Ein sonniger Sonntagmorgen im April in Dachau. Sissi Perlinger ist beim Stammtisch der weiß-blauen Kultserie „Dahoam is Dahoam“ des Bayerischen Rundfunks zu Gast. Vor ihr steht ein Maßkrug voll Wasser, neben ihr sitzt der bayerische Wirtschaftsminister Franz-Josef Pschierer nebst Weißbier. Sie trägt Leoparden-Look – denn egal ob in einer Talkshow, bei der Gartenarbeit oder auf der Bühne, das ist ihr Outfit.
Natürlich ist es kein echter Pelz, sondern Plüsch, betont die Vegetarierin und Tierliebhaberin. „Damit bin ich völlig losgelöst von irgendwelchem Mode-Quatsch. Die Lebenshaltungskosten herunterzuschrauben ist ein großer Schritt zur eigenen Frei- und Frechheit.“ Nach dem TV-Auftritt erfüllt sie gut gelaunt Autogrammwünsche, ihr Fahrer zum Flughafen München wartet schon vor der Tür. Sissi Perlinger strahlt über beide Ohren und nimmt sich viel Zeit für unser Gespräch mit Frühstück. „Ich bin heute eine Zeitmillionärin. Mein Leben besteht aus Aus- und Applauszeiten. Wenn ich auf der Bühne stehe, genieße ich es, Menschen zum Lachen zu bringen. Das kann ich aber nur, wenn ich mir intensive Auszeiten in Goa oder auf Ibiza gönne.“
Angefangen hat alles vor 55 Jahren im oberpfälzischen Furth im Wald. Dort wird sie nur durch Zufall geboren, weil sie ein Frühchen ist. Sissi wächst in München auf, nach dem Abitur 1982 wandert sie nach Paris und Saint-Tropez aus und verdient sich das Geld für einen professionellen Gesangsunterricht als Straßenkünstlerin. Sie wird von der Band The High Cats als Frontfrau engagiert, beginnt gleichzeitig mit dem Schreiben eigener kabarettistischer Bühnenprogramme und wirkt parallel in mehr als 30 Filmen und Serien mit.
„Mein Aha-Erlebnis war zweifellos die Zeit in New York“, sagt Perlinger heute. „Meine großartige Schauspiellehrerin führte mich ein in die feine Kunst, authentische Emotionen auf der Bühne erzeugen zu können.“ Mit Erfolg: 1997 erhält sie für die Rolle der Vera Rohleder in „Der letzte Kurier“ den Adolf-Grimme-Preis mit Gold. Die Deutsche Akademie der darstellenden Künste verleiht ihr den Preis „Beste Schauspielerin des Jahres“, beim Telestar ist sie als beste weibliche Darstellerin nominiert. Die ARD strahlt 13 Folgen „Sissi – die Perlinger Show“ aus, ein künstlerischer Höhepunkt. Doch ein Burn-out mit einem beidseitigen Tinnitus bedeuten 1998 eine Zäsur in ihrem Leben.
„Ich habe mich über jedes Angebot gefreut: hier eine Hauptrolle, dort eine TV-Show-Einladung, eine neue CD, eine Modekollektion oder eine Gala-Moderation.“ Aber es wurde einfach zu viel, erinnert sie sich an ihre tiefste Lebens- und Sinnkrise. Niemand bremst sie, auch ihr damaliger Freund nicht, der sie kurz darauf verlässt. Perlinger arbeitet ihre Verträge ab und „durch die Mischung aus Therapie und autogener Tiefenentspannung bin ich den Tinnitus nach drei Jahren losgeworden. Als ich geheilt war, wusste ich: So etwas will ich nicht noch einmal erleben.“ Mit Film- und Fernsehrrollen ist seit 2006 Schluss. „Zum einen finde ich die Schauspielerei nicht wirklich kreativ. Im Fernsehen gibt es so viel Negatives, das Stress und Ängste produziert“, erklärt sie. „Und zum anderen bin ich mir sicher, dass mein wahres Zuhause die eigenen Solo-Shows sind, in denen ich ja auch als Schauspielerin voll ausgelastet bin und mir meine Traumrollen ständig selber auf den Leib schneidern kann.“
Zu Hause in ihren Solo-Shows
Tatsächlich sieht Perlinger ihre Soloprogramme als ihre Berufung an. „Auf der Bühne lasse ich alles, was ich je gelernt habe, in meine Shows einfließen. Ich tanze, singe, spiele und schreibe die Sachen selbst und bin quasi zu Hause in meiner Show.“ Wenn sie sich in der Umkleidekabine die falschen Wimpern anklebt und die Lippen rot schminkt, ist sie in ihrem Element.
