Der teure Tod

Beerdigungen sind in Ghana seit jeher das gesellschaftliche Großereignis. Je spektakulärer, desto besser für den Toten wie für die Hinterbliebenen. Wirklich? Manch eine Bestattung droht die Angehörigen in die Pleite zu stürzen.

Von 
Daniela Schröder
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Der Tod gilt in Ghana als Übergang in eine andere Welt. Da darf die Feier nicht bescheiden sein. © Schröder

Dreieinhalb Stunden bei „U Baby Beauty“ gesessen, eine Stunde Glätten, zwei Stunden Flechten, halbe Stunde Auftürmen. Und nun löst sich eine Strähne? Evelyn verdreht die Augen, das Weiße leuchtet in der Dämmerung. „Ich werd’ wahnsinnig! Ich dreh’ dieser Friseurschlampe den Hals um!“, ruft sie und durchwühlt ihre Handtasche, irgendwo müssen Haarnadeln sein. Evelyn schüttelt den Kopf, seufzt, eine zweite Strähne fällt ihr ins Gesicht. Sie hält sich eine Hand vor die Augen, schnieft. „So kann ich nicht vor ihn treten“, flüstert sie. „Was sollen die Leute von mir denken?“

Evelyn steckt vor dem Seitenspiegel eines Autos die Strähnen fest, legt Lippenstift nach. Der Himmel wechselt von tintenblau zu schwarz mit Sternen, früher Abend in La, ein Vorort von Ghanas Hauptstadt Accra. La, das ist ein Marktplatz voll hupender Fahrzeuge, schreiender Händler, Bergen bunter Früchte und toter Tiere, drumherum ein dunkles Labyrinth aus engen Gassen, niedrigen Hütten, winzigen Läden. Männer stehen vor Grillbananen-Ständen, Mütter waschen Kinder in Plastikschüsseln, Telefone leuchten.

Irgendwo läuft lauter Reggae. Er kommt aus einem Hinterhof, aus zwei hohen Lautsprechern, davor tanzen Dutzende Menschen. „Da sind wir, es kann losgehen!“, ruft Evelyn und lacht, dann taucht sie ein in die Masse. Die Musik dröhnt im Kopf, der Bass bohrt sich in den Magen, die Leute schnipsen, pfeifen, klatschen. Die Männer tanzen dicht an den Frauen, die Frauen kreisen die Hüften, schwingen die Arme über dem Kopf. Die Luft steht, die Männer tragen schwarze Hemden, die Frauen schwarze Kleider, es riecht nach Parfüm und Schweiß.

Samuel Asamani, der eigentlich anders heißt, sitzt hinter seinen Plattentellern, die Finger an den Reglern. Sonntagsmessen in den vielen Kirchen von La, Parties am Strand, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen –wenn die Menschen im Viertel feiern, feiern sie zum Sound von DJ Sam. Samuel ist ein massiver Mann, schwarzer glänzender Anzug, weißes Hemd, schwarze Fliege. An der Decke glitzert eine Discokugel. Der DJ blickt nach vorn, sein Gesichtsausdruck ist starr, seine Hände steif.

Samuel Asamani ist tot, gestorben am 10. August 2017, mit 36 Jahren. An diesem Freitagabend, acht Wochen nach seinem Tod, im Hinterhof des Hauses seiner Eltern in La, unter einem Himmel voller Sterne und Flaschen mit Whiskey und Bier in den Händen, verabschieden sich Familie, Verwandte, Freunde, Nachbarn von ihm.

Plakate an der Hauswand

Samuel Asamani hatte einen Elektroladen. Gebrauchte Fernseher, Bügeleisen, Wasserkocher, der übliche Kleinkram. Tagsüber arbeitete er an den Geräten, abends und an Wochenenden als DJ, zu Hause war er nur zum Schlafen. Vor einigen Jahren starb seine Frau, um den Sohn kümmern sich seitdem ihre Schwestern. Die anderen Männer in Samuels Familie sind Fischer, Samuel war der Großverdiener. Jeden Monat brachte er um die 1000 Ghana Cedi nach Hause, etwa 180 Euro – das ist viel gemessen an Ghanas durchschnittlichem Jahreseinkommen von 1200 Cedi. Als bei Samuel ein leichter Schlaganfall diagnostiziert wird, bringen seine Brüder ihn ins Krankenhaus. Eine Woche später stirbt er.

