Auf den Plastikhüllen über den Nähmaschinen liegt eine feine Staubschicht. „Out of work“ steht auf Zetteln, die an einigen kleben. Eine Fabrikhalle voll eingemotteter Maschinen. Zwei Stockwerke darunter summen Nähmaschinen so groß wie Kleinwagen, hier und da stehen ein, zwei Männer an den Geräten und beobachten, wie die Maschinen aus blauen Stoffteilen Pullover nähen. Manchmal tippt ein Arbeiter auf dem Monitor einer Maschine oder öffnet sie, um einen Nähkopf zu reinigen. Mehr gibt es für die Menschen nicht zu tun.
Bei Knitstar in Bhabaripur, eine von neun Fabriken des Kleidungsherstellers Mohammadi Group nahe Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, ist die Zukunft der Textilindustrie schon heute Realität. Vor einigen Jahren noch saßen hier hunderte Angestellte, vor allem Frauen, an den Nähmaschinen. Das Fertigen eines leichten Baumwollpullovers dauerte viele Stunden und beschäftigte viele Menschen. Mohammadi fertigt für Marken wie H&M, Zara, Esprit, S’Oliver, Only. 2012 begannen die Firmenchefs, die Produktion Schritt für Schritt zu automatisieren. Heute erledigen in der Knitstar-Fabrik 75 Hightech-Strickmaschinen die Arbeit von 600 Handnähmaschinen, zwei Dutzend Arbeiter mit Computer-Knowhow ersetzen 600 Arbeiter mit geschickten Händen und guten Augen.
Rubana Huq ist die Geschäftsführerin der Mohammadi Group. Von ihren 12 000 Mitarbeitern arbeiten 11 000 in der Produktion. „In den automatisierten Fabriken werden wir bald 1000 Mitarbeiter entlassen müssen“, sagt Huq. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch in der Zentrale in Dhaka, entlang der Wände ihres Büros stehen Kleiderständer mit Blusen, Hemden, Kindersachen, die neue Kollektion der Kunden. „Bisher haben wir unsere Leute dort untergebracht, wo wir noch auf Handarbeit setzen. Aber das wird nicht mehr lange funktionieren. Denn wir müssen automatisieren und wir müssen es jetzt tun, nur so können wir uns im Markt behaupten.“
Huqs Unternehmen ist ein Beispiel für die Richtung, in der sich der Textilsektor in Asien entwickelt. Während etwa in Automobil- und Elektrobranchen schon seit langem Roboter erledigen, was früher der Job niedrig qualifizierter Arbeiter war, schien die Bekleidungsindustrie gegen die Hightech-Fertigung immun. Stoffe sauber verarbeiten, das ist schwierig. Bisher galten geschickte Hände als unschlagbar. Und in Bangladesch, Kambodscha, Vietnam gibt es sehr viele Menschen, die für sehr wenig Geld arbeiten. Doch auch in Entwicklungsländern steigen die Löhne. Und die Technik ist mittlerweile so weit, dass Maschinen und Roboter selbst Kompliziertes wie Hemdkragen und Gürtelschlaufen perfekt nähen.
80 Prozent der Jobs in Gefahr
Das Automatisieren und Digitalisieren der Bekleidungsindustrie bedeutet für die Entwicklungsstaaten daher massive Probleme, warnen Experten. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sieht in Ländern wie Kambodscha und Vietnam mehr als 80 Prozent der Jobs im Mode- und Schuhsektor in Gefahr. Insgesamt neun Millionen Menschen in Südostasien könnten ihre Arbeit verlieren.
Bisher galt die Textilindustrie als erste Stufe beim wirtschaftlichen Aufstieg armer asiatischer Länder. Erst waren es Taiwan und Südkorea, später Thailand und China, und als auch dort die Löhne anzogen, suchten sich die Modemarken noch billigere Produktionsstandorte. Wie Bangladesch. Innerhalb eines Jahrzehnts wurde das einstige Armenhaus Asiens zum zweitgrößten Textilproduzenten der Welt nach China, in fast 4500 Textilfabriken erwirtschaften heute mehr als vier Millionen Beschäftigte fast 82 Prozent des nationalen Exportvolumens. Vor allem für junge Frauen vom Land, ohne Ausbildung und meist auch ohne Schulabschluss, gelten die Textilfabriken als einzige Berufschance, vom Verdienst einer Tochter lebt oft ihre ganze Familie auf dem Dorf.
Die Bekleidungsindustrie wurde für Bangladesch zum dominierenden Wirtschaftssektor. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Und es ist eine Abhängigkeit. Das 163-Millionen-Einwohner-Land braucht jedes Jahr zwei Millionen neue Arbeitsplätze für seine jungen Bürger. Doch obwohl die Textilexporte zwischen 2013 und 2016 um fast 20 Prozent zulegten, stieg die Zahl der Arbeitsplätze nur noch um 4.5 Prozent. Denn während das Land mit der Billig-Textilproduktion die schlimmste Armut überwand, machten sich die Maschinenhersteller daran, ihre Produkte zu automatisieren. Die am weitesten entwickelten Textilmaschinen kommen aus den USA, aber auch der deutsche Maschinenbau fertigt Hightech für die Textilbranche. Etliche Strickmaschinen der Mohammadi Group stammen aus Baden-Württemberg.
