Heidelberger Institut für Plastination

Der Klang des Todes

In Heidelberg beginnt Anfang der 1990er Jahre die Geschichte der Plastination menschlicher Körper. Der Anatom Gunther von Hagens entwickelt das Verfahren. Mehr als 40 Millionen Menschen haben die Körperwelten-Ausstellung bislang gesehen. Ein Besuch im I

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Angelina Whalley (links) zeigt Redakteurin Lena Grocholl, wie ein Mensch plastiniert wird und wie viele einzelne Schritte dazu notwendig sind.

© Thomas Rittelmann

Es nieselt leicht, ein unangenehm kalter Wind peitscht über die Straße. Grauer Beton, schlichte Hauseinfahrt, ein großes Garagentor. Von außen sieht die Halle in Heidelberg, die einst eine Autowerkstatt war, unscheinbar aus. Nur ein dezentes Schild weist darauf hin, dass heute hier keine Autos mehr repariert und lackiert werden - sondern tote Menschen für die Ewigkeit konserviert. Im Heidelberger Stadtteil Rohrbach hat das Institut für Plastination seinen Sitz. Auch wenn die meisten Plastinate für die Körperwelten-Ausstellungen mittlerweile im brandenburgischen Guben hergestellt werden, beginnt die Geschichte der Plastination in Heidelberg.

1977 erfindet der Anatom Gunther von Hagens das Verfahren der Plastination am Anatomischen Institut der Universität Heidelberg. 1992 gründet von Hagens das Institut, das plastinierte Präparate für Ausbildungszwecke und für die Körperwelten-Ausstellung liefert, welche in Teilen erstmals 1995 in Japan gezeigt wird. Seine Ehefrau, die Ärztin Angelina Whalley, arbeitet seither als Geschäftsführerin für ihn und konzipiert die Ausstellungen. Sie ist es auch, die dem Reporter-Team an diesem nasskalten Tag einen Einblick in ihre Arbeit gewährt.

Neugier und Faszination

Wer das Institut betritt, hat nicht das Gefühl, sich an einem Ort zu befinden, der sich hauptsächlich mit toten Menschen beschäftigt. Helle Räume, betagter Bürohund und Kekse auf dem Tisch. Alles, wie in einem normalen Unternehmen. "Der Tod gehört zu unserem Leben", sagt Whalley. Die zum Teil heftige Kritik in der Vergangenheit an der Körperwelten-Ausstellung kann die Ärztin nicht verstehen. Die Besucherzahlen würden zeigen, dass ein großes Interesse am Inneren des Menschen bestehe. "In manchen Städten hatten wir 24 Stunden geöffnet, um den enormen Andrang zu bewältigen." Der Tod sei eben unausweichlich, sagt Whalley, das bereite natürlich vielen Menschen Unbehagen, wecke aber auch eine gewisse Neugier und Faszination.

Auf dem Weg in die Präparationsräume erklärt Whalley, dass viel mehr hinter dem Institut steckt als die Ausstellung mit den menschlichen Körpern. Bereits 1978 gründet von Hagens das Unternehmen Biodur für den Vertrieb von Kunststoffen zur Plastination sowie von Geräten und technischen Hilfsmitteln zur Herstellung von Plastinaten. "Kunden sind medizinische Einrichtungen in aller Welt, keine Privatpersonen", sagt Whalley. Heute werden die Kunststoffe an rund 400 Institutionen in 40 Ländern verwendet. Grundsätzliche würden alle Produkte wie auch Präparate nicht an Laien verkauft. "Es gab auch noch nie eine ernsthafte Anfrage aus dem Privatbereich", sagt Whalley. Es wäre auch kaum finanzierbar, Oma oder Opa mal eben plastinieren zu lassen.

Bis aus einem verstorbenen Mensch ein Plastinat wird, braucht es viele Arbeitsschritte - und Geduld. "Pro Mensch sind es etwa 1500 Arbeitsstunden", erklärt Whalley während sie die Türen zu den Plastinationsräumen öffnet. Weiss geflieste Wände, zwei Sektionstische, eine große Abzugsanlage. Die Halle erinnert an einen Obduktionssaal. Es riecht nicht unangenehm, leicht chemisch, nach Desinfektionsmittel. Auf einem Tisch liegt ein Toter, der sich zu Lebzeiten dafür entschieden hat, seinen Körper dem Institut zu spenden. Warum Menschen das tun, hat unterschiedliche Gründe, erklärt Whalley. "Viele Menschen wollen, dass mit ihnen nach dem Tod etwas Sinnvolles geschieht. Oder ihnen gefällt die Vorstellung, niemals beerdigt zu werden."

Muskeln freilegen

Statt unter die Erde zu kommen, wird bei der Plastination der Verwesungsprozess gestoppt, indem über die Arterien Formalin - eine Substanz zum Fixieren von Gewebe - in den Körper gepumpt wird. "Es tötet sämtliche Bakterien ab und verhindert durch chemische Prozesse den Zerfall des Gewebes", erklärt Whalley. Ist dieser Prozess abgeschlossen, werden mit Pinzette, Skalpell und Schere Haut, Fett- und Bindegewebe entfernt und die anatomischen Strukturen freigelegt.

