„Langweilig wird uns nie“

Der Sänger Max Raabe steht für Berliner Luft, für Wortwitz, Pomade im Haar und gute Manieren. Im Interview spricht er über sein neues Album, über die Musik der Weimarer Republik, über seine Wandlungsfähigkeit als Künstler und über sein Leben im Hier und Jetzt.

Von 
Wolfgang Scheidt
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Aus der Poplandschaft nicht mehr wegzudenken: Max Raabe. © Gregor Hohenberg

Die Proben für das Konzert in Friedrichshafen an diesem Tag laufen auf Hochtouren. Der Mobilfunkempfang im Graf-Zeppelin-Haus ist miserabel. Gott sei Dank gibt es Festnetzempfang. Max Raabe bleibt cool. Seine Lieder wie „Guten Tag, liebes Glück“, „Der perfekte Moment wird heut verpennt“ oder „Küssen kann man nicht alleine“ versprühen den Charme von Orchestermusik, Wintergarten und Admiralspalast. Sie erzählen die Geschichten, von denen schon unsere Großeltern von Berlin und der Spree berichtet haben. Das ist Berliner Luft.

Herr Raabe, im nächsten Januar wird die TV-Serie „Babylon Berlin“ fortgesetzt. Würden Sie gerne in den goldenen 1920ern leben?

Max Raabe: Ich bin froh, in der heutigen Zeit zu leben. Gegen einen Ausflug in die 1920er und 1930er Jahre hätte ich nichts einzuwenden, um dort ins Theater, in die Konzertsäle und Clubs zu gehen. Oder am Ku’damm zu flanieren. Der Musik der 1920er Jahre gehört mein Herz. Für mich wäre es ein Erlebnis, den Berliner Broadway kennenlernen zu dürfen. Die Musiker zu dieser Zeit waren wahre Meister des Subtextes. Ein Lied wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln geh’n“ strotzt vor Seitenhieben und Nonchalance! Die Krux an den goldenen Zeiten ist, was nach 1933 in Deutschland und später in ganz Europa passiert ist. Deshalb beneide ich keinen Menschen von damals, sondern bin im Hier und Jetzt sehr glücklich.

Warum hören wir keinen Max-Raabe-Song in „Babylon Berlin“?

Raabe: Wahrlich ein Skandal! Bitte können Sie mal die Produktionsfirma von „Babylon Berlin“ anrufen, was das soll (lacht)? Ein bisschen kann ich die Produzenten verstehen. In der Serie soll man nachvollziehen können, warum die Gäste durch die Musik total angefixt wurden. Exzess und Erotik par excellence! Wenn ich mit dem Palast Orchester auf der Bühne stehe, wäre das ein Stilbruch. Wir sind ja nicht dafür bekannt, dass wir auf der Bühne Tabubrüche à la Rammstein zelebrieren (lacht).

Frack, Pomade im Haar, ernste Mimik und gute Manieren, wie sie im Knigge stehen, dazu Pop, Chanson und Wortwitz – was macht den typischen Max-Raabe-Stil aus?

Raabe: Das müssten Sie mein Publikum fragen! Ich selbst sehe mich als Sänger, Texter und Komponisten. Ich weiß, wie ich Texte phrasiere, wie ich Programme gestalte und was ich mir dabei denke. Alles andere ergibt sich, hinter meinen Auftritten steckt keinerlei Kalkül. Als ich mit der Musik anfing, habe ich mich hingestellt und gesungen. Die Leute sagten: „Das ist ja toll! Der steht einfach da und singt!“ Vielleicht war es ja Intuition?

Aber Sie haben sich schon bewusst für die Musik entschieden, die Ihnen selbst gefallen hat?

Raabe: Natürlich. Von klein auf faszinierte mich die Musik der 1920er und 1930er Jahre. Eines Tages ergab sich die Chance, mit dem Palast Orchester meiner Leidenschaft zu frönen. Nach der Gründung haben wir intensiv geprobt. Das einzige, was ausblieb, waren Engagements, weshalb wir kurz vor der Auflösung standen. Im letzten Moment hatten wir dann ein Engagement beim Berliner Theaterball, wo wir im Foyer spielen durften. Die Leute haben sich vor unserer Bühne gesammelt und eine Zugabe nach der anderen verlangt. Balsam für unsere Seelen! Ab da ging es aufwärts. Die Musik wurde damals, in der Weimarer Republik, für junge Leute gemacht. Warum sollte das heute nicht mehr funktionieren? Mittlerweile sind wir eine altgeworden Studenten-Combo. Allerdings ohne Immatrikulationsbescheinigung.

Seit der Gründung des Palast Orchesters sind 33 Jahre vergangen. Haben Sie manchmal die Nase voll von Tanzmusik und Retro-Look?

