Gutes zu berichten

Wo Blut fließt, gibt es Schlagzeilen – oft genug folgt das Nachrichtengeschäft diesem Prinzip. Sollte man den Blick daher nicht lieber auf die frohen Botschaften richten? Die Liverpoolerin Rebecca Keegan würde sagen: ja, unbedingt.

Von 
Viola Schenz
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Ein Kiosk in Bonn. Allzu häufig schaffen es negative Nachrichten in die Presse. Hin und wieder gibt es in der Medienlandschaft Rubriken, die sich auf gute Nachrichten konzentrieren. Auch diese Zeitung hat sich mit dem Thema schon befasst und zeigt eine positive Rückschau auf die Woche mit dem Titel „Daumen hoch!“. © dpa

IS-Terror allerorten, Millionen auf der Flucht, Hochhausbrand in London, Waldbrand in Portugal, steigende Bahnpreise, Trump im Weißen Haus, Hackerangriffe auf den heimischen PC. Die Welt da draußen ist ein einziges Elend – und das ist gut so, jedenfalls für das Nachrichtengeschäft. Was zynisch klingt, ist ein Grundsatz im Journalismus: Only bad news is good news – nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Noch drastischer: If it bleeds, it leads – wo Blut fließt, da gibt es Schlagzeilen.

Nach diesem Mantra hat auch Rebecca Keegan gearbeitet, bis es ihr zu dumm wurde. Die Liverpoolerin schmiss ihren Reporterjob hin und gründete im August 2015 mal eben eine eigene Zeitung. „Ich war der dauernden negativen Inhalte überdrüssig“, erzählt die junge Frau. „Es passieren viele gute Dinge vor unserer Haustür, auf der ganzen Welt. Warum liest man so selten davon, warum machen die nie Schlagzeilen?“ „Good News Liverpool“ heißt ihr Blatt, und wie der Name andeutet, findet sich darin nur Positives aus Liverpool: 32 Seiten Reportagen und Meldungen über Babys, denen medizinisch geholfen wird, über verfallene Gebäude, die restauriert wurden, über neue Busstrecken, über Musikfestivals, klar geschrieben, viele Fotos, anmutige Optik, inklusive Kreuzworträtsel und Comics – „eine seriöse Boulevardzeitung“ nennt Keegan ihr kühnes Projekt. Sechs Journalisten arbeiten mit, zwei fest, vier frei, das Blatt erscheint monatlich, eine Web-Ausgabe gibt es auch.

Idee existiert bereits

Die Idee ist nicht neu: 1994 etwa startete ein Amerikaner namens Daniel Mapel im Staat Virginia „The Joy Gazette“ (Zeitung der Freude), die ebenfalls nur Positives druckte, aber nicht lange überlebte. Das Nachrichtenportal „Huffington Post“ führte 2012 die Rubrik „Good News“ ein mit den „Geschichten, die die meisten Medien nicht berücksichtigen“, wie es heißt. Der Spiegel hat die Reihe „Früher war alles schlechter“, die anhand von Statistiken zeigt, dass sich vieles zum Besseren gewandelt hat: etwa anhand von Zahlen zu Verkehrstoten, zum Hunger.

„Liverpooler sind sehr patriotisch, was ihre Stadt angeht“, erklärt Keegan ihr Motiv, „gleichzeitig ist die Bevölkerung sehr kosmopolitisch, sie wächst, auch die Wirtschaft wächst. Es liegt eine optimistische Stimmung über der Stadt, und die möchte ich einfangen.“ 20 000 Exemplare von „Good News Liverpool“ liegen jeden Monat kostenlos in der Stadt aus. „Die Zeitung zu verkaufen, wäre zu umständlich und käme zu teuer, weil man Lizenzen bräuchte und Platz in Kioskregalen anmieten müsste.“ Geld kommt nur über Anzeigen rein, da reinvestiere sie lieber jedes erwirtschaftete Pfund, sagt sie.

Hat die junge Frau Recht? Zeigen Journalisten nur die halbe Wahrheit? Machen sie Tag für Tag in ihren Berichten, Reportagen, Kommentaren die Welt schlechter, als sie ist? Sitzen sie einem Irrtum auf, wenn sie meinen, nur so Aufmerksamkeit, Einschaltquoten, Umsätze zu erzielen? Muss kritischer Journalismus automatisch negativ sein? Den dänischen Journalisten Ulrik Haagerup treiben diese Fragen schon länger um. „Vielleicht sehen wir nur die Löcher, nicht aber den Käse drumherum“, meint Haagerup. Vor drei Jahren schrieb er ein Buch über „Konstruktive Nachrichten“.

Vielleicht aber entsprechen Negativnachrichten auch bloß der menschlichen Natur. Unabhängig von Herkunft, Bildungsgrad oder Kultur scheinen wir alle uns für das Leid anderer brennend zu interessieren. Deswegen werden mit Vorliebe Krimis konsumiert, deswegen ist der Täter stets interessanter als das Opfer, deswegen zieht ein Verkehrsunfall Gaffer an. Doch kann man angesichts von Terroranschlägen, Brexit und Hochhaustoten mit gutem Gewissen nur über Nettigkeiten aus der Nachbarschaft berichten? Rutscht man so nicht unweigerlich ins Betuliche und Banale ab?

Es gibt noch andere Blätter

„Natürlich müssen wir wahrnehmen, was um uns herum geschieht“, sagt Keegan, es solle ja nicht ausschließlich ihr Blatt gelesen werden. „Aber wir dürfen den Negativismus auch nicht unser Leben beherrschen lassen.“ Einen Vorteil hat ihr Ansatz: „Good News Liverpool“ ist einigermaßen gut gefüllt mit Inseraten – in einer Zeit, in der viele Printmedien mit einem schrumpfenden Anzeigengeschäft zu kämpfen haben. Unternehmen inserieren eventuell doch lieber neben einer Kindergartenaktion als neben einem Prostituiertenmord. Dennoch macht sich Keegan nichts vor, ihr Projekt sei mühsam und arbeitsintensiv, sagt sie. Existieren kann sie bisher nicht davon. Drei Tage die Woche arbeitet die junge Frau daher für eine Anwaltskanzlei. Immerhin sei die Zeitung inzwischen, wenige Jahre nach dem Start, leicht profitabel. Und wenn es mit der erhöhten Auflage gut läuft, sollen auch in anderen britischen Städten „Good News“ erscheinen.

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