Durch die "grüne Hölle"

Von 
Brigitte Bonder
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Kaspar Brandhofer empfängt die Teilnehmer des historischen Almritts in Oberbayern mit Zitherklängen, während die kräftigen Farben der herbstlichen Wiesen und Wälder die Sinne beruhigen und in der Ferne sich die Alpenkette durch die Wolken schiebt.

© Bonder

Die "grüne Hölle" ist eh schon eng. Aber an diesem Samstag hat es sich irgendjemand erlaubt, Büsche und Bäume kräftig zu beschneiden und einfach auf dem schmalen Weg liegenzulassen. Sicherlich hat sich der Förster lieber ein trockenes Plätzchen gesucht, anstatt das meterhoch auftürmende Geäst wegzuräumen.

Romy schnaubt empört. Die junge Dame marschiert nicht nur aufgrund ihrer Größe eher ungern durch das Unterholz. Das stolze Kaltblut ist geländesicher, bevorzugt aber breite Forstwege. "Dann reit'n mir obi drumher!" Daniela Brandhofer lenkt ihre Stute bergab quer durch den Wald. Während ihre norddeutschen Reiterkollegen noch über die Bedeutung des Worts "obi" grübeln, folgt die Herde aus Norwegerponys und Haflingern der Leitstute trittsicher durch den knöcheltiefen Morast abseits des gut ausgebauten Reitwegs in Oberbayern.

Urige Hütten

"Ohne ein ordentliches G'wand geht's heuer net", gibt Brandhofer zu. Die erfahrene Trainerin lebt von Pferdezucht, Reitschule und Wanderritten und bewirtschaftet in Irschenberg nahe der Autobahn A 8 einen großen Hof mit mehr als 40 Pferden. Geritten wird auch bei Regen, schließlich gibt es kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.

Am frühen Morgen hat die blond gelockte Unternehmerin regendichte Mäntel ausgepackt und den Hobby-Wanderreitern die Pferde zugeteilt. Eine Truppe, wie sie bunter nicht sein könnte: Das Pony Marc mit seinem Irokesenschnitt, der blonde Haflinger Charly, die Fuchsstute Babett und der ständig trippelnde Norweger Nemo folgen der großen Kaltblutstute Romy durch die saftigen Wiesen Oberbayerns.

Gegen Mittag reißt der Himmel endlich auf. Die Sonne trocknet die welligen Mähnen der Pferde, die Regenmäntel werden in den Satteltaschen verstaut. In der Ferne spießen die ersten Ausläufer der Alpen die verbliebenen Wolkenfetzen auf. Ein letzter Anstieg liegt vor den mittlerweile müden Pferden. Steil geht es eine leuchtend grüne Almwiese hinauf zu der urigen Almhütte, die Brandhofer für diese Wanderritte von ihrem Schwager gemietet hat.

"Den historischen Almritt planen wir gut fünfmal pro Jahr", berichtet die Pferdenärrin. Ihr Reitstall ist einer von mittlerweile mehr als 80 Betrieben, die sich der Kooperation der Pferderegion Oberbayern-Tirol angeschlossen haben. "Bis vor kurzem wurde das Projekt von der Europäischen Union gefördert, nun stehen wir vollständig auf eigenen Füßen."

Bayerische Volkslieder

Nicole Schad von der Pferderegion kennt die Herausforderung und kann heute ein breitgefächertes Angebot vorweisen: Die beteiligten Höfe bieten klassischen Reitunterricht, grenzüberschreitende Wanderritte, Kutschfahrten und Kinderreitkurse. Zahlreiche Gasthöfe laden unterwegs zur Einkehr ein, die Pferde werden auf die benachbarte Koppel gebracht oder an der Anbindestation geparkt.

Das Ziel des historischen Almritts ist die urige Almhütte oberhalb von Gaißach. Die Pferdeherde wird abgesattelt und grast auf der Koppel rings um die Hütte. Die Reiter bestücken den Grill und genießen die herbstliche Sonne auf einfachen Holzbänken vor der Hütte. Ab und an schaut ein Pony über den angeknabberten Zaun, ob es nicht vielleicht etwas Brot ergattern kann, und widmet sich dann wieder den langen Gräsern der Almwiese.

Daniela Brandhofers Mann Kaspar packt seine Zither aus und zupft an den zahlreichen Saiten bayerische Volkslieder. Der Hufschmied ist musikalisch und serviert zu späterer Stunde einen selbstgebrannten Obstler. Mit geölter Stimme beginnt er zu singen. "Die Hütte ist einfach wahnsinnig romantisch", findet Daniela Brandhofer und heizt drinnen ein, denn selbst im Sommer wird es hier nachts empfindlich kühl, geschweige denn im Herbst. Es gibt kein Licht, keinen Strom, kein Bad. Aber zahlreiche Kerzen, ein großer Ofen und ein hölzerner, mit kaltem Quellwasser gefüllter Zuber tun es für eine Nacht auch. Wie im vorletzten Jahrhundert verschwinden die Reiter bei Einbruch der Dunkelheit im Matratzenlager.

Am nächsten Morgen weckt fröhliches Wiehern die Wanderreiter. Munter galoppiert die Herde um die Hütte, als dränge sie zum Aufbruch. Daniela Brandhofers fröhlicher Mops hüpft zwischen den Hufen hin und her. Der ungewöhnlich flotte Hund schnappt sich etwas Frühstückswurst und flitzt aufgeregt von einem zum nächsten. "Heute reiten wir eine andere Strecke zurück, wer weiß, ob die ,grüne Hölle' schon wieder frei ist", entscheidet die Rittmeisterin und lenkt ihre Stute Romy vorsichtig die steile Alm hinab. Am plätschernden Fluss ist der Reitweg in bestem Zustand und im leichten Trab geht es in großem Bogen um die grüne Hölle zurück ins Tal.

Auf dem Rücken der Pferde

Pferderegion Oberbayern-Tirol, Nicole Schad, Kogl 4, 83 730 Fischbachau. Tel.: 080 66- 88 45 10, E-Mail: kontakt@pferdegenuss-grenzenlos.de, Internet: www.pferdegenuss-grenzenlos.de

Historischer Almritt mit Daniela Brandhofer: Reitanlage Poschanger, Poschanger 1, 83 737 Irschenberg, Tel.: 080 25-99 95 25, E-Mail: poschanger@gmx.net, Internet: www.reitanlage-poschanger.de

Nächster Termin: 14.-15. Oktober.

Freie Autorin

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