Zum Schenkelklopfen

Die Zeiten sind rau. Da kann man schon fragen: Was macht eigentlich der Witz? Früher war er eine populäre Mund-zu-Mund-Volkskunst, heute scheint die Gesellschaft immer humorloser zu werden.

Von 
Gunnar Leue
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An ihm scheiden sich die Geister: Fips Asmussen, im Bild vor seiner Stammkneipe „Prösterchen“ in Wolfenbüttel, die auch Hauptdrehort der Sendung „Humoristen des Nordens“ ist. Die Komikerlegende ist vergangenes Jahr 80 geworden. © dpa/NDR

Fußball geht immer. Gerade die WM-Pleite der DFB-Elf hatte in den Whatsapp-Kanälen eine Flut von bebilderten Witzen und Gagfilmchen ausgelöst. Es ist nur ein Beispiel dafür, dass Spott über spotttaugliche Ereignisse bevorzugt digital ausgeschüttet wird. Dass der digitale Flachwitz den mündlichen Witz abgelöst hat, könnte man jetzt kalauern. Die Zeiten haben sich eben geändert.

Doch natürlich gibt es sie noch, die analoge Witzelei. Etwa von Fips Asmussen, dem – laut Eigenreklame – „Gottvater des Humors“. Der 80-Jährige ist schon fünf Jahrzehnte im Humorgeschäft. Als „Possenreißer mit Grütze im Kopf“ frönt er auch dem unanständigen Witz, wie er seine Zoten nennt. Asmussens Auftritte sind gut besucht. Viele, vor allem Männer, wollen die Legende des deutschen Schenkelklopferhumors noch mal live sehen, denn auch mit Grütze im Kopf lebt man nicht ewig.

Von Mund zu Mund

Als Asmussen vor fünf Jahrzehnten anfing, war Witzeerzählen noch Popkultur oder Volkskultur, wie man es damals nannte. An Stammtischen und auf Familienfeiern ging der Direkthumor im fortgeschrittenen Suffstadium von Mann zu Mann, von Mund zu Mund. Nicht nur in der Bundesrepublik, wo Asmussen Millionen Schallplatten verkaufte, sondern auch in der DDR. Dort wurde der Witz vor allem als Mittel genutzt, um den oft trüben Verhältnissen etwas Lustiges abzugewinnen.

Weil er die DDR-Witze über Versorgungslage, Staatsführung oder Dummheit von Stasi und Volkspolizei als Stimmungsbarometer des Ostvolkes wertete, hatte der westdeutsche BND sie sogar gesammelt und dem damaligen Kanzler Kohl in einer Witzeakte vorgelegt. Zudem veröffentlichte Anfang der Fünfzigerjahre das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Heftchen mit Anti-SED-Witzen.

Die DDR-Staatsmacht nahm die Lächerlichmachung ihrer selbst damals extrem ernst, was sofort mit schwarzem Humor quittiert wurde: „Was ist ein 08/15 Witz? Ein Witz, der in acht Sekunden erzählt ist und für den man dann 15 Jahre sitzen muss.“

So was hat sich zum Glück erledigt. Leider scheint heute aber auch die Eigeninitiative bei der Volksbelustigung größtenteils out. Und auch das reine Witzeerzählen auf der Bühne, ohne Video-Schnickschnack und rotem Programmfaden, war jüngst wenig angesagt. Zwischen Kabarett, Satire- und Comedyshows scheint kaum Platz für das Subgenre im modernen Humorwesen. Neuerdings laufen im Privatfernsehen wieder Sendungen wie „Richtig witzig“ auf Sat 1 mit Hugo Egon Balder oder die „Witze-Arena“ im RTL-Spätprogramm, bei der Markus Krebs, ein ehemaliger Baumarktleiter, gern auch in Asmussen-Tradition humorisiert.

Warum die Lust am vulgär-sexistischen Witz nach wie vor groß ist, kann Sigmund Freud postum erklären. Der Wiener Psychoanalytiker hatte sich vor 100 Jahren auch mit dem Zotenreißen befasst und in seiner Abhandlung „Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewussten“ die Spur der verborgenen Wünsche aufgenommen. „Er fand heraus, dass sich Unbewusstes in der Sprache artikuliert: im Traum, in der Fehlleistung und eben im Witz“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Judith Kasper. „Freud ging es um das Aufblitzen des Verdrängten und um die Abfuhr von Affekten sexueller Natur. Als Traumanalyst hat er auch festgestellt, dass viele Träume irgendwie witzig sind und dass die Aggression im Witz besonders dann zum Ausdruck kommt, wenn man unter starker psychischer oder politischer Zensur leidet.“

