Herz für krumme Dinger

Von 
Karin Rieppel
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Misfits, nicht gesellschaftsfähig, das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Obst und Gemüse: zu klein, zu groß, zu krumm, zu unperfekt für den Einzelhandel - nach einer Studie der Welternährungsorganisation landet etwa ein Viertel des in Europa angebauten Obstes und Gemüses nicht beim Verbraucher, sondern im Müll. "Wir", sagt Tanja Krakowski, "wollen diese ungeliebten kulinarischen Sonderlinge wieder salonfähig machen. Wir betonen ihre Eigenart und präsentieren sie als verborgene Schönheiten."

Und so kommen die Culinary Misfits wie Kunstobjekte daher, auf Spießen, als Häppchen, als Eingemachtes. Auf ihrem Misfits-Marktwägelchen werden sie wie auf einer Bühne dem staunenden Publikum präsentiert und verkauft. "Das ist unsere Art, auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen", meint Lea Brumsack "darauf, dass man die gesamte Ernte essen kann". Nicht nur essen kann: Neben der Vielfalt natürlich gewachsener Formen kann der Konsument auch entdecken, dass die krummen Früchtchen manchmal sogar besser und intensiver schmecken als die gerade gewachsenen Artgenossen.

Gestalten, nicht kochen

Inzwischen ist aus den Aktivitäten an der Schnittstelle von Design und Kulinarik ein Business geworden. Vor allem das Catering der Culinay Misfits ist äußerst gefragt, Büffets mit "Wurzelhappen mit rosa Pfeffer", mit "blauer Schwede mit Kürbismus" (blauer Schwede ist eine alte Kartoffelsorte, die tatsächlich blau ist), mit "Pastinaken-Apfel-Muffin" - Tanja Krakowski und Lea Brumsack sind beim Backen und Kochen ausgesprochen experimentierfreudig, und das kommt bei ihrer Kundschaft gut an. "Im Moment" sagt Tanja Krakowski, "kommen wir gar nicht hinterher", betont aber zugleich, dass sie "klein" bleiben wollen, nicht vorhätten, ins Groß-Catering einzusteigen. Denn ihr Hauptanliegen sei das Gestalten von und mit Essen, nicht das Kochen.

Zurzeit suchen sie nach einem Ladenlokal, in Kreuzberg oder Neukölln. Dann wollen sie die Misfits täglich in die Stadt holen und dort zu den Menschen bringen. Und nicht nur das, sondern auch vergessene alte Sorten, seltene Gemüse wie zum Beispiel Topinambur oder Wildkräuter. Und sie wollen in ihrem zukünftigen Laden kleine Gerichte, Suppen und Eingemachtes aus Gemüse anbieten. Noch können sie von ihrem Business nicht leben, suchen deshalb für ihr künftiges Geschäft nach einer Anschubfinanzierung über die Crowdfunding-Plattform startnext.de. Fast 300 Unterstützer sind dort bereits zusammengekommen. Und wie beim Crowdfunding üblich können sich die Unterstützer auf Produkte freuen, die Tanja und Lea designt haben. Nicht nur Gläser mit eingelegten Misfits, sondern auch Kühlschrankmagnete mit dem Misfits-Logo oder kleine Windlichter aus recycelten Babynahrungsgläschen. Spätestens im Frühjahr dieses Jahres soll der Laden eröffnet werden.

Gegen Verschwendung

Anfang 2012 begann die Zusammenarbeit der beiden, die sich in ihren Abschlussarbeiten jeweils mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst hatten - der Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Produktdesign, Lebensmitteln, Ernährung und Konsumverhalten. Und sie hätten dabei festgestellt, erzählt Tanja Krakowski, dass der Perfektionswahn eben auch für Lebensmittel und deren Formen gelte. Diesem Perfektionswahn werde der ursprüngliche Geschmack vieler Gemüsesorten ebenso geopfert wie die Reichhaltigkeit an Nährstoffen. Vor allem aber führe er zu einer unfassbaren Verschwendung wertvoller Lebensmittel. Zentnerweise bleibe Gemüse auf den Äckern liegen, werde untergepflügt, an Tiere verfüttert oder lande auf dem Müll.

