Im Outback von Australien kann es richtig einsam sein. Nur jeder zehnte der 22 Millionen Australier lebt im fast menschenleeren Landesinneren. Unfälle oder Krankheiten können schnell zum Problem werden, wenn die nächste Arztpraxis gut 1000 Kilometer entfernt liegt. Ein Glück, dass es den "Royal Flying Doctor Service" gibt. Denn der RFDS macht Hausbesuche mit dem Flugzeug.
Chris ist Pilot, aber ohne festen Flugplan. Er ist in Kalgoorlie stationiert, im Outback von Western Australia. Dort, wo tief in der Erde nach Gold gebuddelt wird. Immerhin gibt es in dem Minenstädtchen knapp 30 000 Einwohner, ein Postamt, eine Pferderennbahn, vor allem aber einen kleinen Flugplatz mit täglicher Verbindung nach Perth.
Prinzip Flexibilität
Chris fliegt Ärzte und Krankenschwestern ins Outback, sobald ein Notruf eingeht. "Natürlich müssen wir flexibel sein" sagt er, "Krankheiten und Unfälle sind ja nicht vorhersehbar." In einem Hangar neben dem Abfertigungsbungalow des Flughafens von Kalgoorlie sind die "Fliegenden Ärzte" stationiert, genauer gesagt die Flugzeuge. Gleich nebenan wartet die aktive Schicht von insgesamt sieben dort stationierten Ärzten und Schwestern auf ihren nächsten Einsatz.
Chris hat vorher einige Jahre Charter- und Frachtflugzeuge geflogen, bis er zu den "Flying Doctors" kam. "Dieser Job ist verdammt interessant, oft herausfordernd, immer abwechslungsreich." Ein Beinbruch auf einer weit entfernten Farm oder die verfrüht einsetzenden Wehen einer hochschwangeren Frau rufen die Einsatzkräfte auf den Plan. "Unser Motto ,The farthest corner, the finest care' (bester Service bis in die entlegenste Ecke) müssen wir täglich neu beweisen."
In spätestens drei Stunden nach einem Notruf sollen die Hilfskräfte vor Ort sein, eine nicht immer einfach zu erreichende Vorgabe. Holperige Graspisten auf den Farmen stellen Piloten vor zusätzliche Herausforderungen. Auch einige schnurgerade Straßenabschnitte in der Nähe abgelegener Farmen oder Minen sind als Hilfslandepisten markiert.
Angefangen hatte alles vor rund 85 Jahren, als der Seelsorger und Menschenfreund John Flynn nach jahrelangen Vorbereitungen einen Vertrag mit Northern Territorial Aerial Service, einem Vorläufer der australischen Fluggesellschaft Qantas, über eine Flugambulanz in der australischen Provinz Queensland unterzeichnen konnte, um die Menschen in den Weiten des Outback medizinisch zu versorgen. Diese konnten zunächst per Morsesender, der wie bei einem Fahrrad von einem Pedal-Stromgenerator versorgt wurde, ihren Hilferuf absetzten.
Die ersten Piloten flogen noch im offenen Cockpit und orientierten sich ohne Landkarten an Flussläufen oder Überlandtelefonleitungen. Inzwischen besitzt der RFDS knapp 50 eigene, bestens ausgestattete Flugzeuge und einige Hubschrauber - alle mit neuester Navigationstechnologie -, die von insgesamt 146 Piloten gesteuert werden. So kommen die australischen Notfallmediziner heute auf rund 240 000 Einsätze im Jahr, 650 pro Kalendertag. Als Würdigung ist Reverend John Flynn mit seinem Konterfei auf den 20-Dollar-Noten Australiens porträtiert - eine besondere Anerkennung seiner Initiative und für den von ihm entwickelten segensreichen Service.
Scheinbar endloses Outback
Andrew Christopherson ist "Senior Flight Nurse". "Auch die männlichen Mitglieder des Pflegepersonals heißen Nurse", erzählt er. "Meist fliegt nur eine oder einer aus unserem Team mit dem Piloten, bei schwerwiegenden Fällen kommt natürlich ein Arzt dazu", berichtet er, "Doch häufig können wir schon Erste Hilfe am Telefon leisten."
Die Basis in Kalgoorlie betreut die "Eastern Goldfield Section", in der auf gigantischen Lastern im Tagebau goldhaltiges Gestein an die Erdoberfläche befördert wird. Dazwischen liegen weit verstreut Farmen, leben Aborigines im endlos scheinenden roten Outback. Die nächsten RFDS-Stationen liegen in Esperance an der Südküste 400 Kilometer und in Perth ganz im Westen 600 Kilometer entfernt.
Andrew klettert in einen Flieger, der gleich starten soll, um die medizinische Ausrüstung zu überprüfen. "Unsere Maschinen sind gut ausgestattet, mit Krankentrage, mit Überwachungsmonitoren, die die lebenswichtigen Daten der Patienten während des gesamten Fluges abbilden. Natürlich auch mit dem notwendigen medizinischen Ausrüstung, ähnlich wie in einer Notfallambulanz in großen Städten.
"Wir werden gleich eine Frau auf einer Farm abholen und ins Krankenhaus nach Perth fliegen, für eine Operation," berichtet Andrew. "Das ist kein Notfall, aber sie kann nicht einen ganzen Tag auf einer Pritsche im Krankenwagen durch den Westen von Australien kutschiert werden."
Der besondere Lufttaxi-Service ist Teil der medizinischen Versorgung in Australien und damit unentgeltlich. "Das ist sicherlich auch ein gutes Gefühl für die vielen Urlauber aus Europa, die als Backpacker oder mit dem Wohnmobil durch das Outback reisen. Kostenlose Hilfe für den Notfall ist immer nur höchstens drei Stunden entfernt."
Hilfe am Himmel
Die "Fliegenden Ärzte"
Info: Royal Flying Doctor Service (RFDS), www.flyingdoctor.net
Ausstellung zum RFDS beim Flugplatz von Kalgoorlie
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