Raabe: Nein, denn uns steht ein Repertoire von über 600 Titeln zur Verfügung. Langweilig wird es uns nie. Wenn wir in Norwegen, Schweden, Italien oder in den Vereinigten Staaten touren, sieht unser Programm völlig anders aus als in Deutschland. Für Abwechslung ist also gesorgt. Und wir feiern auf der Bühne keinen Fasching, sondern präsentieren Musik aus einer anderen Zeit zusammen mit den neuen Songs der selbstkomponierten Alben, also den Raabe Pop Songs.

Als 24. deutscher Künstler haben Sie ein MTV-Unplugged-Konzert aufgenommen. Wie passt das zu einem ausgebildeten Bariton-Sänger?

Raabe: Überhaupt nicht – das war meine allererste Reaktion auf die MTV-Unplugged-Anfrage. Ich dachte, ich bin doch kein MTV-Künstler! Mit unplugged hatte ich weniger ein Problem, bei Stromausfall klingen wir genau so gut wie mit Strom. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr erkannte ich den Reiz, Leute einzuladen, auf die man nicht käme, wenn man an Max Raabe und das Palast Orchester denkt. Dadurch entstanden erst der Charme und der Bruch in der Chose. Plötzlich gefiel mir die Idee, und ich habe mich mit Leib und Seele reingehängt.

Die Aufzeichnung des Konzerts fand im Mai im Spiegelsaal von Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte statt, eines der letzten erhaltenen Ballhäuser aus der Zeit um 1900. Pure Absicht?

Raabe: Absolut. Ich wollte eine intime Atmosphäre und gleichzeitig einen gewissen morbiden Charme. Clärchens Ballhaus ist seit der Kaiserzeit nicht mehr renoviert worden, über Jahrzehnte wurde es als Lagerraum genutzt und hat folglich Spuren der Zeit erfahren. Trotz alledem ist es von einer unglaublichen Großzügigkeit und Grazilität. In dieser besonderen Atmosphäre wollte ich etwas ganz Privates und gleichzeitig Spezielles schaffen. Man trifft sich, setzt sich hin, es gibt etwas zu Trinken und irgendeiner steht auf und fängt an, etwas zu singen.

Die Songauswahl reicht von „Der perfekte Moment wird heut verpennt“, „Just a Gigolo“, der „Moritat von Mackie Messer“ bis zum Latin-Pop „Mambo“. Haben Sie keine Berührungsängste?

Raabe: Nein, das sind doch alles Stücke aus unserem Repertoire. Bis auf „Mambo“ gehört alles, was wir aufgeführt haben, zu unseren Standards. Natürlich gibt es Stücke, die ich nicht interpretieren würde. Man zwingt mich ja nicht, „Smoke on the Water“ zu singen.

Gerade standen Sie beim „The Voice of Germany“-Finale mit einem Kandidaten auf der Bühne, Sie sangen auf der Hochzeit von Dita Von Teese und Marilyn Manson oder tourten quer durch Israel. Wie wandlungsfähig sind Sie?

Raabe: Ich bin keine Sphinx. Aber ich besitze ein Gefühl für das, was ich auf der Bühne aufführe, für die Musik, für die Zusammenarbeit und meine Programme. Wenn ich merke, dass an meiner Kunst in anderen Ländern Interesse besteht, fahre ich sehr gerne dorthin. Niemals habe ich es bereut, Neues auszuprobieren.

Sie haben im Kirchenkinderchor gesungen und ein katholisches Internat besucht. Was bedeuten Ihnen Religion und Werte?

Raabe: Ich besitze schon eine gewisse Religiosität. Ich bin katholisch erzogen worden, das gibt mir Halt und Sicherheit. Gleichzeitig habe ich einen sehr kritischen Blick auf die Institution, ich sehe aber auch, dass die Kirche gute Sachen macht, karitative Projekte vorantreibt und sich in Drittländern für Minderheiten einsetzt. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Darüber hinaus bin ich dankbar dafür, was ich tun darf. Ich weiß, dass es viel begabtere und bessere Sänger gibt als mich, die es aber schwerer haben. Das lässt mich dankbar sein.

Max Raabe

Max Raabe wurde 1962 im westfälischen Lünen geboren. Später besuchte er ein katholisches Internat in Westfalen und war Messdiener.

Erste Gesangserfahrungen sammelte er im Kirchenkinderchor seiner Heimatgemeinde. Mit 20 Jahren zog er nach Berlin, studierte Gesang. Er verließ die Hochschule der Künste als staatlich geprüfter Opernsänger.

1986 gründete Raabe mit zwölf Kommilitonen das Palast Orchester. Nach erfolglosen Touren durch Berliner Kneipen kam der Durchbruch. Seit seinem Auftritt 1994 in der Filmkomödie „Der bewegte Mann“ mit dem Lied „Kein Schwein ruft mich an“ ist er fester Teil der deutschen Poplandschaft.

Bisher hat Raabe ein Dutzend Alben veröffentlicht, gerade ist sein Doppelalbum „MTV Unplugged“ bei We Love Music/ Universal Music erschienen.

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