Trip ins touristische Nichts

Seit mehreren Jahren entflieht der Popmusiker Maximilian Hecker, der gerade am Mannheimer Nationaltheater engagiert ist, dem Silvestertrubel in ein Billighotel in einem Gewerbegebiet am Berliner Stadtrand.

Von 
Gunnar Leue
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Zur Buga werden viele Touristen in Mannheim erwartet © dpa/Leue

Der Musiker Maximilian Hecker (Bild) ist schon viel in der Welt herumgekommen. Was auch mit dem sehr speziellen Lebenslauf des 40-Jährigen aus Heidenheim zusammenhängt. Während seiner Krankenpfleger-Ausbildung, für die er 1999 nach Berlin zieht, tritt er in der Gegend um den Hackeschen Markt als Straßenmusiker auf. Dadurch kommt er mit einigen Leuten aus der Berliner Szene in Kontakt. 2001 veröffentlicht er auf einem Indie-Label „Infinite Love Songs“.

Das Debütalbum sorgt damals international für Beachtung. Zu Heckers Fans zählt auch Neil Tennant von den Pet Shop Boys, der auf seiner Webseite sogar für ihn wirbt. Nach Europatourneen als Solomusiker folgt 2003 und 2004 eine sechsmonatige Welttournee zusammen mit Barbara Morgenstern im Auftrag des Goethe-Instituts.

Heckers melancholische Popmusik, die schon zuvor in Asien etliche Fans gefunden hat, wird in Südkorea und China auch zur Untermalung von Werbeclips eingesetzt, was seiner Popularität nochmals einen Schub gibt. Seither tourt Hecker immer wieder durch Asien, vor allem durch China. In diesem Jahr war er dort auch wieder auf Tour.

Festes Ritual

Im Sommer wohnte er auch eine Weile in Mannheim, wegen der Proben zum Stück „Wie kann ich dich finden“ von Anja Hilling am Nationaltheater. Hecker schrieb für das Stück die Musik. Er begleitet die Aufführungen auch als Musiker, das letzte Mal am heutigen Samstag, 30. Dezember. Am morgigen Sonntag fährt er wieder nach Berlin – nicht um dort mit Freunden Silvester zu feiern. Er verbringt den Jahreswechsel ganz allein in einem Billighotel in einem Gewerbegebiet am Stadtrand. Das ist inzwischen zu seinem festen Ritual geworden.

In Hennigsdorf, einem kleinen Ort vor den Toren Berlins, ist Hecker an Silvester zu finden, genauer gesagt in einem Billighotel im Gewerbegebiet zwischen Tankstelle und Baumarkt. Wieder in der „Gefängniszelle“, so der Musiker, der von ungemütlichen Hotelzimmern eigentlich genug haben müsste, weil er die von seinen Reisen durch die halbe Welt nur zu gut kennt.

Trotzdem flieht er bereits das fünfte Jahr in Folge an Silvester aus Berlin-Mitte, wo er wohnt, an diesen seltsamen Ort, um den Jahreswechsel dort völlig allein zu verbringen. Es ist nicht so, dass der Sänger ein Silvestermuffel wäre. „Ich habe die Stimmung an dem Tag immer gemocht. Dieses Geböller, das schon nachmittags beginnt und etwas von Ruhe vorm Sturm hat. In der Großstadt empfinde ich das Geknalle aber als bedrohlich.“

Als er vor Jahren mit Freunden feierte und diese mit Böllern Mutspielchen machten, sei das auch der Auslöser für seinen Ausstieg aus Silvester in Berlin gewesen. Zumal er sich vom Datum nicht die Feierlaune diktieren lassen wollte. „Zu Silvester herrscht ja wie beim Karneval oder Oktoberfest dieser Gruppendruck, dass sich alle besaufen müssen.“ Habe er das nicht mitgemacht, sei er sowieso außen vor gewesen. „Also habe ich mir gedacht, fahre ich einfach mal raus aus der Stadt in ein Billighotel.“

Dass gerade Hennigsdorf im nordwestlichen Speckgürtel zum Ausweichort wurde, war reiner Zufall. Die Suchkriterien Stadtrand und Ein-Sterne-Hotel hatten direkt zur Endstation einer S-Bahnlinie geführt. „Und dann auch noch ein Industriegebiet: ein perfekter Rückzugort, der an diesem Abend praktisch mir gehört und den ich mit niemandem teilen muss, weil er so unbeliebt ist.“

Hecker war nicht nur begeistert von der Abgeschiedenheit, die ihm eine Auszeit für die Seele ermöglicht. Ihm gefällt die leicht pubertäre Rebellion als Einzelgänger, der sich gegen die Masse stellt. Regelrechte Euphorie über sein exklusives Verhalten habe er verspürt. „Es ist eine Art diebische Freude, als vermeintlich Einziger auf der Welt an diesem Tag so etwas Unsoziales, Unromantisches und irgendwie Märtyrerhaftes zu machen, sich der Isolation auszusetzen, ohne Optionen.“

In diesem Jahr setzt er sich der Isolation jedoch nicht in Hennigsdorf aus, sondern in einem Gewerbegebiet am östlichen Hauptstadtrand: in Hoppegarten. Die Ecke hatte er schon mal gefunden, als er dort eines seiner Impressionsvideos drehte.

Ein unentdecktes Juwel

Beim Rumstreunen in der kargen Gegend um Hoppegarten hat er einen Baumarkt gefunden, was ihn zusätzlich faszinierte. „Baumärkte habe ich als Rückzugsorte entdeckt, weil in denen eine wunderschöne asexuelle Handwerkerstimmung herrscht. Mein Glück konnte ich endgültig kaum fassen, als ich daneben in dem weitflächigen, schönen Industriegebiet auch noch ein Billighotel erblickte.“

Für ihn sei diese völlig abgeschlossene Industriegebietsinsel ein unentdecktes Juwel. „Wenn dann noch nachts beim Gang durch den Gewerbepark der Vollmond scheint, denke ich: Warum bin ich eigentlich der Einzige, der den Ort als Urlaubsort genießt?“ Nebenbei: Seine Trips ins touristische Nichts haben auch einen künstlerisch wertvollen Aspekt, denn das Gefühlte lässt sich schön in Musik und Filme packen. Das hat Hecker auch schon mal getan – im Song „Hennigsdorf“. Was nicht heißt, dass es auch einen Song „Hoppegarten“ geben wird, da es zwischen seinem Leben und seiner Kunst eigentlich wenig Berührungspunkte gibt, wie Hecker sagt. „Ich verbinde allerdings gern Kontraste. Wenn eine schöne Melodie auf einen Text trifft, der von sozialem Selbstmord handelt, ist das für mich Romantik.“

Seine Freunde sorgen sich zuweilen ein bisschen wegen des Spleens und laden ihn immer wieder auf ein gemeinsames Essen am Silvesterabend ein. Doch Maximilian Hecker sagt, er komme gut klar, alles sei okay. Am Neujahrsmorgen sei er ausgeschlafen und fühle sich wunderbar. Ein schönes Gefühl, mit dem sich das neue Jahr gut begrüßen lässt.

Freier Autor

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