Am 21. Dezember feierte es seinen 100. Geburtstag. Das Kreuzworträtsel. Doch wer hat es eigentlich erfunden? Nein, diesmal waren es nicht die Schweizer. Vielmehr ein Engländer, der für eine New Yorker Zeitung arbeitete. Mit 19 Jahren hatte der Brite seiner Heimat den Rücken gekehrt und suchte sein Glück im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sein Chef bat ihn, für die "Fun section" ein neues Element zu erfinden. Wynne grübelte und begann, in seinen Kindheitserinnerungen zu graben. Schon als Junge spielte er gerne mit Worten, zum Beispiel im Magischen Quadrat.
Das wiederum soll Victor Orville im Gefängnis in Südafrika erfunden haben: Der Brite saß dort wegen eines tödlichen Autounfalls ein. Der Schatten der Gitterstäbe habe auf dem Boden der Zelle eine Art Raster gezeichnet. So will Orville auf die Idee gekommen sein, ein Gitterraster zu erstellen, in das man Wortgruppen so anordnen muss, dass sie sowohl horizontal als auch vertikal lesbar sind. Seine Idee gab er demnach an eine Zeitung weiter. Über den Zeitpunkt des Entwurfs herrscht jedoch ebenso Uneinigkeit in der Rätselliteratur wie darüber, ob Wynne tatsächlich der Erfinder des Kreuzworträtsels ist. So gibt es Quellen, die behaupten, Orville habe das Rätsel erst 1915 erfunden. Wynne soll sich dessen Rätsel aber bereits 1913 als Vorbild genommen haben.
Stimmt die Theorie, hat Wynne das Magische Quadrat weiterentwickelt. Statt die Wörter zum Einsetzen vorzugeben, gab er lediglich Hinweise auf die Wörter. Der Brite, der vermutlich 1871 geboren wurde, entwarf ein Raster in Form eines Diamants. Zusätzlich fügte er Ziffern ein, so dass deutlich wurde, wo welche Wörter eingesetzt werden müssen. Wynne nannte seine Erfindung "Cross words". Ein neues Rätsel war geboren. Es eroberte nicht nur Amerika, sondern auch Europa. 1925 veröffentlichte die Berliner Illustrierte dann als erstes deutsches Medium ein Kreuzworträtsel.
Durchbruch in Europa
"Das war der Durchbruch für das Kreuzworträtsel", sagt Johannes Susen, der in Brühl eine eigene Rätselagentur leitet. Vom Magischen Quadrat mit seinen strengen Regeln habe man nur Wenige überzeugen können. Im Kreuzworträtsel setzt man die Worte nur waagrecht oder senkrecht ein, nicht sowohl als auch wie beim Magischen Quadrat. "Außerdem setzte Wynne Schwarzfelder ein. Das ist die Grundlage für ungeheuer viele Rätsel", sagt der Experte. Doch erst nach Wynnes Tod wurde sein Verdienst auch anerkannt. Vorher galt Orwill als Erfinder des Kreuzworträtsels, berichtet Susen.
Rätselguru Manfred Stock ist skeptisch, was den Ruhm Wynnes angeht. In seinem Buch "Deutsche Rätselkunde" geht er mehr als 100 Rätselarten auf die Spur: "Ob Wynne der Kreuzworträtselerfinder war, bleibt umstritten", sagt der Mann, der selbst schon über 8000 Rätsel erfunden hat. Das größte bleibt wohl sein Alter, das er partout nicht verraten will. Stattdessen macht er auch darum ein Rätsel: "Ich weiß ja nicht, welches Alter Sie meinen. Das im Personalausweis, das gefühlte oder das dem Aussehen entsprechende..." Mit einem seiner Silbenrätsel schaffte der geheimnisvolle gebürtige Leipziger, von dem selbst Wikipedia kein Geburtsdatum weiß, im Jahr 2000 sogar einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde.
Inzwischen gibt es viele Sorten von Kreuzworträtseln, darunter das bekannte Schwedenrätsel, das seinen Namen der Vermutung verdankt, ein Schwede habe es erfunden. Oder das Anekdotenrätsel, eine Erfindung von Stock selbst. Sie alle basieren auf Wynnes Rätsel.
Was aber machte das Wortspiel zu einem bis heute andauernden Erfolg? Tomas Tomasek ist Professor am Germanistischen Institut in Münster. Derzeit arbeitet er an einem Lexikon über Rätsel. "Rätsel gibt es schon seit Jahrtausenden. Schon die Griechen stellten einander Rätselaufgaben", weiß der Experte. Im Grunde genommen sei ein Kreuzworträtsel wie ein Wettkampf: "Kriege ich es raus, empfinde ich Befriedigung", verdeutlicht Tomasek. Dass das Kreuzworträtsel im vergangenen Jahrhundert so einen Erfolg hatte, lag auch an den fortschrittlicheren Druckmaschinen: "Tageszeitungen konnten sie leicht übernehmen." Zudem kann man Kreuzworträtsel alleine lösen - das passe zum modernen Menschen: "Der ist durchaus etwas isoliert." Schließlich lässt sich mit Rätseln einfach gut die Zeit totschlagen: Ob im Flugzeug, im Zug oder auf dem Beifahrersitz. Außerdem helfe das Knobeln, die Gehirntätigkeit zu erhöhen, sagt Susen.
Und was macht ein gutes Rätsel aus? "Die Schwarzfelder müssen in einem guten Verhältnis zur den Lösungswörtern stehen", erklärt Agentur-Chef Susen: ein Viertel Schwarzfelder, drei Viertel Lösungswörter. Außerdem müsse es genügend Kreuzungen geben, so der Experte. Und: "Es darf keine einbuchstabigen Begriffe geben." Gibt es die denn? "Ja. A ist das Autokennzeichen für Österreich", kommt da wie aus der Pistole geschossen. Natürlich eine leichte Frage für einen Rätselentwerfer.
Apropos: Wie entwirft man eigentlich Rätsel? "Früher musste man das noch per Hand machen", sagt Susen. Heute machen das größtenteils Programme. Doch das Nachdenken übernehmen sie nicht. Die Raster des Rätsels wollen gut überlegt sein. Susen legt sie am Computer an. Der übernimmt dann die Zusammenführung des Gitters mit einem angelegten Wortschatz - einer Datenbank mit gesuchten Begriffen und deren Bedeutungen. Fertig ist das Rätsel.
Rätseln ohne Frust
Und wie begeistert man nun Rätselmuffel für Kreuzworträtsel? Sind sie zu schwer, ist Frustration die Folge. Sind sie zu leicht, fehlt die Herausforderung. Deshalb sind die Wörter in Susens Datenbank nach Schwierigkeitsgrad sortiert: "Stufe 1 für einfache Begriffe wie Vater oder Mutter, die jeder kennen sollte. Stufe 9 für den Seitenarm eines Flusses, den sowieso niemand kennt."
Frust beim Rätseln will Susen vermeiden: "Deshalb bin ich immer bestrebt, Rätsel zu machen, die die Leute einerseits als Herausforderung sehen, andererseits aber noch lösen können." Der 63-Jährige will motivieren: Je mehr man rätsele, desto mehr lerne man. "So kann jeder seinen Wortschatz erweitern." Ein bisschen Liebe für Rätsel müsse man aber schon mitbringen. "Das gilt schließlich für jedes Hobby."
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