Dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, mag trösten, stimmt aber nicht. Schönheit ist keineswegs etwas Subjektives, wie die Redensart suggeriert, sondern objektiv messbar; zahlreiche Studien belegen diese evolutionsbiologische Tatsache.
Der Psychologe Martin Gründl und Kollegen machten sie 2011 an der Universität Regensburg verblüffend deutlich. Sein „Beautycheck“ ging Ursache und Wirkung von schönen und weniger schönen Gesichtern nach. Die Forscher „morphten“ am Computer aus 64 Frauen- und 32 Männerfotos Prototypen von schönen, durchschnittlichen und weniger schönen weiblichen und männlichen Gesichtern und legten die Kunst- und die Originalgesichter 500 Versuchspersonen vor. Ergebnis: Bestimmte Merkmale lassen ein Gesicht als schön erscheinen. Und: „Die unattraktiven bekommen schlechtere Charaktereigenschaften zugeschrieben, die attraktiven Gesichter durchweg positive“, so der 43 Jahre alte Attraktivitätsforscher.
Schon Babys fallen drauf rein
Denn ein weiterer Grundsatz lautet: „Was schön ist, ist auch gut.“ Die Psychologie spricht vom Attraktivitätsstereotyp. „Wir schließen vom Aussehen auf Charaktereigenschaften“, sagt Gründl, inzwischen Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Harz. „Attraktive Menschen werden für intelligenter, geselliger, freundlicher ehrlicher, hilfsbereiter gehalten.“ Man nennt das „Halo-Effekt“, abgeleitet vom englischen „halo“ („Glorienschein“); ihm erliegen wir alle, als Lehrer, Polizisten oder Richter, bei der Wahl der Partner und Freunde: Schöne Menschen sind uns automatisch sympathisch. Schon Babys fallen darauf rein. Sie blicken deutlich länger in ein hübsches Gesicht als in ein anmutloses, wie unter anderem eine Studie der Universität Exeter zeigt. Ebenso ihre Mütter: Die amerikanische Sozialpsychologin Judith Langlois stellte vor mehr als dreißig Jahren fest, dass Mamas ihren hübschen Nachwuchs öfter anlächeln und knuddeln als den weniger wohl geratenen.
Symmetrische Gesichtszüge lassen automatisch auf Gesundheit und gute Gene schließen. Dass Schönheit bevorzugt wird, kann enorme soziale Folgen haben. In einer immer visuelleren Welt spielt das Aussehen eine immer wichtigere Rolle. Der Druck wächst, sich in den sozialen Medien zu präsentieren, und zwar mit stets aktuellen Bildern. Gründl verweist auf Untersuchungen, bei denen auf echte Ausschreibungen gleichwertige Lebensläufe, aber unterschiedliche Fotos verschickt wurden. Das Ergebnis: Die „Bewerber“ mit den attraktiveren Fotos wurden deutlich häufiger eingeladen als die unvorteilhafte Konkurrenz.
Mediale Selbstdarstellung
Im Beruf greift das Attraktivitätsstereotyp erst recht. Hier gilt: Schön ist gleich gut und gesund ist gleich leistungsfähig. Tatsächlich sind gut aussehende Menschen häufig erfolgreicher. Sie werden öfter befördert oder belohnt und verdienen bei gleicher Qualifikation mehr als weniger attraktive Menschen.
Ökonomen der Universität von Wisconsin fanden heraus, dass sogar der Aktienkurs steigt, wenn ein attraktiver Vorstandschef in die Firma einzieht. Die Forscher hatten die Attraktivität von 677 CEOs von US-Konzernen und die Entwicklung ihrer Kurse von 2000 bis 2012 analysiert. Ein neuer gut aussehender CEO lässt ihn demnach durchschnittlich um 0,43 Prozentpunkte steigen – allein am ersten Arbeitstag. Was die Beaus erfreut, kann für vermeintlich Unattraktive zum Problem werden, besonders angesichts der allgegenwärtigen medialen Selbstdarstellung.
Früher reichte es, ein gelungenes Porträtfoto auf den Lebenslauf zu kleben, heute muss man in Skype-Schalten bestehen oder seinem Linked-In-Auftritt ein Video zur eigenen Person beifügen. Auf dem Foto ließ sich die Hakennase durch eine vorteilhafte Kopfhaltung vielleicht noch kaschieren, im Video wird das schwierig. Und: Früher hat man im Schnitt länger in einem Unternehmen gearbeitet, da war das Aussehen anfangs vielleicht wichtig, mit der Lebenszeitstelle wurde es egal. Heute sind Firmen- und Berufswechsel die Norm, unterbrochen von Phasen der Selbstständigkeit, wo es erst recht darauf ankommt, Kunden und Auftraggeber zu gewinnen.
