Nicht erst seit dem in Deutschland relativ jungen, aber erfolgreichen Hype um Halloween weiß man: Grusel kann ein großer Spaß sein – und ist deshalb auch gut zu verkaufen. Trotzdem dürften einige Menschen froh sein, dass sich der aus dem angloamerikanischen Raum übernommene Brauch stets auf einen Tag des Jahres konzentriert. Nach dem 31. Oktober ist das unentrinnbare Mainstreamevent hierzulande abgehakt beziehungsweise zieht sich wieder ins Kino, Fernsehen oder in Bücher zurück.
Ganz anders sieht das in Rumänien aus, wo dauerhaft Gruselmania herrscht – jedenfalls im Verkaufs- und Vermarktungsbereich. Rumänien, das ist für die ganze Welt das Dracula-Land, und das ist auch gut so, sagen sich offenbar die Rumänen selbst. Besser Gruselimage als gar keines. So sehen es zumindest die Tourismusförderer des Karpatenlandes, das seit 2007 zur EU gehört. Dass Dracula-Legende und historische Wahrheit ungefähr so weit auseinander liegen wie Siebenbürgen und die Schwarzmeerküste, spielt keine entscheidende Rolle. Über Deutschland denkt wahrscheinlich auch die halbe Welt, dass alle seine Einwohner – zumindest im Oktober – Lederhosen tragen und mit vollen Bierkrügen in Festzelten schunkeln, bis sie am nächsten Morgen wieder im Mercedes pünktlich zur Arbeit fahren. Klischees in Touristenattraktionen zu verwandeln ist die hohe Kunst nationaler Selbstvermarktung, und die rumänische Variante ist die Saga von Dracula, dem blutrünstigen Grafen aus den dunklen Wäldern von Transsilvanien.
Kitsch am Flughafen
Während in Berliner Flughafenshops bunte Stückchen der früheren Berliner Mauer verkauft werden, die natürlich alle echt sein sollen, wird in Bukarester Flughafenshops das ganze Programm an Dracula-Kitschware offeriert: Dracula-Tassen, Fledermaus-Schokolade, Vampir-Cookies und Knoblauchzöpfe mit Anti-Vampir-Wirkung. Zudem gibt es eine breite Palette an Büchern und Filmen, die dem Grusel-Veteran huldigen, wobei der größte und berühmteste Teil des Repertoires nichtrumänischer Herkunft ist. Zur Kultfigur des unterhaltsamen Horrorkults wurde der Graf schließlich durch UFA-Filme wie „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ (1922), durch die britische Kinofilme wie „Horror of Dracula“ (1958, mit Christopher Lee) und Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ (1967) oder durch Francis Ford Coppolas Hollywood-Streifen „Bram Stoker’s Dracula“ (1992).
Ein blutrünstiger Herrscher
Nicht mal die Urvorlage für den heutigen Dracula-Kult stammt aus Rumänien, sondern von eben jenem Bram Stoker, einem irischen Schriftsteller, der 1897 den Roman „Dracula“ veröffentlichte. Diese Tatsache wird den Menschen keineswegs vorenthalten, die jedes Jahr in großer Zahl das Dracula-Schloss in Bran bei Brasov (früher Kronstadt) besuchen. Trotzdem wirken sie teilweise etwas ernüchtert, wenn sie nach stundenlangem Anstehen und zügigem Durchschleusen die Schlossgemäuer wieder verlassen. Statt spooky Atmosphäre gibt es eine relativ nüchterne Weiterbildung zum Dracula-Mythos und seinen Weg in die Welt der Massenkultur. An dessen Anfang, wie gesagt, der irische Schriftsteller Bram Stoker stand, der für seinen Vampirroman den einstigen Herren dieses Schlosses zum Vorbild erkor.
Jener 1431 geborene Vlad Tepes war mitnichten ein Blutsauger und schon gar kein Untoter, sondern schlicht ein blutrünstiger Herrscher, der sich eigentlich nicht die Bohne von den Herrscherkollegen seiner Zeit unterschied. Als Romanvorlage für Graf Dracula taugte er insofern, als er eine schaurig-gruselige Art der Feindestötung favorisiert hatte. Er ließ fremde Soldaten zum Sterben auf Pflöcke stecken, was ihm den Beinamen „der Pfähler“ einbrachte.
