Kaum süß, intensiver Kakaogeschmack, eine fruchtige Säure. „Bissap“, sagt Kimberly Addison und bricht ein zweites Stück von einer dünnen, rötlichen Tafel Schokolade. „Ein traditionelles afrikanisches Getränk aus Hibiskusblättern.“ In der Küche des Hauses ihrer Eltern in East Legon, eine gehobene Wohngegend von Ghanas Hauptstadt Accra, rösten Kimberly und ihre Schwester Priscilla Kakaobohnen im Ofen. 57Chocolate heißt die Marke der Addisons, ihr Start-up ist eine kleine Revolution in einem Land, das den Weltmarkt mit Kakaobohnen versorgt.
Kaum lokale Ware
Ghana ist – nach der Elfenbeinküste – der zweitgrößte Rohkakao-Produzent der Welt, die beiden Länder liefern gut 70 Prozent des weltweiten Bedarfs, aus Ghana stammt ein Viertel. Beim ghanaischen Bruttoinlandsprodukt macht Kakao jedoch weniger als zwei Prozent aus. Das Schokoladensortiment in ghanaischen Supermärkten ist zwar üppig, alle großen internationalen Marken liegen in den Regalen, viele mit Kakao aus Ghana hergestellt. Made in Ghana hingegen ist die Ausnahme, nur das staatliche Kakaounternehmen und eine kleine Schokoladenfirma bei Accra produzieren lokale Industrieware.
Weniger als vier Prozent der weltweit verkauften Schokolade konsumieren Menschen in Afrika. Doch das Konsumverhalten auf dem 56-Staaten-Kontinent ändert sich, in vielen Ländern wächst eine Mittelschicht heran, die Geld hat, Genuss schätzt und für die edle Schokolade eine erschwingliche Form des Luxus darstellt.
Diesen Markt wollen die 57Chocolate-Schwestern erschließen. Ein gutes Dutzend Geschmackssorten ist im Programm, dunkle Schokolade, Milchschokolade, weiße und Kaffee, mal pur, mal mit Meersalz, Kokosnuss, Mandelsplittern. Markenzeichen von 57 ist Bissap, die Sorte mit Hibiskusgeschmack. „Bissap war unser Lieblingsgetränk als Kinder, unsere Mutter hat es viele Jahre und mit viel Aufwand selbst gemacht“, erzählt Kimberly. Heute lieben die Schwestern grünen Tee, also gibt es seit kurzem eine weiße Schokolade mit Matcha-Tee.
Aus Europa stammt die Geschäftsidee der Schwestern, es war ein Zufall. Ihr Vater hat in vielen Ländern weltweit gearbeitet, die Familie lebte lange in Genf, Kimberly und Priscilla arbeiteten nach dem Studium in Managementjobs. „Gute Arbeit, aber jeden Tag acht Stunden am Computer, das machte mich irgendwann unruhig“, sagt Kimberly. Macht euch selbstständig, riet der Vater, gründet ein Unternehmen. Klingt verlockend, meinten die Töchter, aber in welcher Branche? Als die Eltern beschlossen, als Pensionäre zurück in ihr Heimatland Ghana zu gehen, beschlossen Kimberly und Priscilla: Wir gehen mit. Kurz vor der Abreise aus der Schweiz unternahmen sie, was sie dort schon immer hatten unternehmen wollen, darunter eine Fabrikbesichtigung beim renommierten Schokoladenhersteller Maison Callier.
„Als wir uns die Produktion anschauten“, erzählt Priscilla, „stellte sich heraus, dass der Großteil ihres Kakaos aus Ghana stammt. Wir fanden es absurd: Die Schweizer sind auf der ganzen Welt für ihre Schokoladen berühmt – dabei ernten sie keine einzige Kakaobohne.“ Wenn ein Land, das nicht einmal die Hauptzutat besitzt, dennoch edle Schokoladen herstellen kann, überlegten die Schwestern, dann kann die Kakaonation Ghana das erst recht. Und mit Luxusschokolade aus Ghana selbst, so der zweite Gedanke, füllen wir im Land wie auch in ganz Afrika eine Marktlücke.
2014 kündigten die Schwestern ihre Jobs, zogen mit den Eltern nach Accra, kauften Waagen und Formen, richteten sich im neuen Haus eine kleine Werkstatt ein. „Dann hieß es: einfach machen, einfach ausprobieren, immer und immer wieder“, beschreibt Kimberly die Startphase. „Unsere ersten Versuche ließen wir von Familie und Freunden testen, vieles total ungenießbar. Priscilla und ich begriffen schnell, dass Schokolademachen ein Handwerk ist, das man lernen muss.“
Die Schwestern belegten Kurse bei Schokoladeherstellern in Belgien, England und in der Schweiz, lasen Fachbücher, recherchierten im Internet. In Ghana besuchten sie Kakaoplantagen, interviewten die Farmer, halfen bei der Ernte. „Wir wollten den Rohstoff verstehen“, sagt Kimberly. Was sie auch erfuhren: Der wichtigste Mensch in der Produktionskette kennt nicht automatisch das Endprodukt. „Viele der Bauern wussten weder, was aus ihren Kakaobohnen entsteht“, sagt Priscilla, „noch hatten sie jemals in ihrem Leben Schokolade gegessen.“
Zwei Jahre später kamen die ersten Tafeln 57Chocolate auf den Markt. Heute ist eine dunkle Milchschokolade mit 55 Prozent Kakao die beliebteste Sorte, danach die dunkle Schokolade mit 73 Prozent. Insgesamt gut 500 Tafeln pro Monat produzieren die Addisons, vor Weihnachten und Valentinstag sind es mehr, Schokolade ist ein Saisongeschäft. Vor Kurzem haben sie professionellere Arbeitsgeräte angeschafft, nach wie vor packen aber auch die Eltern mit an.