Warum aber ist das so? Warum kommt es darauf an, wie Mitarbeiter aussehen? Warum unterstellt man korpulenten Frauen Disziplinlosigkeit oder kleinen Männern Durchsetzungsschwäche? Warum spielt es eine Rolle, ob neue Kollegen wallendes Blondhaar haben oder O-Beine? Schließlich sollen sie im besten Fall dem Wohl der Firma dienen, man will mit ihnen gut auskommen, nicht aber unbedingt Kinder zeugen – auch wenn das bisweilen vorkommt.
Warum also kann der aufgeklärte Mensch nicht zwischen Partner- und Mitarbeiterwahl unterscheiden, zwischen potenziellen Bettgenossen und künftigen Kollegen, warum schließen wir vom Aussehen auf den Charakter? Das ist nicht überzeugend zu erklären. „Es existiert in der Psychologie kein überzeugendes Modell, warum es dieses Attraktivitätsstereotyp eigentlich gibt“, sagt Martin Gründl. „Menschen lernen nichts dazu. Wir merken im Laufe des Lebens einfach nicht, dass man immer wieder mit seinem Urteil auf die Nase fällt, dass attraktive Menschen einen durchaus enttäuschen, wenn man ihnen vertraut.“ Selbst Lebenserfahrung habe keinen Einfluss, der Effekt trete bei Alten wie bei Jungen auf. „Ältere Menschen, die ja interessanterweise oft auch nicht mehr so gut aussehen und ihr Urteil an sich selbst messen könnten, fallen auf denselben Fehlschluss rein.“
Und selbst wenn wir davon überzeugt sind, dass Leistung und Aussehen nicht korrelieren, trauen wir doch der gut aussehenden Person unbewusst bessere Leistungen zu. Daraus entwickelt sich schnell eine selbsterfüllende Prophezeiung: Weil man Attraktiven mehr zutraut, behandelt man sie, als wären sie kompetenter; entsprechend entwickeln sie ihre Kompetenz besser als andere.
Jobrelevante Kriterien
Wie ließe sich die Benachteiligung unvorteilhafter Menschen verhindern? Bewerbungen ohne Fotos, wie es etwa in den USA inzwischen die Norm ist? Vorstellungsgespräche hinter Vorhängen wie bei Orchesterneuzugängen, die für die Jury unsichtbar vorspielen? Das ist ambitioniert, aber realitätsfern, denn es funktioniert nur bis zu dem Punkt, an dem sich Bewerber und Entscheider live begegnen und die alten Mechanismen wieder greifen.
Sollten Personaler Künstliche Intelligenz über Neueinstellungen und Beförderungen entscheiden lassen? Algorithmen entscheiden aber nur so vorurteilsfrei, wie sie von vorurteilsfreien Menschen mit Informationen gespeist wurden. Fairness ist also keineswegs garantiert. Gründl setzt daher auf menschliche Intelligenz: „Personaler müssen berücksichtigen, dass jeder dazu neigt, attraktive Menschen positiver zu sehen.“ Dem gelte es vorzubeugen, etwa anhand des Anforderungsprofils einer Stelle. „Man kann Lebensläufe gezielt analysieren und nach jobrelevanten Kriterien vorgehen. Wenn ich jemands Persönlichkeit erfahren möchte, führe ich eben einen wissenschaftlich standardisierten Test durch. Das ist tausendmal besser, als sich ein Foto anzusehen und zu denken: So wie der aussieht, ist er auch.“
Manchmal ein Fluch
Wer an seinem Aussehen (ver-)zweifelt, sei getröstet. Wenn Faktoren oder Methoden leicht variieren, kann man durchaus zu abweichenden Ergebnissen gelangen, auch in der sonst beständigen Attraktivitätsforschung. Wissenschaftler der London School of Management und der University of Maryland fanden heraus: Manche Chefs können sich von der Attraktivität männlicher Mitarbeiter bedroht fühlen, nicht unbedingt lassen sie hübsche Angestellte aufsteigen. Forscher der israelischen Ben-Gurion-Universität wiederum verschickten 5300 fiktive Bewerbungen für 2600 Jobs, mit Fotos von durchschnittlich, überdurchschnittlich attraktiven Männern und Frauen oder ganz ohne Foto. Besonders erfolgreich waren die Bewerbungen der attraktiven Männer, eher schlecht schnitten dagegen die attraktiven Frauen ab. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Personaler befürchten, eine attraktive Frau könne das Team durcheinanderbringen. Flirtende Kollegen, eifersüchtige Kolleginnen – wer will das schon in seiner Belegschaft, die Leute sollen gefälligst arbeiten.
Pikantes Detail: Mehr als 93 Prozent der Personaler waren Frauen. Neid und Konkurrenzdenken können durchaus eine Rolle spielen. Eine Untersuchung dreier englischer Universitäten zur Attraktivität von Wissenschaftler fand heraus: Gut aussehende Wissenschaftler werden als weniger kompetent angesehen. Die Arbeit eines attraktiven Wissenschaftlers werde zwar als eher interessant empfunden – seine unattraktiven Kollegen gelten aber als die besseren Forscher. Schönheit zahlt sich also nicht immer aus.
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