Erzieher als Traumberuf? Die 44-jährige Sarah Drewek lacht. „Für mich auf alle Fälle. Ich wollte nie etwas anderes machen. Kinder sind unser Kapital, unsere Zukunft!“ Ein strahlender Sommertag im August in Pullach bei München. Die Gemeinde im grünen Isartal zählt zu den kaufkräftigsten Deutschlands. Seit elf Jahren leitet Drewek, verheiratet und Mutter einer fünfjährigen Tochter, die Kindertagesstätte Mäuseburg der Arbeiterwohlfahrt.
Neun pädagogische Fachkräfte, fünf Kinderpflegerinnen, eine Erzieherin im Anerkennungsjahr sowie drei Praktikantinnen und eine Hauswirtschafterin betreuen hier werktags von 7.30 bis 17 Uhr 92 Kinder zwischen ein und sieben Jahren in der Krippe oder im Kindergarten. Der Anstellungsschlüssel in der Mäuseburg liegt beim empfohlenen Wert von eins zu zehn. Dieser Erzieher-Kind-Schlüssel ist neben der Gruppengröße sowie der Qualifikation des pädagogischen Personals ausschlaggebend für die Strukturqualität einer Kita.
Erzieher gilt als einer der stressigsten Jobs überhaupt, das Risiko von Krankheit und Burn-out ist deutlich höher als in anderen Berufen. Abschreckend wirken für Drewek die hohe Arbeitsbelastung, das geringe Gehalt, mangelnde gesellschaftliche Anerkennung und Karrierechancen sowie die fünfjährige Erzieherausbildung, in der die angehenden Pädagogen nichts verdienen. „Viele Erzieher stemmen nebenbei einen Zweitjob, um auf einen grünen Zweig zu kommen.“
„Ein schlechter Scherz“
Dabei würden Erzieher händeringend gesucht – aber: „Die Suche nach Erziehern an Schulen oder Universitäten ist ein schlechter Scherz“, klagt Drewek. Auf Berufsmessen gebe es ein oder zwei Stände. „Womit soll man denn für den Erzieherberuf werben? Mit dem Klischee der Kaffeetassen schwenkenden Basteltante?“ Drewek fordert: Die klassische Erzieherausbildung sollte beibehalten werden, um die hohe Qualität in Kindertagesstätten nicht zu gefährden. „Aber die Erzieherausbildung sollte endlich einem Sozialpädagogik-Studium gleichgestellt werden. Dann könnte der Beruf auch für Männer attraktiver werden.“
In der Mäuseburg arbeiten immerhin fünf Männer. Bundesweit liegt der Männeranteil bei 5,85 Prozent. Die Krux: Erzieher gilt als Frauenberuf mit hohem sozialen Engagement und niedrigem Status. Männliche Erzieher bleiben also Exoten. Drewek hat die Erfahrung gemacht, dass sie nicht selten mit einem Pädophilie-Verdacht konfrontiert werden. „Das schreckt viele männliche Kandidaten ab.“
Und es geht noch schlimmer: Manche Eltern scheuten sogar nicht davor zurück, eine angebliche Ohrfeige oder ein vermeintliches Schütteln ihres Kindes als Repressalie für einen spontanen Kindergartenwechsel zu missbrauchen. „Ich habe diese Fälle bewusst beim Jugendamt zur Anzeige gebracht, um die Eltern zur Räson zu bringen und mich damit schützend vor meine männlichen Erzieher zu stellen“, berichtet Drewek. Innerhalb der letzten zehn Jahre habe es drei solcher Fälle in der Mäuseburg gegeben.
„In meinem Kindergarten existiert ein gutes Schutzsystem. Nicht nur die Kinder, sondern auch die Mitarbeiter müssen vor unberechtigten Anschuldigungen geschützt werden.“ Paradoxerweise hat sie noch nie erlebt, dass eine Erzieherin wegen eines sexuellen Fehlgriffs oder einer Ohrfeige an den Pranger gestellt wurde.
