Der geniale Klang der Kopisten

Konzertbesucher lieben den Doppelgänger auf der Bühne genauso sehr wie das Original. Tribute-Shows sind der neue Trend. Doch ein holländisches Beatles-Bandprojekt will mit Covermusik nichts zu tun haben.

Von 
Gunnar Leue
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The Analogues bringen eine Musik auf die Bühne, die man von den Beatles live nie gehört hat, sondern den die Fab Four nur im Studio erschufen. © Leue

Michael Jackson tot, Tina Turner in Rente, Adele in Tourpause – und wenn nicht, wären die Tickets nicht sowieso zu teuer? Kein Problem, sie alle kann man live erleben, sogar zusammen auf einer Bühne. Einziger Haken: Es sind nicht die Originale, sondern Doubles, die bei „Stars in Concert“ im Festival Center des Berliner Estrel-Hotels auftreten.

Die Location ist eine Art Las Vegas fürs Tribute-Show-Wesen. Seit ihrem Start 1997 hat sich „Stars in Concert“ zu Europas erfolgreichster Doppelgänger-Show gemausert. Dass aus den ursprünglich geplanten vier Monaten Laufzeit über 20 Jahre wurden, erklärt der aus Nürtingen stammende Produzent Bernhard Kurz: „Wir engagieren ausschließlich die weltweit besten Doppelgänger, die hinsichtlich Stimme und Optik den Originalen in nichts nachstehen.“

Große Illusion für kleines Geld

Das Stellvertreterding ist nichts Neues, allerdings scheint es einen wahren Boom zu erleben. Vom Festzelt bis zur großen Mehrzweckhalle treten Coverbands und -musiker auf: Lez Zeppelin, Geneses, Brit Floyd, Red Hot Chili Pipers. Je aufwendiger, teurer und digitaler das Konzertwesen im Bereich der Originale wird, desto größer scheint die Nachfrage nach den Kopisten zu sein, die für kleines Geld die Illusion von echtem Starflair vermitteln.

Was etwa die Beatles betrifft, ist die Coverbandszene übrigens zweischneidig. Es gibt die netten Nachspielcombos mit Pilzfrisurträgern und es gibt The Analogues, ein elitäres Bandprojekt aus den Niederlanden. Es verfolgt mit höchstem technischem Anspruch und exklusivem Equipment das ambitionierte Ziel, jenen Beatles-Sound auf der Bühne zu reproduzieren, den die Fab Four zwischen 1966 und 1969 im Studio schufen und nie live spielten, weil es technisch nicht machbar war.

2014 wurden The Analogues von Drummer Fred Gehring gegründet, weil der nach seinem Abschied als Chef des Modeunternehmens Tommy Hilfiger seine Liebe zur Beatles-Musik in ein Bandprojekt einfließen lassen wollte. Dabei fasziniert ihn das Gesamtwerk der Beatles. „In der kurzen Periode zwischen dem letzten Beatles-Konzert 1966 und der Bandauflösung 1970 gab es ja eine wahre Explosion an Kreativität mit völlig einzigartiger Musik. Wir wollen, dass man live hören kann, was man immer gehofft hat, einmal live zu hören“, sagt er.

Dafür betreiben The Analogues großen Aufwand. Um den Originalsound der letzten fünf Studioalben zu reproduzieren, haben sie sich die Instrumente aus jener Zeit beschafft: die Gitarren, das Mellotron, die Lowrey-Orgel, mit der das Intro von „Lucy in the Sky with Diamonds“ eingespielt wurde. Manches haben sie auf Ebay ersteigert, darunter echte Schnäppchen. „Teuer wurde nur die Restaurierung“, erzählt Gehring.

Der Lohn nicht gescheuter Kosten, Mühen und Probenarbeit – unter Leitung von Bart van Poppel, einem der umtriebigsten holländischen Musiker – ist ein Klangbild und eine Videoshow, die wenig Kopistencharme verbreitet, dafür viel Ahnung, wie es wohl geklungen hätte, wenn die Beatles Ende der Sechziger live gespielt hätten.

In ihrer Heimat füllen The Analogues mit ihren Shows stetig Theater und sogar 120 00er Hallen. Und es sind mitnichten alles alte Beatles-Fans, die nur ihre Jugenderinnerungen aufleben lassen wollen, sondern auch viele junge Leute. Immerhin sind die Beatles Weltkulturerbe.

Und weil Keyboarder und Sänger Diederik Nomden glaubt, dass die Beatles künftig denselben Stellenwert wie Mozart und Bach haben werden, ist er davon überzeugt, dass die aufwendige Livedarbietung der Werke bedeutender Popmusiker künftig eine anerkannte Form der Unterhaltungskunst sein wird.

Livegeschäft mit Untoten

Nun gibt es freilich schon einen neuen Trend, der nach Expertenmeinung das nächste große Ding im Livegeschäft mit den Untoten des Pop ist: Hologramme. Zuletzt ging die vor zwei Jahren verstorbene Heavy-Rock-Ikone Ronnie James Dio als Hologramm auf „Dio returns“-Worldtour.

Könnte das Tribute-Show-Wesen dank Digitalisierung und technischen Fortschritts also vor einer Revolution stehen, die die klassischen Coverbands in Existenznöte bringt? Fred Gehring sieht Hologramme eigentlich mehr als ein Gimmick, „weil die größte Faszination wieder im Visuellen besteht“. Trotzdem würde das Phänomen Coverband umso größer, je mehr Stars aus der Vergangenheit nicht mehr unter den Lebenden seien. Und es wachse das Geschäft, sie irgendwie auf die Bühne zurückzuholen.

Einerseits eröffnet die Hologrammtechnologie völlig neue Möglichkeiten, andererseits könnte sie auch ein kleinkriminelles Geschäft verderben: gefakte Starauftritte. Tatsächlich gab es die um die Jahrtausendwende besonders in Russland. Popstar-Imitatoren bedienten damals vor allem ausgehungerte Musikfans in der fernen Provinz. Ein jugendliches Trio musste im sibirischen Chabarowsk vor Gericht, weil es sich für eine beliebte Popgruppe ausgegeben hatte. Richtig frech agierte 1999 eine Girl-Group, die gleich in 20 Moskauer Nachtclubs das russische Spice Girls-Pendant Strelki imitierte und dabei fette Honorare einstrich.

Konzert

  • The Analogues treten am Sonntag, 6. Mai, im Stuttgarter Theaterhaus auf. Bis Redaktionsschluss waren noch wenige Tickets verfügbar.

Freier Autor

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