Ein Weißwust-Frühstück mit einem Weißbier dazu? Ein No-Go für den zweimaligen Kickbox-Weltmeister Sebastian Preuss. Der 29-jährige Münchner Modellathlet mit dem Sixpack beißt in eine Butterbrezel und genießt seinen Kaffee schwarz, ohne Milch. Am Vorabend hat er hart im Studio trainiert, alles gegeben. „Ohne eine gesunde und bewusste Ernährung könnte ich keine sportliche Höchstleistung bringen. Nebenbei führe ich einen Handwerksbetrieb. Alkohol, Süßes oder Fett sind Gift für die Muskeln und würden den Sportler in mir killen.“ Stattdessen gibt es morgens eine Schüssel Haferflocken mit Banane und Kokoswasser. Danach geht es direkt ins Gym.
Fünfmal pro Woche feilt er morgens vor der Arbeit gemeinsam mit seinem Coach Mladen Steko an seiner Kampftechnik als Kickboxer, abends nach der Arbeit gibt er dann beim Training Vollgas, mit einem Maximalpuls bis zu 180 Herzschlägen pro Minute. Zwischen den Trainingseinheiten sorgt er dafür, dass im eigenen Handwerkbetrieb mit zwei Festangestellten alles rund läuft. Er kümmert sich um Aufträge, besucht Baustellen, macht Abnahmen und Nacharbeiten oder springt ein, wenn Not am Mann ist. „Das harte Training und parallel die Verantwortung für einen Betrieb zu schultern, sind kein Zuckerschlecken. Ich muss mich immer wieder neu motivieren. Gleichzeitig macht es mir riesigen Spaß. Wenn es eine Qual wäre, würde es nicht funktionieren.“
Nicht immer läuft es so rund in seinem Leben. Auch die Schattenseiten sind ihm vertraut. „Früher war ich ein richtiger Ausreißer. Meine Mutter war alleinerziehend und sehr darauf fixiert, Geld zu verdienen und die Familie mit drei Kindern zu versorgen.“ Der Teenager wächst vaterlos auf. Er hat keinerlei Kontakt zum Vater, heute ist es ihm egal. „Aber als Jugendlicher ist es sehr schwer, ohne jeglichen väterlichen Bezug groß zu werden. Mir fehlten klare Regeln und ab und zu ein Dämpfer, dass es so nicht geht. Ich hatte keinen, der mich an den Ohrwascheln gezogen oder den Kopf gewaschen hat. Ich war ziellos.“ Disziplin und Werte sind Fremdwörter. Ein falscher Freundeskreis mit schlechten Vorbildern bringt ihn auf die schiefe Bahn, er wird zum Straßenschläger.
Geburtstag hinter Gittern
„Plötzlich war es cool, seine Kräfte mit anderen zu messen, sich zu beweisen. Also prügelten wir uns und schlugen uns die Nasen ein, statt zu Lernen oder Hausaufgaben zu machen. Jeder wollte der Stärkste, der Coolste sein.“ Bei den Schlägereien bekommt er das Schulterklopfen, das er immer vermisst hat. Und Anzeigen gelten in diesen Kreisen als Ritterschlag, man ist immer mit einem Bein im Gefängnis. Bis das Maß voll ist: Die Strafanzeigen wegen Körperverletzungen häufen sich, der Polizei wird es zu bunt. Wegen akuter Wiederholungsgefahr landet er für fünfeinhalb Monate in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München. Seinen 19. Geburtstag verbringt er hinter Gittern. Ein Schock fürs Leben. „Eine harte, bittere Zeit. Im Knast habe ich hässliche Dinge erlebt. Aber ich konnte in Ruhe nachdenken: Was will ich und vor allem was nicht?“ Eines ist sonnenklar: So wie bisher will er keinesfalls weitermachen.
Raus aus der Haft, mutiert Preuss vom Saulus zum Paulus: Er trennt sich von falschen Freunden, beendet seine Malerausbildung und gründet mit 22 Jahren einen Maler- und Renovierungsbetrieb. Der Sport ist sein Lebenselixier. „Als ich aus der Haft rausgekommen bin, war ich noch im Fitnessstudio angemeldet. Dort haben Thaiboxer trainiert, die zu mir gesagt haben: Du bist Kampfsportler, kein Bodybuilder. Also habe ich mit dem Thaiboxen begonnen. Ich habe trainiert und trainiert. Statt auf der Straße konnte ich mich nun im Ring beweisen. Mein Leben hat sich um 180 Grad gedreht. Seitdem bin ich sehr diszipliniert. Das Sportstudio ist für mich wie ein Zuhause, wie eine Familie.“ Günter Scheller vom Sportclub Sendling wird zur Vaterfigur, noch vor seinem jetzigen Trainer und Mentor Mladen Steko.