Die beiden Frauen arbeiten mit Bio-Bauern in der Nähe von Berlin zusammen. Sie bekommen das Gemüse meistens zu Großhandelspreisen, holen es vom Hof oder auch vom Acker, was aussortiert werden muss. Zum Beispiel bei Landwirt Christian Heymann, der, wie er sagt, bei der Kartoffelernte rund 40 Prozent Ausschuss hat, weil die Knollen zu klein sind und der Handel die Ware nicht will. Oder von einem Biohof in Teltow, der unter anderem die brandenburgische Spezialität Teltower Rübchen anbaut. Oft schaffen sie es gar nicht, auf den Feldern alles einzusammeln, was die Bauern nicht unter die Leute bringen können, und müssen schweren Herzens feststellen, dass sie nicht die gesamte Ernte retten können.

Werbung bei jungen Leuten

Das werden sie vermutlich nie schaffen. Doch immerhin: Mit ihren Culinary Misfits und deren ästhetischer und ausgefallener Präsentation erreichen die beiden Berlinerinnen vor allem bei einem jungen Publikum große Aufmerksamkeit für das Thema Lebensmittelverschwendung und können auf diese Art und Weise hervorragend für ihre Idee werben: Esst die ganze Ernte!

Das wird gebraucht: Verschiedene bizarr gewachsene Gemüse, Öl, ...

Das wird gebraucht:

Verschiedene bizarr gewachsene Gemüse, Öl, Essig, Senf,

Agavendicksaft, Knoblauch,

Salz und Pfeffer

So geht's:

Die Marinade wird aus einem Teil Öl, einem Teil Essig (oder Zitrone), etwas Agavendicksaft und zerdrücktem Knoblauch angerührt und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt.

Die Gemüse-Misfits werden (wahlweise quer oder der Länge nach) in dicke Scheiben geschnitten und einige Minuten in kochendem Salzwasser blanchiert.

Nach dem Abkühlen sollen die Scheiben einige Stunden in der Marinade ruhen, bevor sie abwechselnd nebeneinander auf einem Holzspieß aufgereiht oder als längs geschnittene Figuren einzeln aufgespießt werden. riep

Zum Weiterlesen

Im Buch "Taste The Waste - Rezepte und Ideen für Essensretter" von Valentin Thurn und Gundula Oertel (Kiepenheuer & Witsch, Euro 18,99) ist den Culinary Misfits unter dem Motto "Esst die ganze Ernte" das erste Kapitel gewidmet.

In weiteren elf Kapiteln werden Köche und Initiativen vorgestellt, die mit Kreativität und verblüffenden Ideen der Verschwendung von Nahrungsmitteln den Kampf angesagt haben.

Zum Beispiel "Dinner Exchange", bei dem den Gästen nach britischem Vorbild ein mehrgängiges Menü aus den Überbleibseln Berliner Märkte serviert wird, oder der Stuttgarter Sternekoch Vincent Klink mit seinem Kapitel "Vom Einfachsten das Beste".

Und es gibt von allen Beteiligten in jedem Kapitel jeweils mehrere Rezepte. riep

Misfits am Spieß

Das wird gebraucht:

Verschiedene bizarr gewachsene Gemüse, Öl, Essig, Senf, Agavendicksaft, Knoblauch, Salz und Pfeffer

So geht's:

Die Marinade wird aus einem Teil Öl, einem Teil Essig (oder Zitrone), etwas Agavendicksaft und zerdrücktem Knoblauch angerührt und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt.

Die Gemüse-Misfits werden (wahlweise quer oder der Länge nach) in dicke Scheiben geschnitten und einige Minuten in kochendem Salzwasser blanchiert.

Nach dem Abkühlen sollen die Scheiben einige Stunden in der Marinade ruhen, bevor sie abwechselnd nebeneinander auf einem Holzspieß aufgereiht oder als längs geschnittene Figuren einzeln aufgespießt werden. riep

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