Interview mit dem Geisteswissenschaftler Lenz Prütting

"Lachen ist eine ernste Sache"

Lenz Prütting wollte nur einen Aufsatz über das Lachen schreiben. Es wurden 1950 Seiten. Ein Gespräch mit dem deutschen Geisteswissenschaftler über Hitlers Lachangst, AfD-Parodien und die Entstehung von Komik.

Von 
Birgit Müller
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Beim Lachen gibt es nichts zu überlegen: Es platzt einfach aus einem heraus, sagt Lach-Experte Lenz Prütting. Das Bild zeigt Teilnehmer einer Lachyoga-Veranstaltung in Berlin.

© dpa

Herr Prütting, nach dem Erstarken der AfD wächst die Zahl der Parodien über die Partei. Wieso lachen Menschen über Dinge, die ihnen eigentlich unangenehm sind, oder die sie fürchten?

Lenz Prütting: Da wird eine Entlastungsfunktion gesucht. Die AfD wird aber nicht als etwas Komisches angesehen, über das man heiter lachen kann, sondern als etwas Lächerliches, das man verachtet und deshalb verlacht.

Darf man über alles lachen?

Prütting: Im Grunde schon, vor allem, wenn man etwas komisch findet, aber auch dann, wenn man es schafft, etwas lächerlich zu machen.

Worin besteht der Unterschied zwischen lächerlich und komisch?

Prütting: Komisches wird heiter und wohlwollend belacht, Lächerliches wird aggressiv und abwertend verlacht.

Wann entsteht Komik?

Prütting: Meistens entsteht Komik von selbst und unabsichtlich. Ein Beispiel: Als unsere Tochter in der ersten Klasse war und schon sehr bald fließend lesen konnte, war kein Text vor ihr sicher. Als eines Tages das Waschbecken verstopft war und ich "Rohrfrei" hineinschüttete, las sie vor, was auf der Packung stand. Und als sie da las "Vorsicht, stark ätzend!", packte sie mich am Arm, sah mich streng an und sagte: "Papa, pass bloß auf mit dem verdammten Zeug, sonst kriegst du Ätz!" Natürlich hab ich erst mal schallend gelacht und sie dann abgeküsst. Wenn man aber im Detail beweisen will, was an diesem Satz komisch ist, gerät man in Erklärungsnöte, weil Komik ein Evidenz-Phänomen ist, das eines Beweises gar nicht bedarf.

Was heißt das?

Prütting: Wenn man diesen Satz in dieser Situation hört, überlegt man ja nicht, was für oder gegen Komik spricht, und lacht dann, wenn man mehr Gründe dafür gefunden hat. Vielmehr platzt man mit seinem Lachen sofort heraus, weil es da gar nichts zum Überlegen gibt. Evidenz-Phänomene wie etwa Pointen-Komik sind eben immer schlagartig evident. Es gibt neben der Pointen-Komik aber auch komische Gestaltverläufe. Auf die reagiert man aber nicht mit einem Lachen, das aus einem herausplatzt und dann langsam verebbt. Komische Gestaltverläufe kommentiert man mit einem gleichsam synchronen Lachen.

Lachen ist also nicht gleich lachen.

Prütting: Richtig. Die bisherige Literatur über das Lachen krankt insbesondere daran, dass sie nicht genau und konsequent zwischen den drei Grundformen des Lachens unterscheidet, die ich als Bekundungs-, Interaktions- und Resonanz-Lachen bezeichne. Das Bekundungs-Lachen ist ein typisches unverfügbares Ausdrucksverhalten, das aus uns herausbricht, ohne dass wir es steuern könnten. Mit dem Interaktions-Lachen wenden wir uns an jemanden und adressieren es durch den obligatorischen Blickkontakt. Das Resonanz-Lachen ist das Lachen, zu dem wir uns durch fremdes Lachen anstecken lassen. Nur wenn man diese drei Grundformen sauber voneinander trennt, kann man genauer übers Lachen reden. Vor allem aber muss man sich vor Augen halten, dass Lachen nicht unbedingt mit Komischem oder Lächerlichem zu tun haben muss. Denn es gibt ja auch das Lachen auf dunklem Grund, also zum Beispiel das verlegene oder gar verzweifelte Auflachen.

In Diktaturen etwa ist es verboten, Witze über die Herrscher zu machen.

Prütting: Die wissen auch warum, aber nirgendwo gedeihen Witze so gut wie in Diktaturen.

Warum ist das so?

Prütting: Diktatoren stilisieren sich immer ins Göttliche und maßen sich deshalb gottgleiche Allmacht und Allwissenheit an. Dagegen wehrt man sich durch den politischen Witz. Sein Ziel ist es, die Selbstbehauptung des einfachen Bürgers gegen diese Anmaßung zu organisieren, indem der gottgleiche Diktator lächerlich gemacht wird. Die Pointe des politischen Witzes ist also immer die gleiche: Der Kaiser ist ja nackt!

Wie in Andersens Märchen.

Prütting: Ja. Diese Form des kulturell ritualisierten Auslachens von unten ist ein Akt des politischen Widerstandes, den die griechischen Kyniker während der Zeit der mazedonischen Besatzungsmacht erfunden haben.

Gleichzeitig gibt es etwa von Assad, Hitler oder Stalin kein Foto, auf dem sie herzhaft lachen.

Prütting: Das kann es auch nicht geben, weil das herzhafte Lachen viel zu menschlich ist und sich für einen Möchtegern-Gott nicht gehört. Von Hitler gibt es übrigens eine einzige Aufnahme, die ihn lachend zeigt, als er erfährt, dass Paris kapituliert hat. Dieses Lachen ist natürlich kein heiteres Strahlen, sondern das triumphale Hohngelächter eines Siegers, also ein Auslachen von oben, das er auch noch mit einem Stampftanz begleitet.

Wie kann man sich dagegen wehren, von oben ausgelacht zu werden?

Prütting: Indem man dieses aggressive Auslachen von oben durch noch aggressiveres Auslachen von unten kontert, also nur durch entschlossene Selbstbehauptung, und am besten in Form von politischen Witzen.

Und wie können die Gewaltherrscher sich dagegen wehren, dass sie von unten ausgelacht werden?

Prütting: Nur durch Gewalt.

Dann ist Lachen ja eine ziemlich ernste Sache.

Prütting: Ist es auch. Man kann das Lachen gar nicht ernst genug nehmen. Aber eben nicht nur das politisch relevante Interaktions-Lachen, sondern auch alle anderen Formen, so heiter sie auch auf den ersten Blick sein mögen.

Lenz Prütting

Lenz Prütting (Foto), 76 Jahre alt, ist Philosoph und Theaterwissenschaftler. Er lebt in einem alten Bauernhaus in der bayerischen Holledau.

Lenz Prüttings dreibändiges Werk "Homo ridens. Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens" ist im Verlag Karl Alber erschienen.

Prütting studierte in Erlangen und München Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaft.

Nach seiner Dissertation und zehn Jahren Arbeit am Institut für Theaterwissenschaft der Universität München wirkte er an Theatern als Dramaturg und Regisseur sowie als Übersetzer dramatischer Texte (Shakespeare, Molière, Synge).

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