In ihrem aktuellen Programm „Ich bleib dann mal jung“ verwandelt sie sich in bis zu 15 schillernde Charaktere, mal trägt sie einen Kapotthut zum gehäkelten Morgenmantel, mal stolziert sie mit Lockenmähne, Mega-Busen und hohen Hacken über die Bühne. Eine Pointe jagt die andere – und wenn der Mund schon mal vom Lachen offen steht, kann man auch tiefe oder gar hochspirituelle Dinge und Wahrheiten hinein werfen.
„Die Perlingerin“, wie sie sich selber nennt, springt in ihren Programmen nicht gern von einem aktuellen Punkt zum nächsten, sondern widmet sich lieber mit Leib und Seele einem großen Thema. „Eigentlich arbeite ich immer die großen Krisen meines Lebens auf“, sagt sie und bezeichnet sich als Bühnenschamanin, die das Publikum an den Abgrund führe und dann alles in Gelächter auflöse. „In der Öffentlichkeit redet man nicht über Krisen, Ängste und Probleme. Auf der Bühne kann ich den Menschen vorleben, dass ich mich auf die Fresse gelegt habe, dass ich wirklich diesen Tinnitus hatte und ein Jahr lang nicht geschlafen habe. Aber ich habe es überwunden und unfassbar viel dabei gelernt.“
Ihre Lebenskrise hat Perlinger stark gemacht. Heute sieht sie den Tinnitus als ihren Lebensretter. „Wie eine Alarmanlage hat er mich wachgerüttelt, aus diesem Karriere-Hamsterrad auszubrechen, in dem ich mich verloren hatte. Jetzt, da ich wieder darauf höre, was meine Seele wirklich machen will, bin ich viel glücklicher als je zuvor.“
Keine Angst vorm Alter
Perlinger will auch ihr Publikum glücklich machen. „Humor braucht das große Drama. Er entsteht nicht in der Harmonie, er blüht da auf, wo Dinge schief laufen.“ Die 55-Jährige hält Humor für eine „ganz feine und schwierig zu erlernende Kunstform“ und betont, dass sie darauf achte, nicht über andere zu lachen.
Über sie und mit ihr darf ihr Publikum aber lachen – am besten zwei Stunden lang aus vollem Herzen. „Danach ist das Immunsystem für die nächsten drei Wochen gestärkt, die Weltsicht aufgehellt, der Realitätstunnel hat sich kurz erweitert und man hat eine neue Lebensperspektive bekommen.“
Dazu gehört für Perlinger, keine Angst mehr vorm Älterwerden zu haben. „Die meisten Leute beschäftigten sich ja gar nicht mit dem Alter, sondern verdrängen es.“ Die Kabarettistin will die Vorteile des Alterns humoristisch aufzeigen: „Das Altsein kann ein Schatz an Erfahrung, eine Wohltat an Entspannung sein. Man kann den ganzen Statuswettbewerb ignorieren und am Lebensabend viel liebevoller und bewusster, vielleicht sogar spiritueller werden.“ Auf der seelischen Ebene gehe es mit zunehmendem Alter nur bergauf, sagt Perlinger. Wenn man den inneren Schalter von Angst auf Vorfreude umlege, gelinge das ganze Leben viel besser.
Perlinger strahlt eine kosmische Gelassenheit aus. „Jeder kann durch Meditation üben, wie man den Fokus auf das lenkt, was guttut. Ich sage mir oft: Lass’ mich daran Freude haben, was jetzt gerade ist. Je bewusster die Menschen werden, umso weniger Quatsch kaufen sie – das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum diese Einstellung nicht schon längst an allen Schulen gelehrt wird.“ Spricht es, winkt kurz und entschwindet ins Taxi Richtung Flughafen.
Sissi Perlinger
Die Kabarettistin, Buchautorin, Hörbuchsprecherin, Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Sissi (eigentlich: Elisabeth Judith Michaela) Perlinger, geboren am 9. Dezember 1963 in Furth im Wald, wächst in München-Bogenhausen auf.
Nach dem Abitur beginnt eine vielschichtige Ausbildungszeit mit einer Tanz-, Gesangs- und Schauspielausbildung. Seit 1986 schreibt sie eigene Bühnen-Shows, 1992 erhält sie den Deutschen Kleinkunstpreis. Als Schauspielerin wirkt sie in mehr als 30 Fernseh- und Kinofilmen mit und wird mit dem Adolf-Grimme-Preis mit Gold ausgezeichnet.
Nach einem Burn-out und Tinnitus 1998 beendet sie ihre Schauspielkarriere. Aktuell ist sie mit ihrem Solo-Programm „Ich bleib dann mal jung“ zu sehen, mit dem sie auch im Mannheimer Capitol gastierte.
Sissi Perlinger lebt zusammen mit ihrem Freund in München, den Sommer verbringen sie auf Ibiza, den Winter in Goa.
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