Ausstellung - Rund 190 Zeichnungen von Hanna Nagel in der Mannheimer Kunsthalle zu sehen

Zeichnungen von Hanna Nagel in der Mannheimer Kunsthalle zu sehen

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Inge Herold, stellvertretende Leiterin der Mannheimer Kunsthalle, hat die Ausstellung mit Werken von Hanna Nagel organisiert. © Manfred Rinderspacher

Manchmal lohnt es sich, etwas ins Bewusstsein zurück zu holen, woran man lange nicht gedacht hat. Die Zeichnerin Hanna Nagel ist so ein Fall. 1907 in Heidelberg geboren (wo sie 1975 auch starb), war vor allem in der Rhein-Neckar-Region nie ganz vergessen, aber ihr Werk schien aus der Zeit gefallen und ohne aktuelle Bedeutung nach Jahrzehnten, in denen unsere Welt sich völlig verändert hatte. Dass man das gerade heute wieder ganz anders sehen kann, beweist Kuratorin Inge Herold, stellvertretende Leiterin der Mannheimer Kunsthalle: Mit Begeisterung hat sie (vornehmlich aus dem Nachlass) eine Ausstellung organisiert, die einen neuen Blick auf das eigenartige Werk dieser Künstlerin zulässt, deren Themen plötzlich ganz aktuell wirken - die sich aber immer noch in keine Schublade einordnen lässt.

Ehe als Inspiration

Hanna Nagel ist ein Stück Kunsthallengeschichte: Nach ihrer ersten Einzelschau 1930 im Heidelberger Kunstverein holte Direktor Gustav Friedrich Hartlaub sie 1931 zu ihrer ersten Museumsschau nach Mannheim, 1932 waren Arbeiten von ihr hier erneut zu sehen im Rahmen der Schau „Frauen-Spiegel - Frauenleben“. Auch Hartlaubs Nachfolger Walter Passarge stellte Hanna Nagel mehrmals aus, 1947 zusammen mit Alfred Kubin und Nagels Ehemann Hans Fischer. Das Paar hatte kurz nach der Kunsthallen-Ausstellung 1931 in Berlin geheiratet - und hatte sich kurz vor der Schau von 1947 wieder getrennt. Um dabei zu bleiben: Es scheint eine konfliktreiche Ehe voller Bindungsängste und Sehnsüchte, voller Dominanz und Distanzversuchen gewesen zu sein, jedenfalls eine Verbindung, die weitläufiges Material für Hanna Nagels Kunst enthielt.

Hanna Nagel

  • Wegen Beständen von Hanna Nagel im Kurpfälzischen Museum Heidelberg und in der Kunsthalle war der Name der Künstlerin in der Region immer präsent. Öffentlich zu sehen waren stets aber nur einzelne Blätter.
  • Hanna Nagel hat 110 Bücher illustriert, viele davon in der Stadtbibliothek Heidelberg. Zu den Nachkriegsarbeiten zählt auch Gebrauchsgrafik für Brown, Boveri & Cie in Mannheim.
  • Die Ausstellung im Billing-Bau der Kunsthalle dauert vom 8. April bis 3. Juli, Dienstag bis Sonntag und feiertags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat 10 bis 22 Uhr (von 18 bis 22 Uhr Eintritt frei). Der Eintritt kostet regulär zwölf Euro, ermäßigt zehn Euro.
  • Der Katalog im Deutschen Kunstverlag (218 Seiten mit allen Abbildungen) kostet im Museumsshop 28 Euro.

Schülerin der zum Teil neusachlichen Realisten in Karlsruhe (unter anderem Karl Hubbuch) und ab 1931 in Berlin bei Emil Orlik, ist Hanna Nagel nämlich eine Menschendarstellerin mit Sinn für Dramatik, Konflikte, Träume und schonungslose, mitunter groteske Formen. Vor allem während der Studienjahre lässt sich manchmal kaum unterscheiden, ob eine Figur als Ergebnis realistischer Beobachtung oder als Karikatur aufzufassen ist, und in diesem etwas irrlichternden Zwischenreich sind auch ihre Erfahrungen aus der Ehe angelegt. Hanna Nagel war das, was moderne Frauen in heutigen Zeiten auch sind: widerborstig, selbstbewusst und skeptisch, mit einem Potenzial an Liebesfähigkeit, das nicht immer ausgelebt werden kann.

Die Szenen mit Hans Fischer quasi als religiöser Instanz in einem weißem Klerikalgewand mit einem Kreuz am Gürtel zeigen eine Figur, deren Herrschaftsanspruch von abstoßender Kälte ist: Das „Veto“ seiner Frau wird in seiner Hand zu Blutstropfen zerquetscht und sie selbst zu seinen Füßen zertreten. Auf dem Blatt „Selbsterkenntnis“ entdeckt die zu ihm aufschauende junge Dame gar einen Heiligenschein an seinem Kopf, während eine teufelsähnliche Kleinausgabe seiner Figur heimlich an seinem Gewand zerrt. Aber irgendwann schießt sie ihn vom Sockel …

Sinnliche Wahrnehmung in Bildern

Es sind Szenen, in denen Konflikte zu Bildern werden, und auch wenn nach der Trennung von Fischer (der 1939 bis 1945 zum Kriegsdienst eingezogen war) keine zugespitzten Zweierdramen mehr thematisiert werden, so ist es das, was Hanna Nagel bis in die späten Jahre künstlerisch verfolgt: Sie gibt psychischen Spannungen, Träumen, Ängsten und Sehnsüchten eine sinnliche Wahrnehmung in Bildern. Dabei greift sie nicht nur zur Musik (so bei den 25 Blättern zu Chopins Préludes op.28), sondern auch zu Figuren aus Mythologie und Geschichte, etwa Judith mit dem Haupt des Holofernes, Kleists „Penthesilea“ oder Leda mit dem Schwan. Das Mann-Frau-Thema bleibt zwar erhalten, aber es wird zum allgemein gültigen, mythischen Spannungsfeld, in dem bestimmte Bildmotive eine Rolle spielen. Etwa die in sich selbst versunkene, in weiten Gewändern halb entblößte Frauenfigur, die ihre Umgebung zwischen Tod und „Gespenstern“ zwar wahrnimmt, aber unangetastet bleibt. Der Fisch als vielfältiges Symbol von Leben und Tod, von Angst, Sexualität und Nahrung - ein dank seiner Biegsamkeit mit dem Symbol „Frau“ verwandtes Formwesen?

Die (seit 1932 stets undatierten) Arbeiten kehren sich stilistisch ab von den konturenstarken Blättern der früheren Jahre, sind „malerisch“, in geheimnisvollem Helldunkel angelegt und verlieren ihre karikaturistische Doppeldeutigkeit - mehrdeutig bleiben sie auf einer anderen Ebene, auf der Träume und Realität verschwimmen, und auf dieser Ebene können auch Mann-Frau-Konflikte ausgeglichen werden in der Vorstellung gemeinsamer Innigkeit. Auf dem Blatt „Versunken“ kuschelt sich ein Mann mit den Gesichtszügen Hans Fischers träumend hingegeben in die Arme einer Frau - und plötzlich findet das nicht mehr in einem engen Interieur, sondern in einer weiten Landschaft statt, an einem (Lebens-)Fluss mit Bogenbrücke im Hintergrund.

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