Für eine andere Mohammadi-Fabrik, in der T-Shirts, Hemden und Blusen entstehen, hat Geschäftsführerin Huq vor kurzem 200 Nähautomaten gekauft, damit sind in ihrem Unternehmen insgesamt 400 Maschinen im Einsatz. „Bei einem Herrenoberhemd lässt sich nicht alles automatisieren“, sagt Huq, „Brusttasche und Manschette nähen unsere Mitarbeiter nach wie vor auf Handmaschinen.“ Und noch sind Mitarbeiter in Bangladesch wegen des in Asien geringsten Mindestlohns von umgerechnet 52 Euro pro Monat billiger als Fertigungsautomaten. Nur Branchengrößen wie Mohammadi können in teure Technik investieren. „Mit automatisierten Maschinen können wir automatisch mehr Aufträge annehmen als mit manuellen Maschinen“, sagt Huq. „Irgendwann rechnen sich dann die Roboter.“ Teure Technik bedeutet mehr Effizienz, höhere Produktivität, höheres Tempo. Die entscheidenden Kriterien im weltweiten Wettbewerb der Billiglohnländer. Denn Kleidung darf kaum etwas kosten, die Verbraucher wollen Schnäppchen, T-Shirts „made in Bangladesch“ für 4,99 Euro. Auf der Suche nach immer günstigeren Produktionsstandorten lassen internationale Modemarken mittlerweile auch in Afrika produzieren. Der Druck auf die Hersteller in Asien wächst.
Sanierungen stehen aus
Nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza nahe Dhaka, bei dem 2013 mehr als 1100 Menschen starben, stand Bangladesch plötzlich im Fokus der Weltöffentlichkeit. Verbraucher im Westen kritisierten die Arbeitsbedingungen in der Industrie als menschenunwürdig. Viele internationale Modemarken verpflichteten sich daraufhin, Brandschutz und Gebäudesicherheit in den Textilfabriken deutlich zu verbessern. Konkret bedeutete es: Kontrollen und hohe Auflagen für die Hersteller.
Geld für das Sanieren der Fabriken zahlen die Modeunternehmen jedoch nicht. „Meine Kunden verlangen, dass wir uns rundum modernisieren“, sagt der Chef einer 1600-Mitarbeiter-Näherei in Dhakas Stadtteil Little Baddha, Sitz von zig Textilfabriken. „Und wenn du nicht erfüllst, was sie fordern, dann verlierst du ihre Aufträge.“
Nach Rana Plaza mussten wegen der neuen Vorschriften hunderte kleine Textilfabriken dicht machen. Die Branche konsolidierte sich, große Hersteller wie die Mohammadi Group ließen neue Fabriken in den Vorstädten Dhakas bauen, maßgeschneidert auf die Wünsche der internationalen Modehändler. Die jüngste der Mohammadi-Fabriken hat Kita und Krankenstation, nutzt Solarenergie, trennt Müll, auf dem Gelände gibt es Grünflächen und einen Fahrradparkplatz. Wie sich die Kunden einen guten Lieferanten vorstellen, das füllt bei Mohammadi Dutzende Aktenordner.
Für höhere Löhne setzen sich die großen Modemarken hingegen nicht ernsthaft ein, kritisiert Human Rights Watch. Berndt Hinzmann vom unabhängigen Netzwerk Clean Clothes Campaign, das bessere Arbeitsbedingungen in der Kleidungsindustrie fordert, wirft Unternehmen wie H&M und Primark vor, nicht zu verwirklichen, was sie immer wieder versprechen. „Ihre Kampagnen für faire Löhne sind offensives Marketing, doch bisher steht der Nachweis aus, dass sie an ihrem Geschäftsmodell – so billig wie möglich einkaufen – auch nur irgendetwas geändert haben.“ Die Unternehmen kontrollieren ihre Zulieferer auf Produktqualität und Arbeitssicherheit, sagt Hinzmann. „Warum sorgen sie nicht auch für faire Löhne?“
Die Lage ist komplex. Bangladesch hat bisher keine Alternative zur Textilindustrie aufgebaut. Die Regierung will den einzig starken Wirtschaftssektor im Land halten und hält daher den Mindestlohn niedrig. Die Fabrikbesitzer müssen sich im internationalen Wettbewerb behaupten und der wird immer härter. Die internationalen Modemarken verlieren Gewinn, wenn die Menschen in den Produktionsländern mehr verdienen. Die Verbraucher könnten es ändern, doch die Mehrheit will Schnäppchenkleidung. So ändert sich nichts. Jedenfalls nichts, das den Arbeitern in den Textilfabriken ein besseres Leben ermöglicht.
Nach dem Rana Plaza-Unglück vor fünf Jahren gingen Bangladeschs Textilarbeiter auf die Straße, die Regierung erhöhte den gesetzlichen Mindestlohn in der Branche von umgerechnet 39 auf 68 US-Dollar pro Monat. Damit liegt die Kaufkraft eines Arbeiters unter der international definierten Armutsgrenze. Wochenarbeitszeiten von 60 bis 140 Stunden sind in den Textilfabriken die Regel, freie Tage die Ausnahme. „Die niedrigen Löhne sind unser größtes Problem“, sagt Nazma Akter, Präsidentin einer Arbeitergewerkschaft und Leiterin einer lokalen NGO. Gewerkschaften sind in Bangladesch legal, doch die Regierung unterdrückt sie.
Maschinen streiken nicht
„Nun kommen auch noch Hightech-Maschinen in die Fabriken“, sagt Akter. „Das bedeutet nicht nur weniger Jobs, es ist auch schlecht für das Lohnniveau. Maschinen streiken nicht für ein besseres Gehalt.“
„Wenn ich auf Maschinen umstelle und Leute entlasse, gehen sie zurück aufs Land, zurück in ihr Dorf“, sagt Mohammadi-Chefin Huq. „Für die vielen wenig qualifizierten Menschen in Bangladesch gibt es keine Alternative zur Textilindustrie.“ Huq macht eine Pause, schaut auf die Kleiderständer entlang der Bürowand. „Aber es gibt auch keine Alternative zum Automatisieren.“
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