Über zehn Millionen Touristen lassen sich jedes Jahr von der Gischt der Niagarafälle nassspritzen, wenn sie mit dem Schiff "Maid of the Mist" ganz nahe an die tosenden Wassermassen heranfahren. Viele von ihnen möchten sich auf dem Rückweg aber anders benetzen lassen und finden den Weg zu einem der zahlreichen Weinkeller in dieser fruchtbaren Region der kanadischen Provinz Ontario. Das Weingut des eingewanderten Deutsch-Kanadiers Klaus Reif nahe der US-Grenze ist eines der beliebtesten Ausflugsziele. "Im Jahr schauen etwa 200 000 Leute bei mir vorbei", sagt Reif, ein 1,93 Meter großer gebürtiger Pfälzer.
Die Autofahrer biegen 15 Kilometer von den Niagarafällen entfernt bei dem Schild "Reif Estate Winery" ab und parken ihr Auto vor der neuen Weinprobierstube und dem umgebauten Pferdestall aus dem Jahr 1873, heute das Verwaltungsgebäude. Von dort kann man einen Teil der 50 Hektar Weinberge an den Gestaden des Niagara-Flusses sehen, mit denen der 49-jährige Reif jährlich rund 400 000 Flaschen Wein herstellt: Eiswein, Rotwein und Weißwein, die ihm bislang 400 internationale Auszeichnungen einbrachten.
Mehr Sonne als im Rheingau
Den Besuchern, die an einem schönen Herbsttag an den Tischen sitzen oder im elegant getäfelten Verkaufslokal die Tropfen kosten und den dazu passenden Käse essen, muss Klaus Reif Kanadas Eignung als Weinland nicht mehr erklären. Im Ausland dagegen trifft er immer noch auf Skeptiker, die ganz erstaunt sind, wenn er ihnen sagt: "Unser Weingut liegt auf dem 43. Breitengrad, und wir haben 35 Prozent mehr Sonne als im Rheingau." Aus Ontario stammen 70 Prozent der kanadischen Weinproduktion, gefolgt von der Westprovinz British Columbia.
Reif ist der Spross einer Familie aus Neustadt in der Pfalz, die dort seit 13 Generationen Wein produziert. Seine ersten Versuche mit der Weinherstellung machte Reif als Siebenjähriger: Er füllte Flaschen mit Traubensaft ab, verschloss sie mit Korken und versteckte sie hinter einem Fass. Zu seinem Entsetzen explodierten die Flaschen nach drei Tagen.
Deutsche Vorsicht
Als junger Mann hat sich Reif dann auf der Forschungsanstalt Geisenheim zum Diplomingenieur in Weinbau und Getränketechnologie ausbilden lassen. Sein Onkel Ewald wanderte 1977 nach Kanada aus und pflanzte in Ontario Rebstöcke an; ein Jahr später besuchte ihn der 15-jährige Klaus. Kanada gefiel ihm so sehr, dass er mehrere Male zurückkam und 1987 beschloss, den Betrieb des Onkels zu übernehmen.
Er vermied indes die Fehler anderer Weinbauern und vergrößerte seine Anbaufläche mit deutscher Vorsicht nur schrittweise. Deshalb ist Reifs Weingut einer der wenigen unabhängigen Betriebe unter Ontarios 240 Weingütern, der nicht an Investoren verkauft werden musste, weil das Geld ausging. Weingüter seien gefragt, sagt Reif: "Früher kauften reiche Kanadier Rennpferde, heute wollen sie ihren eigenen Wein."
Mit seinem Gut erzielt Reif einen Jahresumsatz von umgerechnet 3,8 Millionen Euro. Doch er zahlte auch Lehrgeld: "Die Winter können sehr kalt sein, da habe ich auch schon Rebstöcke verloren." Früher war in Kanada die einheimische Rebsorte Vitis labrusca weit verbreitet, die schlechten Wein ergab. 1989 wurde sie per Gesetz verboten. Seither hat sich der Ruf des kanadischen Weins fundamental verbessert. Reif hat 16 europäische Rebsorten angebaut, von Merlot über Cabernet Sauvignon bis Pinot Noir. Und die gedeihen prächtig im sandigen Boden, der mit Lehm durchsetzt und sehr mineralienreich ist. Reif pflanzt beispielsweise Roggen zwischen den Rebstöcken an, um die Mineralien auf natürliche Weise zu fördern. Dank der langen Vegetationszeit in Kanada können sich Mineralien wie Magnesium in den Trauben ablagern. Der Wein enthält dadurch mehr Säure, aber weniger Zucker und hält viel länger. "Ein großartiger Wein wächst im Weinberg", ist Reifs Motto. "Ein Kellermeister ist nur ein Helfer der Natur." Für den Holzgeschmack der Weine braucht er Fässer aus Ungarn, Frankreich und den USA. Um die Qualität des Weins zu garantieren, kontrolliert er jeden Schritt der Produktion, vom Weinberg bis zum Glas. Sein Bestseller ist ein Cabernet Merlot.
Export auch nach Japan
Reif sagt, die Produktionskosten in Kanada seien höher als etwa in Deutschland, wegen der hohen Löhne und Steuern. Den meisten Wein, nämlich 75 Prozent der Produktion, verkauft er in Kanada selber, wo vor allem die jungen Leute zulasten des Biers mehr Wein konsumieren als je zuvor. Den Rest exportiert Reif mehrheitlich nach China und Japan: "Die Chinesen wollen süße Weine wie den Eiswein, und sie kaufen teure Flaschen." In Deutschland setzt er nur etwa fünf Prozent ab, das sind rund 8000 Flaschen jährlich. Deutsche Kunden kaufen sie bei Reifs Eltern, die in Neustadt ein Lagerhaus besitzen.
In München verkauft die Importfirma Winedelight kanadische Weine wie Vineland oder Pilliteri vor allem an die gehobene Gastronomie. Man könne sie aber auch im Kaufhaus des Westens oder im Kaufhof finden, sagt die Inhaberin Evelyn Wenderoth. In Deutschland setze sie rund 10 000 Flaschen jährlich ab.
Doch Klaus Reif sagt: "Kanadischer Wein wird immer ein exotisches Nischenprodukt bleiben." Mit einer Anbaufläche von rund 10 000 Hektar produziert Kanada nämlich viel weniger Wein als andere Länder; allein in Deutschland ist die Anbaufläche zehnmal größer. Pro Hektar produziert man in Kanada rund sechs bis sieben Tonnen Trauben, während es laut Reif etwa in Australien rund 15 Tonnen seien. Aber er sieht darin auch eine Stärke: "In Kanada produzieren wir geringere Mengen, aber die Qualität ist höher."
Stationen des Erfolges
1977 legt Ewald Reif den Weinberg der Reif Estate Winery an und lässt 1982 die Farm folgen.
Seit 1987 führt sein Neffe Klaus Reif die Reif Estate Winery fort.
1991 werden eine neue Fabrikationsanlage und ein neuer Weinkeller angelegt.
1997 erste Goldmedaille bei einem internationalen Weinwettbewerb.
2007 Anlage eines Weinlehrpfads zum Jubiläum des Bestehens der Farm seit 25 Jahren.
2007 bis 2009 zahlreiche weitere Auszeichnungen und Preise.
2010 Preis der Ontario Weingesellschaft für Reifs Lebenswerk.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-lifestyle-weinberg-am-niagara-_arid,400404.html