Manche Eltern würden heutzutage mit ihrer Erwartungshaltung übers Ziel hinausschießen: Krippe, Kindergarten und Hort gelten als günstige Möglichkeit, ein Kind zu bespaßen. Die Kinderbetreuung solle wenig kosten, aber optimalen Service bieten. „Ein Betreuungsplatz im Kindergarten kostet von morgens bis abends 160 Euro monatlich. Das kostet ein Babysitter für ein paar Stunden.“
Angemessene Bezahlung
Die Förderung von Kindern sei aber kein Selbstläufer, sondern müsse angemessen honoriert werden. „Die Schnäppchenjagd hat mittlerweile den Kindergarten erreicht. Als ob es eine Erziehung beim Discounter gäbe“, ärgert sich Drewek. „Wenn wir aber im Kindergarten auf Bio-Essen umsteigen und die Preise erhöhen, stöhnen Mütter und Väter.“
Die Verhältnismäßigkeit sei aus den Fugen geraten, Qualität solle nichts mehr kosten. Oft würden Eltern erwarten, dass der Kindergarten gleich das komplette Ausflugsprogramm übernehme – vom Museum über den Tierpark, Märchenwald bis hin zum Flughafen und zur Oper. Privat würden Familien das am Wochenende gar nicht mehr alles schaffen. Gegen solche Luftschlösser ist Drewek immun. „Wir sagen den Eltern klipp und klar, was unser pädagogisches Konzept ist und dass wir kein Freizeitpark sind.“
Auf die Palme bringen sie aber die erzieherischen Konflikte. In Dreweks Mäuseburg sei zum Beispiel klar geregelt, dass kein Spielzeug in die Kita mitgebracht werden darf. „Manche Eltern schaffen es nicht, dass ihre Kinder den Teddybären oder die Lieblingspuppe zu Hause lassen. Stattdessen sollen wir ihnen diesen Konflikt abnehmen. Das geht nicht!“ Erziehung beginne zu Hause. Wenn Eltern keine festen Abläufe und Regeln mit ihren Sprösslingen festlegten, könnten die Erzieher nicht immer dafür in die Bresche springen, so Drewek.
Den Vergleich mit dem „Kita-Paradies“ Skandinavien kontert sie gelassen. „Deutschland neigt dazu, in der Altenpflege oder in der Kinderbetreuung nach Holland oder nach Skandinavien zu schielen, anstatt selbst etwas strukturell zu verbessern.“ Für Drewek liegt die Lösung des Problems auf der Hand: „Nur wenn Erzieher und Lehrer wieder Spaß in ihrem Beruf haben, kann sich etwas zum Positiven verändern.“ Ihr Appell: Auch Kinder in bildungsfernen Familien müssen besser unterstützt werden. Drewek hofft, „dass Kinder, Familien und Erzieher genau dort unterstützt werden, wo es seit Jahren überfällig ist.“
Sarah Drewek
- Sarah Drewek, geboren am 29. Januar 1974 in Göttingen, macht nach einer klassischen Erzieherausbildung ihr Anerkennungsjahr in einem Kinderhaus.
- Sie arbeitet fünf Jahre lang in einem Mutter-Kind-Kurheim auf der ostfriesischen Nordseeinsel Spiekeroog, danach in einem Kurheim an der Ostsee. Sie lernt ihren Ehemann Frank kennen und bekommt eine Tochter, die heute fünf Jahre alt ist.
- Seit 2005 arbeitet sie für ein Haus für Kinder in Pullach, seit elf Jahren als Leiterin. Die Kindertagesstätte Mäuseburg der Arbeiterwohlfahrt beteiligt sich am Pilotprojekt „Kivobe: Kindern vorurteilsbewusst begegnen“, gefördert vom Europäischen Sozialfonds und dem Bundessozialministerium.
- Klischeehafte Geschlechtererrollen und stereotype Einschätzungen eines Menschen wegen Hautfarbe, Herkunft und Aussehen werden kritisch hinterfragt. Das Ziel ist es, Vielfalt zu leben und anzuerkennen, Kinder zu mehr Mitbestimmung und Toleranz zu animieren.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-lifestyle-wir-sind-kein-freizeitpark-_arid,1327209.html