Wenn ein Museumsgründer zu hören bekommt, dass man nur wegen seinem Museum nach Europa gekommen ist, macht das stolz. Hansjörg Schneble (Jahrgang 1941) kann aber auch so wirklich stolz auf sein Werk sein, denn das Deutsche Epilepsiemuseum in Kehl-Kork im Ortenaukreis ist das einzige auf der Welt.
Schon seit Tausenden von Jahren treibt diese Krankheit die Menschen um. Ein paar hundert Namen hat die Epilepsie bekommen, darunter „heilige Krankheit“, aber auch weniger schöne wie „böses Wesen“.
So viele Vorurteile
Aber der Reihe nach. Das Epilepsiezentrum in Kehl-Kork gehört zu den bundesweiten Kapazitäten in der Behandlung dieser so seltsamen Krankheit. Vorurteile gab und gibt es genug, so zum Beispiel dass sie vererbbar sei oder, noch schlimmer, ansteckend. Oder, dass jeder Epilepsiekranke behindert ist.
Da hat sich vieles gebessert, berichtet der ehemalige Leiter der Korker Kinderklinik Hansjörg Schneble. Selbsthilfegruppen, Aufklärung und vielleicht auch ein bisschen das Museum im Obergeschoss einer ehemaligen Brauerei haben dazu beigetragen, dass über die „die gefrässige Krankheit“ heute anders gedacht wird.
Heilige sollten Schutz bringen
Alle 2000 Exponate, darunter etliche rare Bücher, stammen aus Schnebles Fundus. In elf Räumen wird die Krankheit erklärt – von der frühesten Vergangenheit bis heute. Die Babylonier befreiten 900 v.Chr. Anfallskranke von der Arbeit, wie auf einer Keilschrift zu lesen ist. Der griechische Arzt Hippokrates war der erste, der schon ziemlich genau wusste, wo die Ursachen liegen (im Gehirn) und das ganz ohne technische Hilfsmittel. Aus jener Zeit ist überliefert, dass Sklaven vor dem Verkauf auf eine rotierende Töpferscheibe schauen mussten, auf die Wassertropfen fielen. So wollte man sicher gehen, dass die Sklaven nicht anfallskrank sind, denn auch Lichtreflexe können Anfälle auslösen.
Im Laufe der Jahrhunderte ging viel Wissen verloren. Heilungsversuche mit Pfingstrosen, Baldrian und Fingerhut oder im islamischen Raum mit Kreuzkümmel, das angeblich gegen alles, außer dem Tod hilft, brachten null. Auch knallige Farben halfen nicht.
40 Heilige sollten Schutz bringen, nur die Pest hatte mehr. Im Mittelalter klopften selbst ernannte Heiler – es waren Kurpfuscher – den Schädel auf, um einen Stein herauszuholen, der für das Leiden verantwortlich war. Alles Schwindel. Aber, es ging noch schlimmer. Aus dem Jahr 1803 ist überliefert, dass man das frische Blut des geköpften Schinderhannes als Medizin soff, um die Anfälle zu lindern.
Die Einsamkeit der Kranken
Das Museum jagt nicht den Sensationen hinterher, sondern bildet differenziert den Weg der Wissenschaft ab. Durch die Erfindung des EEG (Elektroenzephalografie) konnten Hirnströme gemessen und lokalisiert werden, wo das „Gewitter im Kopf“ stattfindet. Wirksame Substanzen wie Brom wurden gefunden, seit ein paar Jahrzehnten wird gezielt geforscht und alle paar Jahre gibt es bessere Medikamente. Das Museum deckt so gut wie alles ab, ob nun Helme mit Sicherheitsbügel, Heiligenbilder oder auch Kunstwerke, wie eine Kopie eines Gemäldes von Raffael. Beeindruckend ist das Gemälde eines unbekannten Malers, der Van Gogh verkrampft auf dem Boden liegend gemalt hat. Eine Plastik zeigt einen krampfenden Menschen auf den Windungen eines Gehirns, das bei anderer Sichtweise auch eine Schnecke ist. Das wäre ein Symbol für die Einsamkeit der Kranken, erklärt Schneble. Eine Portraitgalerie rundet den Gang durch die Krankheitsgeschichte ab. Napoleon hatte Epilepsie, genauso wie sein Gegenspieler, Kaiser Franz von Österreich. Über den Musiker Prince ist bekannt, dass er Epileptiker war. Ebenso Neil Young. Rudi Dutschke war es auch, allerdings erst durch das Attentat. Wer nach Kork geht, weiß mehr. Da es noch ein Museum alter Schule ist, ohne Filme, Audioguide und Touchscreen, sollte man unbedingt für eine Führung nachfragen. Hansjörg Schneble macht das gern. Es ist seine Mission.
Das Museum
Das Deutsche Epilepsiemuseum, Oberdorfstraße 8, Kehl-Kork, hat sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Führungen auf Anfrage: info@epilepsiemuseum.de
Tipp: In der Alten Landschreiberei befindet sich ein integratives Café (Mittagessen, Kaffee und Kuchen) mit Garten, es hat täglich von 9.30 bis 18 Uhr geöffnet.
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