David Krasners Arbeitsweg möchte man haben. Der Rumpf des Aluminiumbootes hebt sich aus dem Wasser. Warmer Fahrtwind weht uns ins Gesicht. Schnell lassen wir das Sirren und Brummen der drei gewaltigen Gasgeneratoren am Ufer hinter uns. Ein letzter Blick zurück auf die sanften Hügel mit den hohen Masten der noch blitzblanken Überlandleitungen, die seit zwei Jahren den Strom aus dem Kraftwerk in die Hauptstadt Kigali leiten. Draußen schlagen die Wellen hoch wie auf dem Meer. Mit 2400 Quadratkilometern ist der Lake Kivu fünf Mal so groß wie der Bodensee.
Das Boot rast an roten Bojen vorbei, auf denen Kormorane hocken. An den Bojen hängt in zehn Metern Tiefe die Pipeline, durch die das Methan für die Turbinen des Kraftwerkes strömt. „Zehn Meter reichen aus, um die Pipeline vor Beschädigung durch Fischerboote und den Fährverkehr auf dem See zu schützen“, erklärt David Krasner. Der in Russland geborene Israeli ist ein gefragter Experte für Gasförderung. Sein Arbeitsplatz ist die Welt. Die letzten Jahre aber hat er seine Dienste dem US-Konzern ContourGlobal zur Verfügung gestellt.
Nichts Geringeres als den Schatz eines der größten Seen des afrikanischen Grabenbruchs soll er heben. Wer kann da schon widerstehen. „Wir fördern das wertvolle Methan aus den sehr tiefen Schichten des Sees, das ist eine große Herausforderung.“ David Krasner reibt sich über seine Wange mit den drei Tage alten Bartstoppeln.
An seiner tiefsten Stelle im Hauptbecken misst der Lake Kivu 485 Meter. Tief unten schlummern 300 Kubikkilometer Gas. Drei Viertel davon allerdings sind Kohlendioxid. Das kalte Wasser in den Tiefen kann im Vergleich zum Oberflächenwasser ein Vielfaches des Klimagases speichern. Der hohe Druck der Wassermassen über den tiefen Schichten hält das Gas dort gefangen.
Aus dem Kohlendioxid und aus abgesunkenen, organischen Substanzen produzieren Bakterien in der dunklen Tiefe anaerob Methan. Das ist der Schatz des Kivu-Sees. Mit ihm lassen sich große Mengen Strom erzeugen. Gewonnen wird das Methan auf einer dreizehn Kilometer vom Ufer entfernten Plattform. Aus dem Schnellboot geklettert, betritt der Besucher hier draußen technisches Neuland. Auch wenn die Röhren, Tanks, Waschtürme und Leitungen zunächst aussehen wie auf jeder andern Förderplattform auch.
Im Kontrollraum, zwischen bunten Monitoren und blinkenden Lampen, erklärt Krasner das Verfahren: „Das gashaltige Wasser wird mit einer Auto Siphon Pumpe aus einer Tiefe von 355 Meter nach oben befördert.“ Nach dem Ansaugen kommt das gashaltige Wasser von alleine nach oben. Ab 170 Metern steigt das Gas in Blasen weiter auf. „Wir müssen hier nur die Klappe aufmachen.“
Trennung von Gas und Wasser
In vier Separatoren zwanzig Meter unterhalb der Plattform wird das Gas weitgehend vom Wasser getrennt. Das gewonnene Gas enthält neben Methan immer noch drei Viertel Kohlendioxid sowie Anteile hochgiftigen Schwefelwasserstoffes. Oben auf der Plattform wird dieses so genannte Sour Gas deshalb in einer Waschanlage aus vier jeweils fünfzig Meter hohen Türmen zu 85 Prozent reinem Methan gewaschen. Nun heißt es Sweet Gas, wird getrocknet, komprimiert und durch die lange Pipeline an Land gepresst. 5500 Kubikmeter pro Stunde kommen im Kraftwerk am Ufer an.
Dort wird es gut genutzt. „85 bis 90 Prozent des geförderten Methans erreichen die Generatoren“, zeigt sich David Krasner zufrieden. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. „Wir haben sieben Jahre vor Ort gebraucht, um das Projekt zu realisieren“, erzählt der aus Mauritius stammende Leiter Priysham Nundah in seinem Büro in Kigali. Über den Mangel an Herausforderungen konnte das international besetzte Team nicht klagen. Wie in einem Binnenland in Zentralafrika tausende Tonnen Material sicher heranschaffen? Oder Experten für ein Land wie Ruanda rekrutieren, das die meisten Menschen noch mit Krieg und Völkermord verbinden? Überforderte Baufirmen mussten hinausgedrängt, geeignete Ingenieurbüros gefunden werden. Und dann waren da noch jede Menge Schwierigkeiten bei der Montage und Inbetriebnahme der Plattform.
Als endlich alles montiert war, wollte zunächst das Gas nicht gleichmäßig aus der Tiefe aufsteigen. Ist dort unten vielleicht gar nicht so viel Methan? Und der Schatz nur eine Finte? Die Nerven lagen blank. Das Team wechselte Leitungen, änderte Druckparameter. „Wir waren so erleichtert, als es dann endlich klappte.“ Priysham Nundah scheint immer noch von der Euphorie dieses Moments getragen. Die Geschichten sprudeln so aus ihm heraus wie das Methan aus dem Kivu-See.