Alles Handarbeit
Ab und an laden die Schwestern zur Warenprobe, lassen sich beim Schokolademachen zuschauen, befragen Kunden. Der Großteil des Verkaufs läuft online, zwei Mitarbeiter kümmern sich mittlerweile um Bestellungen und Versand, das Marketing läuft über soziale Netzwerke. Zu Umsatz, Gewinn, Investitionssumme sagen Kimberly und Priscilla nichts. Nur: Neben ihrem Ersparten sei Geld von Familie und Freunden in das Start-up geflossen, außerdem gewannen sie einen ghanaischen Förderpreis für junge Unternehmer.
Die Schwestern produzieren ihre Ware in Handarbeit. Das gilt fürs Sortieren und Rösten der Kakaobohnen ebenso wie fürs Verpacken und Verschicken der Schokoladen. Die Bohnen stammen von Bio-Farmen im Osten Ghanas, künstliche Geschmacks- und Farbstoffe sind bei 57 tabu, Zucker setzen die Addisons sparsam ein, die Schokoladen schmecken nach ihrer Hauptzutat – Kakao. „Unsere Marke beweist, dass hochwertige Schokolade nicht das Monopol europäischer Hersteller ist“, sagt Kimberly.
57Chocolate – eine afrikanische Vorzeige-Geschichte? „Wäre schön“, sagt Priscilla. „Aber ein Firmengründer in Ghana sein, das bedeutet Hindernisse überwinden und Probleme aus dem Weg räumen. Jeden Tag.“ 2016, als die Schwestern mit dem Schokoladenherstellen begannen, fiel im Land über Wochen immer wieder der Strom aus. Das unzuverlässige Netz beschädigte die wichtigste Maschine der Addisons, sie verpassten Lieferfristen, verloren Umsatz, dann investierten sie in einen Stromgenerator. Auch die Bürokratie war eine Herausforderung. Wie in vielen anderen afrikanischen Staaten durchzieht Korruption alle Schichten der Gesellschaft, wer ein neues Unternehmen anmelden will, braucht im Normalfall ein Extrabudget. „Integrität ist für uns jedoch entscheidend“, sagt Kimberly. „Daher hat es ewig gedauert, bis wir alle nötigen Genehmigungen und Papiere hatten.“
Um mit ihren Kakaobohnen die Wirtschaft anzukurbeln, versuchen Ghana und die Elfenbeinküste neuerdings, das Verarbeiten des Rohstoffs im Land zu fördern. Insgesamt mehr als zwei Millionen Kleinbauern in den beiden Ländern liefern fast drei Millionen Tonnen Kakao für den Export – nahezu 60 Prozent des weltweiten Angebots. Nur ein Bruchteil des Verkaufspreises einer Tafel Schokolade, weniger als sieben Prozent, gehen an die Kakaohersteller. Das Bruttoinlandsprodukt von Ghana und Elfenbeinküste liegt bei insgesamt 78,85 Milliarden US-Dollar – der weltweite Jahresumsatz der Schokoladenindustrie bei 98,2 Milliarden. Fabriken und Marktliberalisierung sollen das nun ändern.
Die Addison-Schwestern drücken den Stolz auf ihre Herkunft auch durch die Optik ihrer Produkte aus. Die 57-Schokoladen werden in Formen mit traditionellen Symbolen des ghanaischen Asanti-Volkes gegossen, Adinkra genannt. Sie stehen für Eigenschaften wie Stärke, Schönheit, Menschlichkeit, Mut. „Schokolade gilt als Produkt des Westens“, sagt Kimberly. „Die Adinkra sind Ausdruck von Ghanas Einzigartigkeit, mit ihnen würdigen wir den Kunst- und Kulturreichtum Afrikas.“
Große Pläne
Die 57-Gründerinnen beziehen alles, was sie für ihre Schokoladen brauchen, aus Ghana, auch Verpackungsmaterial, das etwa aus China deutlich günstiger wäre. „Wir wollen die komplette Wertschöpfung im Land halten“, begründet Priscilla. Passend gewählt ist auch der Name: 57Chocolate steht für das Jahr, in dem Ghana nach Jahrzehnten unter britischer Kolonialherrschaft seine Unabhängigkeit erklärte.
57Chocolate sieht sich als Vorbild. Aus Kakaobohnen Luxusschokolade zu machen, ist dabei nur eine Option von vielen. „Säfte, Tomatenmark, Marmelade, Salz, Zucker, Hundefutter, sogar Zahnstocher – fast alles, was die Menschen in Ghana tagtäglich kaufen, ist importiert“, sagt Priscilla. „Doch wir müssen mit unseren Rohstoffen selbst Produkte herstellen, für den eigenen Konsum und für den Export.“
Für ihr eigenes Unternehmen haben die Addison-Schwestern viele Pläne. „Irgendwann eröffnen wir ein Haus der Schokolade in Accra, eine Erlebniswelt rund um die ghanaischen Kakaobohnen“, sagt Kimberly. Sie lacht. Besuch wird dort willkommen sein: „Dann können die berühmten Chocolatiers aus Europa gerne vorbeikommen und sich von uns inspirieren lassen.“
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