Shopping-Malls im Wachkoma

Wo viele Amerikaner früher ihre Freizeit verbrachten, wird heute nicht einmal mehr eingekauft. Eine Doku-Serie über leere Einkaufszentren in den USA ist mittlerweile ein Erfolg auf Youtube.

Von 
Viola Schenz
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Shopping-Malls waren einst in den USA ein beliebter Treffpunkt. Mittlerweile sind viele Einkaufszentren – wie hier in Ohio – menschenleer. © Getty Images/iStockphoto

Langsam fährt die Kamera den halbdunklen Korridor entlang. Da, endlich, ein Motiv: Too much of a good thing can be wonderful, das Mae-West-Zitat steht auf einem grauen Vorhang, der ein Rollgitter verdeckt. Wir befinden uns in der Galleria Pittsburgh Mills, einem großen überdachten Einkaufszentrum im östlichen Pennsylvania, und der Spruch trifft hier nicht ganz zu. Einkaufszentren galten in den USA mal als absolutes „good thing“, längst gibt es „too much“, zu viele von ihnen, aber das ist überhaupt nicht „wonderful“.

Die Galleria Pittsburgh Mills sind eine Sequenz einer Youtube-Serie über das Shopping-Mall-Sterben in den USA, produziert von Dan Bell, 40 Jahre alt, Filmemacher. Vor zwei Jahren hatte Bell seine Mall aus Kindertagen in der Vorstadt von Baltimore mal wieder besucht und fand den einst wuseligen Einkaufspalast als recht leblosen Ort vor. Er griff zu seiner Kamera und filmte das seltsame Wiedersehen. Als Zehnminüter stellte er es auf Youtube ein. Es war der Auftakt von inzwischen mehr als 40 Folgen seiner Dead Malls Series, unspektakulären Videos von stehenden Rolltreppen, riesigen „Sale!“-Schildern in Schaufenstern, einsamen Schuhverkäufern, menschenleeren Foodcourts, stillgelegten Info-Ständen. Jedes Video verzeichnet Klickzahlen im hohen sechsstelligen Bereich, Bell scheint einen Nerv der Zeit zu treffen.

Kathedralen des Konsums

Die einstigen „Kathedralen des Konsums“, wie man sie gerne nannte, die in den 1950er Jahren aufkamen und in den 1980ern ihre Boomzeit hatten, sterben seit gut 15 Jahren vor sich hin. Es siecht aber nicht einfach ein Wirtschaftszweig, sondern eine Institution, ein All American Place. Malls waren nie einfach nur Shopping Center. Nein, die hässlichen, fensterlosen Riesenbauten in steingrau oder schlamm-braun, die wie notgelandete Ufos in der Landschaft von Smalltown-Amerika stehen, ersetzten über Jahrzehnte den klassischen Marktplatz. Hierher fuhr man nicht nur zum Shoppen, hier ging man ins Kino, zum Zahnarzt, zum Friseur, man erledigte Bankgeschäfte und schloss Versicherungen ab. Teenager kamen zum Flirten, die Alten zum Kaffeetrinken, die Kleinen zum Schaukeln auf dem zentralen Spielplatz.

Frühmorgens, vor Ladenöffnung, trafen sich die Mall Walker zum kollektiven Power Walk. Inzwischen können sie das ganztägig tun, bei der Leere, ab und zu huscht auch ein Walker durchs Video.

Dan Bell stimmt einen mit seinen ruhigen Bildern sentimental. Wahrscheinlich wäre es weniger traurig, wenn diese Stätten tatsächlich gestorben und geschlossen wären. Aber er filmt ein Wachkoma: Die Böden sind blitzsauber, eben weil sie kaum noch jemand betritt, vereinzelt stehen Kunden vor Schaufenstern, irgendwo brennt Licht, über allem tönt sanfte Musik aus Lautsprechern.

Bell nimmt sich angenehm zurück, er lässt die Bilder für sich sprechen, dazwischen macht er einen guten Job als Reporter aus dem Off, erklärt die Gründe für den Niedergang, etwa weil die Immobilienblase geplatzt ist oder Online-Handel boomt. Und er spielt Designkritiker – Zitat: „Hier das lachsfarbene Furnier des Service-Centers, so was von Eighties!“. Dazu spielt er grobkörnige Vor-Ort-Videos aus vollen Zeiten ein: toupierte Frauen in Schulterpolsterblazern, Massen bei Swimmingpool-Verkaufsaktionen, überlaufene Foodcourts.

Wo sind all die Menschen? Sie sitzen daheim, vor Bildschirmen, dort shoppen, chatten, flirten sie und bestellen sich ihr Dinner. „Going to the mall“– das ist etwas, womit man sich einst die Zeit vertrieb.

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