Auch für das Management war all das kein Zuckerschlecken: Mit 200 Millionen US Dollar wurde das Projekt fast doppelt so teuer wie geplant. Zwischendurch verweigerten die Banken weiteres Geld. Eine neue Finanzierung musste her. Selbst in Zeiten von Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Berliner Großflughafen ist die Kostenexplosion bemerkenswert. Heute funktionieren Methanförderung und Stromproduktion einwandfrei.
Im Kontrollraum der Plattform setzt Francois Darchambeau seinen Helm auf und geht hinaus. Mit einem Probenset in der Hand steigt er die Treppen an den Waschtürmen hinauf. In 50 Metern Höhe ist der Blick atemberaubend. Drüben, auf der Seite der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire, erheben sich schroffe Vulkanberge in den Himmel. Der Biologe aus Belgien öffnet das Schloss an einer Entnahmestelle und zieht eine Probe vom Waschwasser.
Folgen für das Ökosystem?
Das Waschwasser wird wieder in den See geleitet. Täglich muss seine Zusammensetzung im Labor untersucht werden. Schließlich enthält es das klimaschädliche Kohlendioxid und giftigen Schwefelwasserstoff. Es riecht entsprechend nach faulen Eiern. Aber bringt das rückgeführte Waschwasser nicht das gesamte Ökosystem des Sees durcheinander? „Wir pumpen es in 240 Meter Tiefe in den See, das ist weit unterhalb der Biozone und nicht so tief, dass es die Ausbeute des Methans stört“, erklärt Francois Darchambeau. In dieser Tiefe sei der See tot.
Der hohe Druck sorge zudem dafür, dass die Schichten sich kaum vermengten. „Die Verweildauer des Wassers in der Zone ab 180 Meter beträgt 1000 Jahre.“ Der Wissenschaftler kontrolliert regelmäßig, ob das Waschwasser in die richtige Tiefe gelangt, und ob es in dem See nicht doch etwas verändert. Zudem untersucht er Arten und Biomasse der Fische. Externe Experten kontrollieren seine Kontrollen. 30 Fischarten leben in dem See. Fisch stellt eine wichtige Lebensgrundlage für die Bevölkerung dar.
Letztlich aber ist die Entnahme des Methan alternativlos, weil sie den Gasdruck im See senkt. Denn der Segen des Kivu-Sees ist gleichzeitig sein Fluch. Gelangen Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Methan an seine Oberfläche, wäre das nicht nur für das Weltklima eine Katastrophe. Das Leben von zig Menschen an seinen Ufern wäre gefährdet. Eine Katastrophe ereignete sich 1986 am Lake Nyos in Kamerun. Dort starben über Nacht 1800 Menschen, als eine Gaswolke aus dem See stieg. Ihr war vermutlich ein starker Erdrutsch vorausgegangen. Der Lake Kivu enthält 300-mal so viel Gas wie der See im Kamerun.
Der deutsche Physiker Klaus Tietze warnt seit Jahrzehnten vor dieser Gefahr: „Ohne Gasförderung würde der Kivu-See nach etwa 100 Jahren von selbst explodieren.“ Eine katastrophale Gaseruption könne jederzeit auf natürliche Weise ausgelöst werden, beispielsweise durch einen kleinen Vulkanausbruch auf dem Boden des Sees.
Tietze erforscht seit den 1970er Jahren die außergewöhnlichen Vorkommen von Gas im Kivu-See und anderen Gewässern. Mit seinen Forschungen in Ruanda und in der Demokratischen Republik Kongo hat er wichtige wissenschaftlich-technische Grundlagen für das gelegt, was heute passiert. Er warnt aber vor den Risiken der Förderung. Die Wahrscheinlichkeit einer Gaseruption aus dem Kivu-See sei zwar viel geringer als am Nyos-See, durch eine fehlerhafte Förderung und Rückführung des Tiefenwassers und der Restgase werde sie aber langfristig stark erhöht. „Nur ein gasarmer See ist ein ungefährlicher See.“ Klaus Tietze hat deshalb eine Methode entwickelt, mit der auch das Kohlendioxid gefördert und wirtschaftlich in brauchbare Produkte umgewandelt werden soll. Er hofft, sie bald in der Demokratischen Republik Kongo anwenden zu können.
Ausbau geplant
Wie auch immer. ContourGlobal will Kivu Watt in Kürze um einen weiteren Generator erweitern, weil die Plattform mehr Methan fördert als geplant. Später soll der Ausbau auf 100 Megawatt folgen. So viel allerdings könnte das Stromnetz Ruandas nicht aufnehmen. Die Energie soll über den Netzverbund der ostafrikanischen Staaten exportiert werden, von denen die meisten unter einem Mangel an Strom ächzen. Das kleine Ruanda könnte die größeren Nachbarn dann versorgen.
Nach einer zwölf Stunden-Schicht verlässt David Krasner die Plattform und steigt ins Schnellboot. „Wir produzieren an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden.“ Nur so sind die Generatoren im Kraftwerk ausreichend versorgt. Methan lässt sich nicht lagern. „Nur in der Pipeline wird etwas von dem Gas vorgehalten“, sagt Krasner und zeigt auf die roten Bojen, auf denen immer noch die Kormorane hocken. „Wenn wir auf der Plattform Probleme haben, gibt es eine dreiviertel Stunde später im Kraftwerk welche.“ David Krasner reibt sich die Augen. Es scheint anstrengend zu sein, aus dem Fluch des Kivu-Sees einen Segen zu machen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-reportage-es-gilt-den-schatz-zu-heben-_arid,1262168.html