Regisseurin mit Biss

Blockbuster-Queen? Nein! Die Filmemacherin Doris Dörrie hält lieber die Fahne des deutschen Autorenfilms hoch und trotzt dem Diktat des kommerziellen Erfolgsdrucks. Beim Frühstück mit unserem Autor erzählt sie auch von ihrem neuesten Film.

Von 
Wolfgang Scheidt
Lesedauer: 
Kino ist Kunst, kein beliebiges Konsumprodukt, findet Regisseurin Dori Dörrie. © Sylvia Willax

Niemals wollte ich eine Fortsetzung drehen. Aber dann fiel mir diese tolle Geschichte ein und sie ließ mich, wie ein Dämon, nicht mehr los.“ Die 63-jährige Filmemacherin Doris Dörrie hat erstmals einen Filmstoff weitergesponnen. Zehn Jahre nach „Kirschblüten – Hamami“, ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis, gibt es ein Déjà-vu mit der Allgäuer Familie Angermeier – eine schaurig-schöne Gespenstergeschichte.

Im Frühstücksraum des kleinen, charmanten Hotels Olympic wirkt Dörrie entspannt. „An Gespenster glaube ich überhaupt nicht. Aber ich kenne das Gefühl, nachts aufzuwachen und mit den Toten zu sprechen“, erzählt die Filmemacherin. Der Kameramann Helge Weindler, mit dem sie eine Tochter hat, stirbt vor 20 Jahren bei den Dreharbeiten zum Episodenfilm „Bin ich schön?“. Dörrie denkt ans Aufgeben. Weiter Filme machen? Utopisch!

Ein Freund ihres Mannes, Werner Penzel, überzeugt sie, nicht aufzugeben. Ohne Plan, nur mit einer kleinen Kamera, entsteht der Dokumentarfilm „Augenblick“. Statt den Bildern hinterherzulaufen, findet Dörrie in der Fiktion eine Wirklichkeit, die sie reinszeniert. „Die Kontrolle aufgeben, stellte sich für mich als aufregender und vielleicht liebevoller heraus, als sie auszuüben“, sagt sie heute. Mit dieser Art zu drehen, ließe sich den Dingen besser auf den Grund gehen und herausfinden, wie Leben wirklich funktioniert.

Dörrie denkt sich die Geschichte von zwei Brüdern aus, die in ein japanisches Zen-Kloster pilgern und alles hinter sich lassen. Die Resonanz auf die filmische Selbstreflexion „Erleuchtung garantiert“ ermuntert sie, weiterzudrehen.

„Ich brauche eine sehr genaue und präzise Anbindung an Geschichten. Diese kann autobiografisch sein, wie die Landschaft im Allgäu, wo ich seit 30 Jahren zu Hause bin.“ Ihren ersten Japan-Besuch 1985 beschreibt sie als Stromausfall im Gehirn. „Man kann sagen, es war wie ein mentaler Kurzschluss, weil ich nicht mehr sprechen und nichts mehr verstehen konnte, was dann wieder Platz für Neues gemacht hat.“ Japan sei für sie sehr vertraut und fremd zugleich. „Diese Simultanität von etwas, das man wiedererkennt und etwas, das völlig exotisch ist, fasziniert mich.“

Zwischen Realität und Fiktion

Dörrie entdeckt bei ihren zahlreichen Japan-Trips, dass alle Japaner an Geister glauben. „Geister sind die Gralshüter unserer Seele. Die Dämonen sind allgegenwärtig. Ständig werden wir von irgendetwas gequält, von irgendwelchen Zukunftsängsten oder Erinnerungen.“ Der neue Film sei der Versuch das, was in unserem Inneren stattfindet, präzise abzubilden. „Vielleicht habe ich das Spiel zwischen Realität und Fiktion noch nie so auf die Spitze getrieben wie dieses Mal?“ Spitzbübisch nippt sie an ihrem Wasserglas.

Seit ihrem Filmdebüt „Ob’s stürmt oder schneit“ vor 42 Jahren, einer Dokumentation übers Kinosterben, ist die niedersächsische Arzttochter Dörrie als eine der hartnäckigsten Autorenfilmerinnen Deutschlands unterwegs. Aufgewachsen in einem liberalen Elternhaus in Hannover inszeniert die junge Doris mit ihren um drei Jahre jüngeren Zwillingsschwestern das Märchen „Dornröschen“. Schon damals ist sie Perfektionistin: Wenn Tonalität oder Text nicht sitzen, liest sie den Schwestern die Leviten, um sie in die richtige Stimmung zu bringen.