Seine postume Wandlung zum Vampir ist das Ergebnis künstlerischer Freiheit, der historische Korrektheit zum Opfer fiel. Fürst Vlad beherrschte nämlich die Walachei und nicht Transsilvanien, das aber immerhin um die Ecke liegt. Auch namenstechnisch würfelte Bram Stoker einiges durcheinander, denn es war Vlads Vater, der walachische Fürst Vlad III., der den Beinamen Dracul führte. Der heute auf Gemälden, Postern und Schokoladentafeln verewigte Fürst Dracula ist also nur „der Sohn von Dracul“. Obendrein hat der Namenszusatz Dracul nichts mit dem Drachen (also Dracul) zu tun, der in der Walachei als Teufelssymbol gilt. Vater Dracul gehörte schlicht zu den Mitgliedern eines Drachen-Ordens.
Was soll’s, Bram Stoker war schließlich kein Historiker, sondern Romancier, der nie je einen Fuß auf rumänischen Boden gesetzt hat. Wäre er selbst, wie sein Romanheld, ein Untoter, und in der Lage, die Verbreitung des von ihm geschaffenen Mythos’ heute zu beobachten, er würde wahrscheinlich staunen, was aus seinem Dracula so alles geworden ist. Zum Beispiel eine gleichnamige Zeitung, die nach der Jahrtausendwende mehrere Jahre in Brasov herausgegeben wurde und die Schwindelei quasi zum Konzept gemacht hatte.
Das Revolverblatt war berühmt-berüchtigt für bis ins Fake Newsige aufgebauschte Meldungen. Bedient wurden einfältige Leser, die zum Beispiel interessierte, wie ihr früherer Landesherrscher, der kommunistische Diktator Nicolae Ceausescu, die Menschen über das Fernsehen ausspioniert hat (also telepathisch, nicht technisch). Das Blatt ist inzwischen eingestellt und wird im Kommunistischen Kitschmuseum in Bukarest als Beweismaterial für landestypische Art of Kitsch ausgestellt.
Dracula wird dort als schönstes Beispiel präsentiert, wie sich die Rumänen den gar nicht mal von ihnen erschaffenen Mythos zu Eigen gemacht haben und kitschvoll verwerten. „Die Dracula-Story hat ja nichts mit der Tradition unsere Landes zu tun, wir Rumänen glauben ja nicht an Vampire“, sagt der junge Museums-Mitarbeiter Adrian Nastasa, „sie wurde uns sozusagen als Geschenk gegeben, das wir auf ziemlich absurde Weise für den Tourismus und die Vermarktung unseres Landes nutzen.“ Aber auch mit einigem Erfolg, kann man sagen, obwohl es zur Realisierung eines geplanten Dracula-Themenparks bisher nicht gekommen ist. Erst jüngst fand das Dracula-Schloss wieder Eingang in die Popkultur. Die Musiker der international angesagten deutschen Stoner-Rockband Kadavar waren eigens nach Bran gereist, um sich vor dem Schloss für das Cover ihres neuen Album ablichten zu lassen. Ein ähnliches Burgmotiv hätten sie sicher auch in Deutschland gefunden, nur hätte es wohl nicht die gewünschte Gruselassoziation bewirkt.
Wie wichtig Gruseleffekte gerade in der Rock- und Popkultur sind, weiß jeder Gothic- und Metalrockfan. Black Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne trägt sogar den Kosenamen „Fürst der Finsternis“, weil er als Showmensch eine Art Reinkarnation von Dracula ist. Vor allem seit er 1982 bei einem Konzert einer Fledermaus den Kopf abbiss, was vielleicht wie eine Story aus der „Dracula“-Zeitung klingen mag, aber wahr ist. Ein Fan hatte ihm das echte Tier (aus welchen Gründen auch immer) auf die Bühne geworfen und Ozzy reingebissen, weil er es für ein Halloween-Spielzeug hielt. Als sein Mund plötzlich voller warmer Flüssigkeit gewesen sei, wäre das „der schlimmste Nachgeschmack“ gewesen, wie er später sagte.
Vampirfans im Netz
Es gibt jedoch Menschen, für die der Geschmack von frischem Blut durchaus reizvoll ist. Sie gehören zu einer Subkultur, die dem Vampirismus und vereinzelt sogar dem Trinken (fremden) Menschenblutes frönt. Laut Mark Benecke – Kriminalbiologe, Buchautor („Vampire unter uns“) und im Nebenberuf Präsident der deutschen Sektion der Transylvanian Society of Dracula – fehlt es diesen Vampirfans an Energie, die sie sich bei anderen Menschen über das Blut holen wollen. Zwar ist die Zahl solcher Blutfetischisten sehr gering, die Gemeinde von Vampirfans jedoch erstaunlich groß. Im Internet tauschen sie sich auf diversen Seiten aus, unter anderem über Lifestyle- und Fashion-Vampirismus. Das hätte Bram Stoker mit Sicherheit nicht zu phantasieren gewagt, als er von 1890 an sieben Jahre lang an seinem „Dracula“-Buch schrieb.
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