Vor allem in der Zeit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts habe es eine große Rolle gespielt, wie man sich eine Art von Witzigkeit aneignete. Der legendäre jüdische Witz, der in seiner Tiefe, pfiffigen Hintergründigkeit und Selbstironie quasi das Gegenstück zur deutschen Karnevals-Witzigkeit darstellt, bildete sich etwa heraus, als die Glaubensstrenge allgemein bröckelte und sich auch viele Juden ein Ventil aus ihrer religiösen Vorschriftenkultur suchten. Andererseits ist der jüdische Witz ein Produkt ihrer Leidensgeschichte, da sich die Juden praktisch überall Anfeindungen gegenüber sahen. Denen konnten sie oft nicht anders begegnen als mit Galgenhumor.

„Wenn Juden über sich selbst Witze reißen, ist das aber natürlich etwas anderes, als wenn die Gesellschaft das tut“, beschreibt Judith Kasper den Unterschied zum antisemitischen Judenwitz. Und: „Ein gelungener Witz ist eigentlich nur der, bei dem alle Beteiligten drüber lachen konnten, das Lachen also gemeinschaftsstiftend ist.“

Was kein Plädoyer für politisch korrekte Witze sei. „Das Unter-die-Gürtellinie-gehen gehört halt zur Unberechenbarkeit des Witzes dazu“, sagt Judith Kasper. Politische Korrektheit sei dagegen abgesichertes Reden, bei dem man kein Risiko auf sich nehmen wolle.

Etwas drastischer drückt es der jahrzehntelange Humorkritik-Kolumnist der „Titanic“ aus. Hans Mentz, was in Wahrheit ein Pseudonym für mehrere Autoren ist, nennt es unmöglich, „in einem Einzeiler die Rolle der Frau, die Rolle des Migranten, des Juden oder des Behinderten durchzudeklinieren“. Political Correctness und Witz sei einfach keine funktionierende Verbindung. Ebenso wie Lachen und Niveau. „Es gibt kein niveauvolles Lachen, so wie es keinen niveauvollen Orgasmus gibt.“ Beides seien unwillkürliche Äußerungen. Wenn der Witz gut ist, müsse er einfach raus.

In dem Punkt gehen die Meinungen vermutlich auseinander. Auch wenn Judith Kasper weniger Zugeständnisse an den platten sexistischen Witz macht als die Herren von der „Titanic“, verweist sie doch auf Grundsätzliches: Witze würden viel davon vermitteln, was in der Gesellschaft sagbar ist oder wie es um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern bestellt ist. Letztlich sei der Witz abfälliges Reden. „Aber wenn man in den Abfalleimer schaut, erkennt man doch einiges über den Zustand der Gesellschaft.“ Dass man eine Kultur am Grad ihrer Witzigkeit messen könne, an der Leichtigkeit, mit der sie Problemen begegne – das glaubt Judith Kasper durchaus.

Britisches Lach-Labor

Wo die Unterschiede im Witzigkeitsverständnis der Völker liegen, das haben britische Wissenschaftler zu ergründen versucht, wer sonst. Der Psychologie-Professor Richard Wiseman hat ein „Lach-Labor“ ins Leben gerufen und zwei Millionen Menschen weltweit 40 000 Witze online bewerten lassen. Am Ende gewann ein von einem englischen Psychiater eingesandter Witz, der nicht der Oberbrüller ist, jedoch über Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg Zustimmung erhielt. Er geht so: Zwei Jäger sind im Wald unterwegs, als einer von beiden zusammenbricht. Der Atem geht nicht mehr. Der andere ruft mit dem Handy den Notarzt an und keucht: „Mein Freund ist tot. Was kann ich tun?“ Antwort: „Beruhigen Sie sich. Zuerst müssen wir sicher sein, dass er wirklich tot ist.“ Daraufhin ist Stille, dann ein Schuss und die Frage: „Okay. Und nun?“

Spannender als der vermeintlich lustigste Witz der Welt war das Umfrageergebnis, wonach es nur bedingt universalen Humor gibt und Witzigkeit zum Teil sehr länderspezifisch ist. So würden die Deutschen angeblich über fast alles lachen und die Kanadier über relativ wenig. Und während Briten, Iren, Australier und Neuseeländer Fan von Wortspielen seien, würden Franzosen, Dänen und Belgier surreale Witze mögen oder solche, die sich über normalerweise beängstigende Dinge lustig machen. Eines steht übrigens fest: Sobald in einem Witz Enten mitwirken, steigt die Lachwahrscheinlichkeit weltweit am stärksten.

Freier Autor

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