Es gibt Tage in deinem Journalistenleben, die vergisst du einfach nicht", sagt Jürgen Müller, Nachrichtensprecher bei "Radio Regenbogen". Einer dieser Tage war der 11. Juni 1979. Denn da sollte Müller, damals noch Volontär (Auszubildender) beim Heidelberger Tageblatt, den Größten, den Besten, den Schönsten treffen: Den Boxer Muhammad Ali, der zu dieser Zeit wohl einer der bekanntesten Menschen der Welt war. Und diese Begegnung sollte ausgerechnet im kleinen Eppelheim stattfinden. Der Ausnahmeathlet, der als Cassius Marcellus Clay geboren wurde, machte mit seiner damaligen Frau Veronica Porche einen Abstecher in die Kurpfalz.
Zu verdanken war das den Wild-Werken: "Der heutige Unternehmenschef Hans-Peter Wild hatte Muhammad Ali als Werbeikone für das Fruchtsaftgetränk Capri-Sonne gewinnen können", berichtet Müller. "Ein legendärer Coup." Über den Sportkorrespondenten Ben Wett war Wild, damals noch Juniorchef, selbst mit dem Champion in Kontakt getreten, sogar in die Staaten geflogen. Es war, wie Hans-Peter Wild später einmal sagte, das erste Mal, dass Ali einen Werbevertrag unterzeichnete. Er sicherte dem Fruchtsaftgetränk für vier Jahre die Exklusivrechte zu. Auch privat konnte der Boxer kaum genug von dem Getränk kriegen, glaubt man Wilds Ausführungen. Zwei Kisten als Monatsration waren offenbar sogar vertraglich geregelt. Mit Ali kam der Durchbruch: Zweistellige monatliche Wachstumsraten waren dank der Bekanntheit des Sportlers keine Seltenheit. Schnell avancierte Capri-Sonne zur Weltmarke.
Doch das Schulpausen-Getränk spielte am 11. Juni 1979 in Eppelheim nur eine Nebenrolle, im Vordergrund stand der damals 37-jährige Star selbst. "Die Hütte war gerammelt voll", erzählt Müller. "Es herrschte ein unglaubliches Gedränge von Kameraleuten, Fotografen und Journalisten." Ganz Medien-Deutschland war an diesem Tag nach Eppelheim gekommen. "Da war man schon nervös", erinnert sich der 64-Jährige. "Ali war schließlich eine lebende Legende."
Tanz durch den Ring
Wenn er in den Ring stieg, setzten sich jedes Mal 600 Millionen Menschen in aller Welt vor den Fernseher, egal, wie viel Uhr es war. In Deutschland haben nachts mehr Wecker gerasselt als bei der ersten Mondlandung. Die historischen Boxkämpfe "Rumble in the Jungle" und "Thrilla in Manila" sind Begriffe, die Sportfans rund um den Erdball noch heute zum Schwärmen bringen. Ali war ein Idol, ein Künstler im Ring. "Sein leichtfüßiger Kampfstil, dieses Tänzeln und die einzigartigen Reflexe machten ihn weltweit zum Mythos", sagt Müller. Auch er war ein "großer Fan".
Doch als die Journalisten während der Pressekonferenz Fragen stellen, interessierte Müller etwas noch viel mehr als die sportlichen Erfahrungen des Boxers. "Alle hatten ihn nur nach seinen Kämpfen gefragt", erzählt der 64-Jährige. "Ich saß ganz vorne am Podium, stand auf und sagte: ,Viel mehr als die sportlichen Aspekte interessiert mich, was kriegen Sie eigentlich für diesen Werbedeal? Wie viel Geld mussten Ihnen die Wild-Werke zahlen?'" Da sei es auf einmal ganz still unter den Medienvertretern geworden. "Alle blickten nach vorne. Schließlich sagte Ali: ,Ich bin wirklich schon lange im Geschäft, habe viele Interviews gegeben und viele Fragen gestellt bekommen. Aber so eine dämliche Frage habe ich noch nie gehört'", berichtet Müller. "Alle haben gelacht und meine Frage blieb unbeantwortet."
Für noch größeres Gelächter sorgte nur der damalige Eppelheimer Bürgermeister Hugo Giese. Der Rathauschef hatte dem Boxer ein ganz besonderes Souvenir mitgebracht - einen Dachziegel mit dem Eppelheimer Wappen. Denn Eppelheim war einst als Maurerdorf in der Region bekannt.
Dachziegel als Geschenk
"Ali sagte daraufhin, für so ein Geschenk käme er nicht mehr nach Eppelheim - alle haben schallend gebrüllt." Besser kam das zweite Geschenk an: ein großes Gemälde mit dem Porträt von Odessa Grady Clay, Alis Mutter. "Darüber hat er sich sehr gefreut", erzählt Müller.
Trotz dieser Sprüche erlebte der 64-Jährige den früheren Schwergewichtsweltmeister als "eher zurückhaltend". Schließlich habe er Interviews im Kopf gehabt, in denen Ali als Marktschreier und Top-Verkäufer seiner selbst agierte. "I am the Greatest", rief er meist in jedes verfügbare Mikrofon (deutsch: Ich bin der Größte). "Das hat er in Eppelheim zum Beispiel nicht gesagt",so Müller. "Aber vielleicht hat er sich auch etwas zurückgenommen, weil er wusste, dass er nun Werbeträger ist." Seine Ausstrahlung sei dennoch "beeindruckend" gewesen. Während eines Rundgangs durch die Wild-Werke konnten auch einige Mitarbeiter Ali kennenlernen, doch die meisten Eppelheimer bekamen den Boxer nicht zu Gesicht. "Eine Rundfahrt mit offenem Cabrio oder ähnliches gab es nicht", sagt Müller. Danach ging es für den Ausnahmesportler über Frankfurt nach Paris, er war gerade auf Europa-Tournee.
Mit 74 Jahren starb Muhammad Ali vergangene Woche in einem Krankenhaus bei Phoenix in den USA. 1984 wurde bei ihm die Parkinson-Krankheit diagnostiziert. "Sein Tod hat mich schon betroffen gemacht", sagt Müller. "Aber die Menschen werden sich an ihn erinnern, die Legende wird weiterleben."
Und das nicht nur wegen seiner sportlichen Erfolge: Ali war auch ein Mann, der sich gegen Ungerechtigkeit wehrte und den Mächtigen die Stirn bot. Rassismus und den Vietnam-Krieg prangerte er an, opferte dafür sogar einen wesentlichen Teil seiner Karriere: Weil er den Kriegsdienst verweigerte, wurde er für knapp drei Jahre gesperrt.
"Daddy ist nun frei"
In den vergangenen Jahren war Ali nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Er saß im Rollstuhl, konnte kaum reden. "Unsere Herzen tun weh, aber wir sind so glücklich, dass Daddy nun frei ist", schrieb seine Tochter Hana nach seinem Tod auf Twitter.
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