Der tote Körper fühlt sich kalt, aber nicht leblos an, die Hautfarbe ist nur leicht fahl. Anders als erwartet, fließt beim ersten Schnitt in den Unterschenkel kein Blut. Es ist geronnen. Die Ärztin greift zum Skalpell und löst die Haut vorsichtig von Fett und Bindegewebe. Nach und nach werden die Muskeln sichtbar. Mit Pinzette und Schere wird in kleinsten Schritten alles um die Muskeln entfernt, sie sollen später freiliegen und einen Einblick in die Anatomie des Menschen geben. Erst wenn die gewünschten Strukturen herausgearbeitet sind, erfolgt die Konservierung durch die Plastination.

Die meisten Körperspender sind männlich und in einem recht hohen Alter gestorben, erläutert Whalley. Den Ausstellungsstücken ist dies später nicht anzusehen. Sie wirken durchweg alle jung und athletisch. "Das Fett wird entfernt und die Muskeln hervorgehoben." Auch das plastinierte Gesicht lässt keine Rückschlüsse mehr auf den Verstorbenen zu. "Viele Besucher meinen, einen Ausdruck, ein bestimmtes Gesicht, erkennen zu können", sagt die Ärztin. Doch die Individualität des Äußeren sei durch das Fehlen von Haut und Unterfett nicht mehr möglich. Die Augen der Plastinate sind zum Großteil nicht echt. "Denn es ist sehr schwer, das Auge in einem natürlichen Zustand zu erhalten."

Die Plastination ist nicht nur Arbeit am Mensch, sondern auch Chemie. Denn der Plastinationsprozess selbst basiert auf zwei Austauschprozessen, erklärt Produkt-Manager Volker Schill. Der Mensch besteht zu 70 Prozent aus Körperwasser, dieses wird in einem ersten Schritt durch ein Lösungsmittel, etwa Aceton, ersetzt. Dazu wird das Präparat in ein kaltes Acetonbad gelegt, welches das Körperwasser herauslöst. Dieser Prozess dauert je nach Größe des Präparats zwei Wochen bis sechs Monate. Anschließend wird das Acetonbad auf Raumtemperatur erwärmt, um die löslichen Fette aus dem Gewebe zu entfernen.

Nadeln und Drähte fixieren

"Nun folgt die forcierte Imprägnierung, sie ist der zentrale Schritt in der Plastination", sagt Schill. Das Aceton wird in einer Vakuumkammer gegen einen Kunststoff, zum Beispiel Silikonkautschuk, ausgetauscht. Durch das Vakuum beginnt das Aceton zu sieden. Das aus dem Gewebe ausgasende Aceton wird abgesaugt, und der im Präparat entstehende Unterdruck sorgt für das Eindringen der Kunststofflösung bis in die letzte Zelle. Dieser Vorgang dauert zwei bis fünf Wochen.

Danach ist der Körper noch flexibel. "Wir bringen ihn in die gewünschte Pose", erklärt Whalley. Mit Drähten, Nadeln, Schaumstoffblöcken und Klammern wird das Präparat fixiert. Wie es möglich ist, dass die Menschen in jeder erdenklichen Position stehen bleiben, verrät Whalley nicht. "Natürlich haben wir da unsere Tricks." Gleich neben der Ärztin steht der Gitarrenspieler, ein Präparat, weit nach hinten gelehnt, eine Gitarre spielend. "Er wird im Moment in Heidelberg aufbereitet und wird in der Ausstellung in Stuttgart zu sehen sein." Egal, wie gut konserviert ein Körper ist, mit der Zeit staubt dieser sein. Mit Wattestäbchen wird der Gitarrenspieler vom Schmutz befreit. Ist ein Ausstellungsstück in Pose gebracht, wird es gehärtet. Mit Silikon imprägnierte Präparate werden mit einem speziellen Gas gehärtet. Für andere Kunststoffe, wie Polyester und Epoxidharze, wird Licht oder Wärme verwendet.

Schicksale des Lebens

Dass die Posen der Exponate - etwa zwei Menschen beim Sex oder eine schwangere Frau - mitunter für Kritik gesorgt haben, kann Whalley nachvollziehen, aber weder sie noch ihr Mann wollten damit provozieren. "Das ist unser Leben. Dazu gehören auch Schicksale, wie der Tod in der Schwangerschaft." Sie lege zudem viel Wert auf eine ausdrucksvolle Präparation des Gesichts. "Wir haben bemerkt, dass sich die Ausstellungsbesucher stärker mit dem Präparat identifizieren, je ansprechender und bewundernswerter dieses aussieht. Und sie denken mehr über sich und ihren eigenen Körper nach." Wenn wir wissen, wie es in uns aussieht, würden wir die ein oder andere schlechte Angewohnheit womöglich noch mal überdenken. "Wer einmal eine Raucherlunge gesehen hat, wird so schnell nicht mehr zur Zigarette greifen", erläutert Whalley. "Auch wenn man den Tod sieht, in den Ausstellungen geht es vielmehr um das Leben."

Ob die Arbeit mit Leichen den Blick auf den Tod verändert, kann Whalley nicht pauschal bestätigen. "Ich dachte immer, ich bin recht abgeklärt, das hat allerdings sich geändert, als meine Eltern gestorben sind." Sie schätze das Leben und genieße es, weil sie wisse, dass die Zeit auf der Erde begrenzt ist, erklärt Whalley. Ihr Ehemann Gunther von Hagens ist an Parkinson erkrankt, in einem früheren Interview äußerte er den Wunsch, nach seinem Tod von seiner Frau plastiniert zu werden. "Das hat er ernst gemeint", sagt Whalley. Und sie wolle ihm den Wunsch erfüllen. "Es ist ein wundervoller Liebesbeweis."

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