Filmemachen ist für Dörrie kein Spiel, sondern Passion. Nach dem Abitur studiert sie, gerade volljährig, in den USA Schauspiel und Theaterwissenschaften. Zurück in Deutschland, beginnt sie 1975 ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film. Für die Süddeutsche Zeitung schreibt sie Filmkritiken, dreht kleine Dokumentarfilme, 1977 steht sie beim Spielfilm „Der Hauptdarsteller“ von Reinhard Hauff selbst vor der Kamera. „Das war die Unschuld der Jugend“, sagt sie rückblickend. „Ich habe damals gedacht, dass man als Schauspieler Geschichten erzählt. Schnell merkte ich, dass man als Schauspieler die Geschichten von anderen erzählt.“ Sie wollte lieber ihre eigenen erzählen.

Die Komödie „Männer“ mit Ulrike Kriener, Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht lockt mehr als fünf Millionen Besucher in die Kinos und macht die Regisseurin Dörrie deutschlandweit bekannt. Die Angebote bleiben nicht aus: Dörrie landet 1988 in Hollywood, wohl fühlt sie sich dort nicht. „Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren – und zwar meinen kreativen Halt.“ Sie habe sich in Hollywood wie ein abgeschnittener Luftballon gefühlt, es sei ein Wunschtraum und kreatives Gefängnis zugleich gewesen. „Aber das hat mir alles nichts genützt, weil ich nicht mehr wusste, was ich da soll. Deshalb bin ich wieder zurückgekommen, weil ich tatsächlich hier meine Geschichten finde und erzähle.“

Auf der Suche nach Trüffel

Wie ein Trüffelschwein sucht Dörrie nach der Tiefe, der Essenz einer Geschichte. „Wenn Sie mir Fertigfutter vorsetzen, langweile ich mich. Aber wenn Sie irgendwo Trüffel verstecken, mache ich mich begeistert auf die Suche.“ Dörrie umgibt sich nicht nur mit mutigen Schauspielern, sondern auch mit leidensfähigen Produzenten. Jede Szene bekommt die Zeit, die sie zum Atmen braucht.

Mit ihrer unkonventionellen Art, zu drehen, erzählt sie ihre Geschichten schnörkellos, schlicht, und ohne Effekthascherei. „Die Filme, die ich mache, sind nicht besonders billig, aber sie sind gleichzeitig auch nicht besonders aufwendig. Alles, was im neuen Film vorkommt, der ganze Japan-Teil, aber auch die besonderen Naturaufnahmen im Allgäu, benötigen viel Zeit. Und Zeit ist das teuerste beim Film.“

Das Budget des neuen Films liegt bei ungefähr drei Millionen Euro, was für Dörrie ideal ist. Zum einen wird im Fall eines Flops niemand ins Verderben geschickt, zum anderen lassen die flexiblen, kleinen Drehteams der Regisseurin alle Freiheiten, die sie braucht.

„Filme machen ist so anstrengend. Ich könnte das nicht durchhalten, wenn es für mich nichts Aufregendes zu entdecken gäbe.“ Kino sei eine Kunst, kein beliebiges Konsumprodukt von der Stange. „Den Film als industrielle Ware zu betrachten, empfinde ich als traurig.“ Natürlich sei es schön, wenn ein Film wahnsinnig viele Leute erreiche. Die Krux: „Die Deutschen sind Kinomuffel. In Europa sind wir bei den Einspielergebnissen das Schlusslicht. Und keiner weiß, warum. Wahrscheinlich, weil wir geizig sind und lieber billiges Fernsehen oder Netflix konsumieren. Für das Kino ist das ein Fiasko.“

  • Doris Dörrie wird am 26. Mai 1955 in Hannover geboren. Nach dem Abitur studiert sie Theaterwissenschaft und Schauspiel in Stockton/Südkalifornien sowie an der New School of Social Research in New York.
  • Zurück in Deutschland schließt sie ihr Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film München mit dem Film „Der erste Walzer“ 1978 ab.
  • Mit den Komödien „Männer“ und „Ich und Er“ wird sie zur wohl bekanntesten deutschen Regisseurin. Zehn Jahre nach dem preisgekrönten Film „Kirschblüten – Hanami hat sie erstmals eine Fortsetzung gedreht.
  • „Kirschblüten & Dämonen“ startet am 7. März 2019 in den Kinos.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen