Wie Personen der Zeitgeschichte Weihnachten verbrachten

Kein Fest für alle

John Lennon waren die Feierlichkeiten zuwider, Charlie Chaplin reagierte sentimental. Die Beethovens ließen es so richtig krachen. Und Lenin wurde beklaut. Wie Personen der Zeitgeschichte Weihnachten verlebten.

Von 
Thomas Olivier
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Rom, Weihnachten 800. Vor dem leuchtenden Hochaltar von St. Altpeter entfaltet sich ein Schauspiel von historischer Dimension: „Kniend, in andächtiger Haltung“, so der fränkische Hofschreiber Einhart, habe sich Karl der Große (768 bis 814) befunden, als Papst Leo III. (795 bis 816) ihm die Krone des römischen Kaisers aufs Haupt setzte. Dann warf sich der Nachfolger Petri selbst auf die Knie und salbte dem neuen Herrscher Europas die Füße. „Brausend“ hob die Krönungslitanei der Geistlichen an, und die anwesenden Bürger Roms spendeten „heftigen Applaus“.

1117 Weihnachten später verbringt eine jüdische Kaufmannstochter Heiligabend in der Dunkelheit eines Breslauer Kittchens: Rosa Luxemburg (1871 bis 1919), Sozialistin, 46 Jahre alt. Die Revolutionärin sitzt wegen Majestätsbeleidigung hinter Gittern. „Um mich herum herrscht Kirchhofstille“, klagt sie in einem Kassiber. Sie kommt sich vor „wie im Grabe“. Und dann der Weihnachtsbaum! Einen ganz schäbigen, mit fehlenden Ästen, habe man ihr beschert. „Ich weiß nicht, wie ich darauf meine acht Lichtlein anbringe.“

Ein Baum für jedes Kind

Während die dumpfen Schritte der Schildwache der schmächtigen Revolutionärin den Schlaf rauben, zelebriert die Kaiserliche Familie im Neuen Palais zu Potsdam ihr Christfest: Das Glockenzeichen ertönt. Die Flügeltür öffnet sich. Der kaiserliche Hofprediger und Prinzenerzieher Johannes Keßler gerät angesichts der „Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht“ ins Schwärmen. „Ein Lichtstrom flutet uns entgegen.“

15 Tannen, alle schwer behangen mit Lametta, erlesenem Glasschmuck und italienischen Pinienäpfeln illuminieren den 500 Quadratmeter großen Grottensaal. Darunter sieben kleinere Bäume in „absteigenden Größenverhältnissen für die sechs Prinzen und die Prinzessin“.

Bei den Habsburgern geht es knauseriger zu. Die Sparsamkeit von Kaiser Franz Joseph (1830 – 1916) ist legendär: Was Majestät sich wünsche? Allenfalls „Blechbüchsen für die Aufbewahrung von Zwieback und Keksen!“ Der jüngsten Kaiser-Tochter Marie Valerie geht das steife Hofzeremoniell auf die Nerven. In ihren Tagebüchern beklagt sich Sissys Lieblingstochter über die verkrampfte Weihnachtsstimmung. „Es war alles so steif und peinlich. Vor Verlegenheit und Fremdheit kam keinerlei Gespräch zustande.“

Queen Victoria (1819 bis 1901) von England liebte den festlichen Zauber. Die pummelige Monarchin schmückte ihren Christmas Tree selbst. Diese „eigenartige Tradition“, verrät die „Illustrated London News“ im Jahre 1840, habe ihr deutscher Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha in die Ehe eingeschleust. Frei von steifem Hofzeremoniell gerieten die Feste zu privaten Familienfeiern: Majestät entzündete die Kerzen selbst. „Bevor die Kinder hereingebracht wurden“, so Kuratorin Kathryn Jones von der „Royal Collection“, „versteckte das Herrscherpaar noch schnell ein paar Lebkuchen in den Bäumen.“

Geradezu frugal mutete das Weihnachtsmahl bei einem ehemaligen Beatle an. Als Yoko Ono ihren Ehemann John Lennon (1940 bis 1980) einmal fragte, wie er das Fest feiern möchte, flachste ihr Darling John: „Mit Cornflakes, zubereitet von persischer Hand und gesegnet mit den Mantren der Hare Krishna.“ Die ganze weiße Weihnacht sei ihm zuwider. Lieber wollte er eine Antikriegs-Botschaft verkünden. „War is over! If you want it!“ – „Der Krieg in Vietnam ist vorbei, wenn ihr es wollt!“ lautete der Slogan, den das durchgeknallte Paar 1969 auf riesige Plakatwände in Berlin, New York, Tokio und Rom drucken ließ.

Lennon war nicht der einzige, der um Weihnachten einen großen Bogen machte: Regelmäßig zum Fest wachse ihre „Mordlust“, lästerte Krimi-Königin Agathie Christie (1890 bis 1976). Für den Maler Paul Gauguin (1848 bis 1903) war Weihnachten „das Fest der Hoffnung, dass es vorübergeht“. Die französische Feministin Simone de Beauvoir spottete: „Man wendet sein Gesicht dem Lichtbaum zu, um die Verwandten nicht zu sehen.“

Mama rettete die Stimmung

Charlie Chaplin (1889 bis 1977) wurde Weihnachten sentimental. Der Mann mit der Melone, der als Kind das Elend in den Londoner Armenhäusern erlebt hatte, machte sich nicht viel aus dem Fest. Christbaum und Geschenke interessierten ihn nicht, erinnert sich Sohn Eugene Chaplin, 65. „Er empfand das alles als zu kommerziell.“ Nur seinen Kindern zuliebe feierte die Komikerlegende Weihnachten: Eine mächtige Tanne, fast fünf Meter hoch, leuchtete in der Eingangshalle des Anwesens „Manoir de Ban“ am Genfer See. Nach dem Essen pflegte die Klaviervirtuosin Clara Haskil, eine Nachbarin und Freundin des Hauses, zu spielen. Dann weinte der Tramp. Und Mama musste die gedrückte Stimmung retten: Sie zeigte alte Filmschätze ihres Mannes. Alle quietschen vor Freude.

Wie Bolle amüsierte sich Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) als Kind. Es gab leckere Würstchen, Kaffee und warmen Punsch. Die Mutter wurde früh zu Bett geschickt. Dann schmückte die ganze Sippschaft den Salon. Musiker trafen ein, und zu vorgerückter Stunde wurde Mama Beethoven geweckt. Man hievte sie auf einen Thron und lobpreiste Mutti. Spätestens kurz nach Mitternacht mündete die Huldigung in eine ausgelassene Feier. Fete bei den Beethovens: Man spielte, trank und tanzte bis zum Morgengrauen. Der kleine Ludwig soll vor Vergnügen gekreischt haben.

Für Altkanzler Adenauer (1876 bis 1967) war das Christfest ein Tag der Stille. Die Kinder holten am Tag vor Heiligabend im Siebengebirge das Moos für die barocke Weihnachtskrippe. Lametta, Kugeln und handgearbeitete Strohsterne schmückten den Weihnachtsbaum in Rhöndorf. Der Familienchor intonierte die Lieblingslieder des „Alten“: „Es ist ein Ros entsprungen“ und „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“. Nachdem der Vater das Weihnachtsevangelium vorgelesen hatte, knieten alle zum gemeinsamen Gebet vor der Krippe.

Kann man Weihnachten abschaffen? Man kann: 1970 entschied Fidel Castro (1926 bis 2016), dass sein Eiland Kuba zu klein war für Männer mit Rauschebärten und beflügelte Himmelswesen. Der „Maximo Lider“ im olivgrünen Outfit ersetzte das „dekadente Merkmal der Vergangenheit“ durch das „Revolutionäre Fest“ am 31. Dezember. 1998 gab der bärtige Atheist klein bei: Auf Bitten des Papstes hob Castro den Weihnachtsbann auf.

Typisch deutsches Christfest

Lenin (1870 bis 1924) hingegen liebte Weihnachten. Seine deutschstämmige Mutter Mirija, eine geborene Blank, sang im Kirchenchor in Simbirsk an der Wolga, wo Wladimir Iljitsch Uljanow mit seinen sechs Geschwistern aufwuchs. Stets feierte die Familie ein typisch deutsches Christfest.

Heiligabend 1919 wäre dem maßlosen Machtstrategen fast die Freude am Fest vergangen: Auf dem Weg zu einer Weihnachtsbescherung für Kinder hielt plötzlich eine Handvoll Männer das Auto des Revolutionsführers an. Lenin glaubte, eine Militärpatrouille vor sich zu haben. Er zückte seinen Kreml-Ausweis und sagte: „Mein Name ist Lenin.“ Die bewaffneten Männer schnappten sich die Papiere und befahlen den Wageninsassen auszusteigen. Lenins Schwester schrie: „Das ist Genosse Lenin! Wer seid ihr?“ – „Verbrecher brauchen keine Vollmacht!“ Die Banditen sprangen in das Auto und brausten davon – mit den Geschenken, die Lenin für die Kinder gekauft hatte.

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