Als Thaiboxer bestreitet Preuss in neun Jahren 40 Kämpfe im Amateurbereich, er wird mehrfach Bayerischer Meister, Deutscher Meister und 2015 sogar Weltmeister. Siebenmal zieht er bei Kämpfen den Kürzeren. „Verlieren gehört zum Kampfsport. Manchmal ist es eine Punktrichterentscheidung, die man nicht nachvollziehen kann. Daraus zieht man seine Lehren und ist motiviert, noch besser zu werden und beim nächsten Kampf durch Knockout zu gewinnen.“ Seit zwei Jahren ist Preuss Kickbox-Profi, er hat sich auf die populären K1-Wettkämpfe spezialisiert, die dem Thaiboxen ähneln. Lowkicks, also Tritte gegen den Oberschenkel oder die Wade des Gegners, sind genau so erlaubt wie Angriffe mit dem Knie zum Körper oder Kopf sowie Kicks mit der Ferse zum Kopf und flache Würfe unter Taillenhöhe in Clinch-Situationen. „K1 ist die Königsklasse des Kampfsports, die das Schöne von Thai- und Kickboxen vereint. Man boxt ganz normal, darf aber auch mit den Beinen und Knien zuschlagen.“ Aber mit klaren Regeln. „Beim Thaiboxen darf man den Gegner packen und in den Clinch nehmen, was man beim K1 nicht darf.“ Seinen nächsten Kampf bestreitet Preuss amMittwoch, 19. Juni, bei „Steko’s Fight Night“ im Münchner Circus Krone, wo er seinem Weltmeistertitel in der Gewichtsklasse bis 90 Kilo gegen den Schweizer Loic Njea in fünf Runden à drei Minuten verteidigen will.
Für Preuss ist der Kampfsport weniger brutal als er aussieht, auch wenn man dem Gegner schon einmal versehentlich das Jochbein bricht. Aber: Laut Statistik gibt es beim Handball oder Fußball mehr Verletzungen. „Hinter jedem Schlag, jedem Tritt steckt viel Technik, eine intensive Vorbereitung und genaue Kampfanalyse. Man studiert den Gegner, feilt an der eigenen Deckung und Schlagtechnik. Bisher bin ich von schlimmeren Blessuren verschont geblieben, obwohl ich einer hohen Gewichtsklasse bis 90 Kilo kämpfe, wo schwere Hämmer an de Tagesordnung sind.“ Am Schönsten ist dennoch immer der Moment, wenn bei einem Kampf der Schlussgong ertönt. „Kampfsport macht Spaß und man lernt jedes Mal etwas Neues dazu. Dennoch bin ich jedes Mal froh, wenn ich den Kampf so schnell wie möglich beenden kann.“
Bruder ist Motivation
Sein Malereibetrieb wird Preuss’ festes Standbein bleiben, auch wenn er seine Profikarriere als Kickboxer in drei bis vier Jahren vorbei sein wird. Bestimmt hat er dann mehr Zeit für eine feste Freundin, die ihm momentan fehlt. „Der Kampfsport geht schon ganz schön an die Substanz und fordert den Knochen und Sehnen einiges ab. Das kann man nicht für ewig machen.“ Noch ist seine Motivation riesengroß: „Bei jedem Schlag, jedem Kampf steckt mein verstorbener Bruder in mir.“ Vor sechs Jahren starb dieser an einer Überdosis Heroin „Er ist mit 29 Jahren gestorben, also so alt, wie ich jetzt bin. Wir sind zusammen groß geworden und haben gemeinsam gute und schlechte Zeiten erlebt. Er hat sein Leben für die Drogen aufgegeben. Selbst wenn er einen komplett anderen Weg als ich gegangen ist, liebe ich ihn über alles. Bei jedem Kampf, jedem Sieg spüre ich, er wäre jetzt richtig stolz auf mich.“
Sebastian Preuss hat es geschafft, sich aus eigenem Antrieb zu ändern, wieder auf die gerade Spur zu kommen. Er hat den Part des Straßenschlägers mit dem Titel des amtierenden Weltmeisters im Kickboxen getauscht. Und er will anderen Mut machen, es ihm gleichzutun. „Jeder kann es selbst schaffen. Ich möchte für all diejenigen ein positives Vorbild sein, die selbst kein Vorbild haben. Jeder kann den Weg nach oben schaffen.“
Zur Person
- Sebastian Preuss wird am 9. Mai 1990 in München geboren. Er wächst bei seiner Mutter Cornelia und mit den Geschwistern Tanja und Florian auf. Sein Bruder stirbt am 23. Juni 2013 an einer Überdosis Rauschgift.
- Ohne Vaterfigur und Lehrstelle gerät Sebastian Preuss auf die schiefe Bahn, landet mit 18 Jahren im Gefängnis. Die fast halbjährige Haft verändert sein Leben radikal: Nach der Entlassung beendet er seine Malerlehre, macht sich mit einem kleinen Renovierungsbetrieb selbstständig und findet sein Glück im Kampfsport. Zahlreiche Amateurtitel im Thaiboxen folgen.
- Vor zwei Jahren unterschreibt er einen Profivertrag als Kickboxer, einer Kampfsportart, bei der das Schlagen mit Füßen und Händen mit dem konventionellen Boxen verbunden wird. Am 19. Juni verteidigt Sebastian Preuss seinen Weltmeistertitel im Schwergewicht bis 90 Kilogramm bei der „Steko’s Fight Night“ (live zu sehen auf Kabel eins ab 23:15 Uhr).
- Er lebt in München-Schwabing und geht als Markenbotschafter für BMW seiner zweiten Leidenschaft nach: dem Motorradfahren.
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