Peifer sitzt an einem Tisch in der Wachenheimer „Izakaya“. Auf dem Holztisch dampft sein Kaffee in einem handgefertigten Becher. Wie alle Gefäße in der „Izakaya“ ein Unikat. Vier Wochen lang stapfte Benjamin Peifer dafür jeden Tag auf den Weihnachtsmarkt, um eine ganz bestimmte Geschirrtöpferin zu überreden, für ihn zu arbeiten. Um den Gästen etwas Besonderes zu bieten. Einzigartig ist nicht nur die Ausstattung der „Izakaya“, sondern das Gesamtpaket.

Ein Japan-Aufenthalt inspirierte Peifer dazu, eine Kneipe nach japanischem Vorbild zu eröffnen - mit Pfälzer Einflüssen. Als „Izakayas“ bezeichnet man in Japan einfache Kneipen, in denen man zusammensitzt, trinkt und eine Kleinigkeit isst. Alles sehr leger, dennoch stimmungsvoll. „Bei den Emotionen hängen wir in Deutschland hinterher - Spitzengastronomie kann auch locker funktionieren“, sagt Peifer. Das will er zeigen.

Gemischtes Publikum

Es gibt keine Tischdecken, Manga-Motive an den Wänden. Der Rest der Einrichtung ist stilvoll-elegant. Modern. Es gibt nur ein Menü oder wie der Pfälzer sagt: „’s werd gesse, was uff de Disch kummt“. Und das auch nur mit Reservierung. 110 Euro kostet das Menü am Freitag und Samstag, von Dienstag bis Donnerstag zehn Euro weniger. Alle sechs bis acht Wochen variieren Peifer und Schilli die fünf Gänge, die etwa gegrillten Kopfsalat, Spice Ribs vom Schwäbisch Hällischen Landschwein oder „Gintense Fizz“ bereithalten: Sorbet - geflämmte Ingwer-Marshmallow-Creme - Yuzu-Marmelade und frische Korianderkresse. Die Wartelisten für einen der zehn Tische am Wochenende sind lang, variieren zwischen drei und vier Monaten. Unter der Woche kann man sich auf zwei Wochen Wartezeit einstellen.

Mit dem Konzept haben sich Peifer und sein Küchenchef gut in der Region etabliert - in einer Landschaft mit hoher Sternendichte. Diese ist gleichsam für Einheimische und für „Foodies“ interessant, die aus ganz Deutschland anreisen. Und: Peifer erleichtert seinem Team die Arbeit. Die Abende lassen sich gut vorbereiten. Arbeitstage unter zehn Stunden - eine Rarität in der Branche, die Peifer nur zu gut kennt.

Sein Weg in die Spitzengastronomie beginnt für den gebürtigen Speyerer, der in Neustadt aufgewachsen ist, mit einer Bäckerlehre. Danach orientiert er sich neu, will Koch werden. Er lernt im Ketschauer Hof in Deidesheim, zieht weiter nach Saarbrücken, ins „Erfort“, ein Drei-Sterne-Haus. 16 Stunden in der Küche, jeden Tag. Volle Konzentration. „Das hat mich gebrochen“, sagt er. Er kehrt zurück in die Pfalz, arbeitet im „Hofgut“ in Ruppertsberg, danach im „Amador“ in Mannheim. Dann die erste Stelle als Küchenchef in der Nähe von Trier und der erste Stern im „Urgestein“. Das erste eigene Restaurant in Kallstadt, das „Intense“, parallel dazu der Aufbau der „Izakaya“.

Dabei hat er viel gelernt. Über das Business. Über Perfektion und pure Hingabe. Aber auch über sich selbst. Lange war er ein Nomade, ein Suchender. „Im Moment fühle ich mich zum ersten Mal heimisch“, sagt der 35-Jährige, der mit seiner Frau Bettina in Deidesheim lebt. Nur wenige Meter von „The Izakaya“ entfernt entsteht ihr zweites Restaurant, eine Neuauflage des Kallstadter „Intense“, das beide während der Pandemie schlossen. Weil die Unsicherheit zu groß war und „weil wir aus dem alten ,Intense’ herausgewachsen sind.“

Der 35-Jährige öffnet die Tür des denkmalgeschützten ehemaligen Pfarrhauses. Er deutet auf den Stuck an der Decke, auf eine Nische. „Hier werden wir im Schamottofen frisches Brot backen“, sagt er. Weil die meisten Menschen gern vom Duft frischgebackenen Brotes umhüllt werden, der sie an ein gemütliches Zuhause erinnert, an Wärme und Geborgenheit. Peifer deutet auf den offenen Küchenbereich, den geplanten Zen-Garten. Er sieht vor sich, wie eine der Türen über Lichtsensoren aufschwingt. Im August wollen sie eröffnen. Und dann will sich Peifer seinen zweiten Stern holen, vielleicht auch den dritten. Nicht, weil er viel auf den Guide Michelin gäbe, sondern weil sich mit ihm der Grad der Perfektion messen lässt, den er anstrebt. Perfektion, die sich aus Hingabe speist, und ein bisschen auch aus Rebellion.

Redaktion

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