Interview

„Mehr Mut zur Langeweile“

Es ist eine Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Davon ist die Journalistin und Bloggerin Nathalie Klüver überzeugt. Die dreifache Mutter plädiert für mehr Gelassenheit.

Von 
Sarah Weik
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Auch eine Mama darf sich mal eine kleine Auszeit gönnen, findet die Bloggerin, Journalistin und Buchautorin Nathalie Klüver. © Privat

Zwischen durchgeplanten Kindergeburtstagen und durchgestylten Instagram-Bildern, in denen Kinder nie verschmierte Gesichter oder Flecken auf dem T-Shirt haben und kein Legostein die pastellfarbene Kinderzimmeridylle stört, kann man schon mal den Blick fürs Wesentliche verlieren, sagt Nathalie Klüver. Ein Interview über das ganz normale Chaos einer Familie mit drei Kindern.

Nicht perfekt sein – das klingt doch eigentlich gar nicht so kompliziert. Niemand ist schließlich perfekt.

Nathalie Klüver: Das stimmt schon. Die Kunst besteht darin, dass man das auch ohne schlechtes Gewissen akzeptiert.

Und das gelingt Eltern heute nicht mehr?

Klüver: Im Internet, auf Facebook oder Instagram, inszenieren viele Eltern ein perfektes Familienleben. Da sind die Kinderzimmer immer aufgeräumt, alles ist lichtdurchflutet, weiß und pastellfarben. Die Kinder haben nie verschmierte Gesichter und selbst auf weißen Kleidern sieht man nie einen Fleck. Wenn man sich da durchklickt, muss man sich als normale Mama zwangsläufig eingestehen: So sieht es bei mir definitiv nicht aus! Und meinen Kindern weiße Klamotten anzuziehen – das habe ich schon lange aufgegeben.

Deshalb posten Sie auf Ihrem Blog also bewusst Bilder von spielzeugüberfluteten Kinderzimmern?

Klüver: Ja, so sieht es eben bei uns aus. Und ich bin sicher: Bei fast allen Familien sieht es so aus. Das ist ja auch nicht schlimm – die Kinder stört es definitiv nicht und ich räume nur noch ab und an Rettungswege zwischen den Legosteinen frei. Doch um das zu akzeptieren, muss man aufhören, sich ständig zu vergleichen und sich immer wieder sagen: Ich muss nicht perfekt sein, gut genug reicht vollkommen.

Eine Kapitulation vor dem Perfektionismus also.

Klüver: Genau. Sonst läuft man Gefahr, sich zwischen Kindern, Job und Haushalt selbst zu verlieren. Man muss auch mal Fünf gerade sein lassen und Prioritäten setzen. Und meine Priorität ist definitiv nicht der Haushalt. Unaufgeräumte Kinderzimmer, überquellende Wäschekörbe – das bringt mich nicht mehr aus der Ruhe.

Das klingt, als hätten Sie das selbst auch erst lernen müssen.

Klüver: Natürlich, vor der Geburt meines ersten Kindes hatte ich auch ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie das Leben mit Kind sein wird und wie ich als Mama sein werde. Aber diese Vorstellungen hat mein Sohn dann ganz schnell auf den Kopf gestellt.

Was mussten Sie noch lernen?

Klüver: Dass man als Mama ruhig auch mal egoistisch sein und sich kleine Auszeiten gönnen darf – man muss es sogar! Dann sitzen die Kinder halt mal eine halbe Stunde vor dem Fernsehen, damit man in Ruhe einen Kaffee trinken und die Zeitung lesen kann. Oder es gibt zum Abendessen Nudeln mit Ketchup, weil man keine Lust auf das Gemüse-Gemecker hat. Oder man holt die Kinder mal später vom Kindergarten ab und geht noch in Ruhe shoppen. Das ist alles völlig in Ordnung und definitiv besser, als irgendwann ganz auszubrennen.

Auch Kinder haben ja mittlerweile oft ein ähnlich straffes Tagesprogramm wie Ihre Eltern: Kindergarten oder Schule und Hort, danach noch Kinderturnen, Fußballtraining, Trompetenunterricht

Klüver: Ja, das kommt wohl, weil viele Eltern Angst davor haben, dass ihre Kinder nicht richtig gefördert werden oder sie sich langweilen. Dabei ist Langeweile großartig! Wir haben unsere Nachmittagsaktionen mittlerweile alle gestrichen: Seitdem sind wir alle besser drauf. Kinder lernen sowieso am besten durch freies Spielen und aus Langeweile entstehen oft richtig gute Ideen. Ich kann da anderen Eltern nur raten: Habt mehr Mut zur Langeweile!

Es gibt mittlerweile unzählige Mama- und Elternblogs. Wieso dachten Sie, dass bei dieser großen Auswahl noch einer fehlt?

Klüver: Ich habe angefangen zu bloggen, als mein zweiter Sohn auf die Welt kam. Ich wollte während der Elternzeit einfach weiter schreiben, dranbleiben und habe angefangen, mir Sachen von der Seele zu schreiben. Eben weil so vieles anders lief, als ich mir das vorher gedacht habe. Hauptsächlich für mich. Und ich habe gehofft, dass sich vielleicht die eine oder andere Mutter meldet und sagt „Kenne ich!“ oder „So geht es mir auch!“ – und als das dann tatsächlich passierte, tat das unglaublich gut.

Es gibt auch unzählige Elternratgeber. Wieso dachten Sie, dass bei dieser großen Auswahl noch welche fehlen?

Klüver: Mir ist in der zweiten Schwangerschaft aufgefallen, dass es kaum umfassende Ratgeber zum Thema Geschwisterkind gibt. Es gibt zwar Bücher, die sich speziell mit Geschwisterstreit oder Eifersucht befassen, aber es fehlte ein Begleiter durch die ersten Jahre. Von der Entscheidung für ein zweites Kind bis ins Kleinkindalter. Diese Lücke will ich mit „Willkommen Geschwisterchen“ füllen. In meinem Buch kommen viele Eltern zu Wort. Ich will niemanden belehren – mir geht es vor allem darum, Erfahrungen weiterzugeben. Und weil mit Humor alles leichter geht, sind meine Bücher immer humorvoll, wie auch mein Blog. Die Idee für das zweite Buch kam dann durch meinen Blog, durch die Rückmeldung von Leserinnen. Viele haben sich dafür bedankt, dass ich eben keine perfekte, pastellfarbene Familienidylle präsentiere, sondern das alltägliche Chaos im Kinderzimmer. Dabei ist das doch die Realität! Und genau das will ich anderen Müttern mit meinem Buch vermitteln: Niemand von uns ist perfekt – und das ist völlig normal!

Nathalie Klüver

  • Nathalie Klüver ist 37, hat zwei Söhne im Alter von sechs und vier Jahren und eine vier Monate alte Tochter.
  • Sie ist freiberufliche Journalistin und schreibt auf ihrem Blog http://ganznormalemama.com über das alles andere als perfekte Leben mit drei Kindern.
  • Im Trias-Verlag ist bereits ihr „undogmatischer“ Ratgeber „Willkommen Geschwisterchen“ erschienen, im April erschien nun ihr zweites Buch „Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter“

Freie Autorin

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