„Wir haben viel geweint um ihn und wir werden noch viel weinen“, sagt sein Vater, sein Blick ist glasig, er schwankt leicht. „Samuel war so ein fröhlicher Junge“, sagt seine Mutter, sie trägt ein glänzendes, schwarzes Kleid, Goldketten, goldene Ohrringe, einen Topf mit Reis und Huhn. „Sieht er nicht wunderschön aus?“ flüstert Evelyn, sie steht vor Samuels Leiche und strahlt.

Evelyn ist Samuels Cousine, klein, große Augen, gerade 26 geworden. „Er war wie ein großer Bruder“, sagt sie. Ein Freund von ihm hatte die DJ-Idee, die Familie war einverstanden. Evelyn fuhr zu den Sarg-Werkstätten an der Küstenstraße in Teshie. Maiskolben für Farmer, Krebse für Fischer, Mehlsäcke für Bäcker, Zigaretten für Kettenraucher, Bibeln für Priester, es gibt nichts, was die Sargmacher nicht bauen. „Wie wär’s mit einem Mikrofon?“ schlug einer vor, „dein Cousin hat doch sicher auch gesungen? Nein? Dann vielleicht ein Tape? Noch besser würde ein Schallplatten-Sarg aussehen. Allerdings müsst ihr die Leiche sehr stark verbiegen lassen, das ist nicht billig, Schwester.“

Evelyn gab ein langes rechteckiges DJ-Pult in Auftrag, schwarz lackiert, viele Knöpfe, diverse Regler, zwei Plattenteller. Sie ging zu ihrer Schneiderin, ließ einen schwarzen glänzenden Anzug nähen. Sie buchte zwei Frauen, die Leichen in Form bringen, schminken, ankleiden, sich um Kulissen und Dekoration kümmern. Die Eltern ließen Plakate mit Samuels Foto und den Terminen seiner Beerdigung drucken, sie hängen an Häuserwänden im ganzen Viertel. Die Familie kaufte Trauer-Kleidung. Die Frauen gingen zum Friseur. Alles in allem gaben Samuels nächste Angehörige um die 20 000 Cedi für die Beerdigung aus, das Zwanzigfache seines Monatseinkommens. Gut investiertes Geld, findet der Bruder. „Eine Beerdigung muss perfekt sein, wirklich perfekt.“

Auf dem Hof läuft Highlife, ein ghanaischer Mix aus Jazz, Brass und afrikanischer Musik, zwei Männer mit Trommeln heizen der Menge ein, ein breiter Mann drückt eine zierliche Frau in eine Ecke, sie kichert. Vor der Hütte mit Samuel stehen Gäste Schlange. „Sie haben ihn als DJ aufgebahrt, bist du sicher?“ –„Ja, und die anderen erzählen, dass es richtig echt aussieht.“ – „Machst du Fotos?“ – „Na klar, so etwas bekommt man nicht jedes Wochenende geboten!“ Samuels ältester Bruder öffnet von innen die Tür, lässt sechs Leute heraus und sechs Leute hinein. Die Gäste stehen vor Samuels Leichnam, schauen, schweigen, manche halten die Luft an. „Wahnsinn“, flüstert eine Frau. „Das hat eine Menge gekostet, er war der Familie wirklich viel wert.“ Handykameras blitzen, die Discokugel glitzert. Neben der Tür steht eine Holzbox, wenn die Besucher hinausgehen, stecken sie einen Briefumschlag hinein.

Als der Himmel von schwarz zu blau wechselt, verlassen die letzten Gäste wankend den Hof. In der Hütte stemmen sich sechs Männer das DJ-Pult auf die Schultern, schwarze Anzüge, weiße Handschuhe, rote Augen. Ein Kastenwagen fährt mit dem Pult durch die Gassen von La, über den Marktplatz, auf die Strandstraße, vor dem Friedhof von Ashaley Botwe hält der Fahrer an. „Mögen dich deine Vorfahren empfangen“, murmelt Samuels Vater mit Reibeisenstimme, als die Mittagssonne glüht. „Mögen sie dich in Frieden aufnehmen, mein Sohn.“

Aufruf zur Spende

Evelyn trägt das Kleid vom Vorabend, breitkrempigen Strohhut, XL-Sonnenbrille. „Amen“, sagt sie, schnieft und schluchzt. Später sitzt die Familie im Hinterhof. Samuels Bruder leert die Holzbox, 452 Umschläge, fast 7000 Cedi. Seine Beerdigung ist der lukrativste Gig, den DJ Sam je gegeben hat.

Ghana ist überwiegend christlich, die Menschen sind sehr religiös, zugleich spielt das Verehren der Ahnen als Teil des afrikanischen Naturglaubens eine zentrale Rolle. Der Tod gilt als Übergang in eine andere Welt, als Beginn eines neuen Lebens in der Gemeinschaft der Vorfahren. Dabei bestimmt die Art der Beerdigung, welchen Status der Tote in der nächsten Welt besitzt. Fällt die Zeremonie nicht angemessen aus, so glauben die Menschen, bereitet der Verstorbene seinen Angehörigen Ärger und Unglück. Der gesellschaftliche Druck ist enorm, eine bescheidene Zeremonie gilt als Schande.

„Wir sind sieben Geschwister, ich trage 20 Prozent der Gesamtkosten, die anderen jeweils zehn Prozent“, sagt Seth Obeng, der seinen Vater verloren hat. Auch er heißt in Wirklichkeit anders. „Der Anteil hängt von der Finanzkraft jedes Einzelnen ab.“ Seth sitzt auf einem Plastikstuhl vor dem Haus seiner Eltern in Ablekuma Agape im Nordosten von Accra. Entlang der staubigen Hauptstraße Imbissbuden, Werkstätten, Lädchen, ab und zu holpert ein Minibus vorbei, jeder grüßt jeden.

Das Haus der Obengs ist ein Ein-Raum-Gebäude mit Wasch- und Toilettenecke im Hof, über einem Feuer brodelt etwas in einem Topf, bunte kleine Hühner scharren in Gemüsebeeten. Seth liest und schreibt Whatsapp-Nachrichten und telefoniert, legt er auf, klingelt es wieder. Seth hat tiefe Augenringe und gähnt häufig. 34 Jahre ist er alt, groß und schlank, dicke Armbanduhr, neues Smartphone. Auf Seths Schoß liegt ein blaues Buch. Adressen, Aufgaben, Ausgaben, sein Projektüberblick. Ein Kollege gab ihm eine Liste mit sämtlichen Dingen, die zu erledigen sind.

„Vater ist am 9. August gestorben, aber mit einer Beerdigung wartet man, damit alle Verwandten in Ghana und im Ausland Zeit haben ihre Reise zu planen“, sagt Seth, er blättert im blauen Buch. „Seine Brüder wollten ihn in seiner Heimatstadt Oku im Osten beerdigen, aber dann hätten wir weit fahren und Hotelzimmer zahlen müssen.“

Seth hakt ab, kringelt ein, unterstreicht, schüttelt den Kopf. „Was da alles zusammenkommt. Ich frage mich immer wieder, wie sinnvoll diese Ausgaben sind. Schließlich ist er doch tot, oder?“ Seth schweigt. Im Haus zetern Frauen, ein Baby schreit. „Andererseits ist es unsere Pflicht als Kinder, ein Vater verdient einen angemessenen Abschied. Was sollen sonst die Leute von unserer Familie denken?“

Kurz vor zwölf steigt die Großfamilie Obeng in ihre Autos, der Leichenwagen holpert die Agape High Street hinunter, zwischen zwei Tankstellen führt ein Pfad zum Friedhof. Hohes Gras, umgekippte Grabsteine, Plastiktüten, Getränkedosen. Die Band auf dem Platz neben der Kirche spielt später immer lauter, die Gäste klatschen, tanzen, singen, fünf Mal in zwei Stunden ruft die Sängerin zum Spendengang auf.

Ein Kopfschütteln

Yaw Addo Frimpong rammt die Spitze eines goldfarbenen Kulis in seine Schreibtischunterlage. „Den Menschen ist gar nicht bewusst, wie viel Geld sie für Beerdigungen ausgeben. Deutlich mehr als sie in die Ausbildung ihrer Kinder investieren!“ Frimpong ist Soziologe, Unternehmensberater und Mitglied des ghanaischen Parlaments. „Je ärmer die Leute sind, desto mehr geben sie für eine Beerdigung aus, desto mehr verschulden sich“, sagt Frimpong. Der Abgeordnete schüttelt den Kopf. „In diesem Land“, sagt er, „zählt ein Toter mehr als ein Lebender.“

Am Abend sitzen die Obengs vor dem Haus, essen Suppe mit Bohnenmehlklößen. Kassensturz. Wie viel in der Box steckt, das bleibt geheim. „Alle Kosten sind nicht gedeckt“, sagt Seth nur. Er hat sein Notizbuch auf dem Schoß, tippt auf einem Taschenrechner und seufzt. Ein teures Unterfangen. Doch zumindest seine Nachfahren sollen es später besser haben. Für sich und seine Frau zahlt er jeden Monat in eine Beerdigungs-Versicherung ein, um ihre Kinder eines Tages nicht in die Pleite zu stürzen.

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