Es ist eine personalisierte Deutschrock-Demonstration in 136 Minuten, die die Quadratestadt in der SAP Arena bestaunen darf. Denn Udo Lindenberg ist kurz vor dem Zieleinlauf seiner aktuellen „Udopium“-Tour nicht nur nach Mannheim gekommen, um - einem Präsidenten seiner Zunft getreu - wirkungsvoll aus der riesigen Regierungsmaschine „Panik 1“ zu steigen. Nein, der 76-jährige Haudegen liefert seinen 10 500 Fans in der restlos ausverkauften Arena einen Auftritt, der auch am Tag danach noch Grenzen verschiebt.
Das beginnt zu allererst mit den Bezügen zum Ort des Geschehens. Denn anders als zahllose Stars der Branche scheint Udo Lindenberg über Mannheim bestens im Bilde, preist die Kraft der „Soul City“, rühmt die Bedeutung des Rhein-Neckar-Raumes, peitscht die Fans immer wieder mit persönlichen Ansprachen nach vorne - und wirkt dabei keineswegs, als sei das alles nur einstudierte Routine.
Nicht die gewohnten Regeln
Ohnedies folgt dieser Abend kaum je den gewohnten Regeln selbst großer internationaler Konzertproduktionen. Das zeigt sich zum einen daran, dass Lindenberg zur Aufwertung seiner Schauwerte nicht einfach irgendeinen Kinderchor auf die Bühne bittet, sondern mit den Panik Kids ein eigenes Ensemble kuratiert, das völlig angstfrei mit dem Panik-Priester interagiert, couragiert die Rechte eines heilen Planeten verteidigt -und dabei offenbar auch noch richtig Spaß hat. Dass man genau diesen Enthusiasmus dem souveränen Panik-Orchester ebenso anmerkt wie den attraktiven „Cello“-Ladys, den groovigen Pustefix-Bläsern sowie jeder einzelnen der mehr oder weniger bekleideten Tänzerinnen, setzt Energien frei, die selbst routinierte Konzertgänger mitreißen.
Zumal die Dramaturgie des Konzerts klug gewählt ist. Nur um eines von vielen Beispielen zu erwähnen: Als Lindenberg den Klassiker „Wozu sind Kriege da?“ von 1981 gemeinsam mit Pascal Kravetz auf die Situation in der Ukraine bezieht, dauert es keine zwei Minuten nach dem großen Jubel, bis aus der drängenden Frage eines zehnjährigen Kindes der Appell einer ganzen Arena wird: „Wir ziehen in den Frieden“. Klüger kann man das inhaltlich nicht arrangieren, authentischer und konsistenter aber auch kaum präsentieren. Denn man merkt einem Udo Lindenberg, der mit Verve singt, sein Mikro wie ein Lasso schwingt und tanzt, unverkennbar an, dass er nicht gekommen ist, um mit Standgas zu spielen.
Stattdessen übernimmt der Panik-Präsident gesellschaftliche Verantwortung, geißelt den Missbrauch in der katholischen Kirche („Herzen der stolzesten Frauen“), verheiratet kurzerhand zwei homosexuelle Priester und kämpft kraft seiner unerschütterlich guten Laune für die „Bunte Republik Deutschland“ („BRD“). So wie er sich in Mannheim zeigt, ist dieser Udo Lindenberg ein Künstler vom alten Schlag, der nicht nur willens, sondern auch dazu in der Lage ist, Stellung zu beziehen und dafür einzutreten. Als er vor seinem Hit „Schwere Zeiten“ klarstellt, dass auch die größten Niederschläge seinem Publikum nicht den Glauben an die Utopie einer besseren Zukunft nehmen sollten, übersieht Lindenberg gar, dass er mit seinen Konzerten eine Tradition geschaffen hat, die selbst zur „Udopie“ geworden ist. Eine Weltsicht, die in Mannheim gefeiert wird, weil sie so universell echt, vielseitig und dabei nie resignativ daherkommt. Denn egal, ob die Panik-Rocker nun die Partystimmung einläuten („Rock’n’Roller“), zur „Sternenreise“ einen poetischen Lichterhimmel in die Arena zaubern oder den Weitblick hinter den „Horizont“ wagen: Dieser Abend ist so divers wie das Leben selbst. Und dabei an mehreren Punkten auch noch hoch reflektiert.
Als der Protagonist selbstkritisch über all die Drogen spricht, die auch ihn im Zeichen des „großen Wahnsinns“ so manche klare Stunde kosteten, kommt die Ballade „Das Leben“ mit dieser Videoeinblendung wie ein Donnerschlag daher. Von einem Mädchen danach gefragt, ob wir nicht eines Tages alle sterben, erwidert Udo kurzerhand: „Ja, aber an all den anderen Tagen nicht.“
Zugehörigkeit schaffen
Es sind Sätze wie dieser, die in Mannheim den Unterschied zwischen einem guten und einem ganz besonderen Konzertabend machen, der den inneren „Kompass“ neu ausrichtet, zwischen der gitarristischen Meisterschaft einer Carola Kretschmer und dem warmen Soul einer Nathalie Dorra musikalische Allianzen schmiedet - und einfach Zugehörigkeit schafft. Wie immer bei seinen Shows kohärent und ohne jede Pause gespielt, lässt Udo Lindenberg so ein melodisches Netz entstehen, an dem man sich festhalten kann.
Da mag „Johnny Controletti“ im Zweifel noch so wild „Sonderzug nach Pankow“ fahren: Mit einem solchen Steuermann an Bord lässt sich selbst die größte „Odyssee“ heil überstehen. Auch Lindenberg bleibt von alldem nicht unberührt und lässt seine Fans angefasst wissen: „Mannheim, das bleibt tief in meine Seele eintätowiert!“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-erleben-udo-lindenberg-feiert-sich-und-seine-songs-in-der-mannheimer-sap-arena-_arid,1971787.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/firmen_firma,-_firmaid,13.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html