Dem Bauern im Schwarzwaldtal stellt sich in Sachen Stromversorgung die gleiche Frage wie einem Stromnetzbetreiber: Wie bekomme ich den Strom an meinen Hof beziehungsweise ins Land? Stelle ich Strommasten ins Tal? Oder zieht die Kommune einen Graben bis zum Hof und verlegt die Leitung in die Erde? Das kostet mehr und ist eine Frage der Abwägung zwischen Wirtschaftlichkeit, technischer Machbarkeit und auch Ästhetik.
Genau diese Fragen stellen sich die Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland für den Netzausbau bis 2022. Dann sollen die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. In Süddeutschland wird dann die Leistung von acht Kernkraftwerksblöcken fehlen. Regenerative Energien sollen die Lücke schließen. Doch viel Strom wird derart nur über Windkraftanlagen an der norddeutschen Küste, in Nordsee oder Ostsee erzeugt.
Drei Stromautobahnen
In 36 Projekten soll das Stromnetz bis 2022 ausgebaut werden. Dazu zählen neue Trassen im 380-Kilovolt (kV)-Hochspannungsnetz, die Aufrüstung von 220 kV-Leitungen auf 380 kV sowie drei Stromautobahnen in der Hochspannungs-Gleichstromtechnik (HGÜ).
Die westliche, Ultranet genannte HGÜ-Verbindung startet beispielsweise bei einem Schaltwerk in der Region Düsseldorf und endet in Philippsburg. Eine bestehende Trasse entlang dem Rhein wird aufgebohrt: Links vom Mast gewissermaßen die alte 380 kV-Leitung, rechts der Gleichstrom. In Philippsburg wird der Gleichstrom wieder in Drehstrom umgewandelt.
Die zweite Trasse namens SuedLink - von Wilster, nördlich von Hamburg, bis auf die Höhe von Heilbronn - muss neu gebaut werden. Projektleiter Thomas Schlüter vom baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW rechnet mit einer rechtzeitigen Inbetriebnahme 2022. Rund 650 bis 740 Kilometer - je nach Ausbauszenario - müssen die Ingenieure neu überbrücken, überwiegend als Freileitung. Schlüter rechnet damit, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Strecke als Erdkabel verlegt wird. Das ist gesetzlich vorschrieben, falls die Hochspannungsleitung einem Siedlungsgebiet zu nahe kommt. "Und wir haben eine hohe Siedlungsdichte in Deutschland", betont Schlüter.
Wirtschaftlich und technisch spricht hingegen viel für die Freileitung. Das Verlegen eines Erdkabels kostet vier- bis zehnmal so viel wie eine Mastentrasse. Das liegt an den Verlegekosten im Boden wie an Material- und Wartungskosten. Um das zu illustrieren, lässt Stefan Tenbohlen ein 110 kV-Erdkabel mit lautem Rumms auf den Tisch fallen. Im Unterschied zu einem Freileitungsseil, das etwas dicker ist als Daumenbreite, hat das Erdkabel den Umfang eines Unterschenkels. Mittig die stromführenden Kupferkabel mit Durchmesser bis sechs Zentimeter, dann eine Isolierung, darum ein Kupfergeflecht als Masse und Abschirmung gegen elektrische Felder, dann wieder eine Isolierung nach außen. Das Teil hat Gewicht.
Und das ist auch der Grund, weshalb Erdkabel nur bis zu einem Kilometer Länge praktikabel sind. "Ein größeres Volumen und Gewicht bringt kein Laster auf die Baustelle", erklärt Tenbohlen, Professor für Energieübertragung und Hochspannungstechnik an der Universität Stuttgart. Für längere Strecken über einen Kilometer müssen die Ingenieure die Kabelteilstücke über sogenannte Muffen verbinden. Das sind komplexe Bauteile und bisher eher eine Schwachstelle einer Erdkabelstrecke: Die Muffen müssen das Kunststück fertigbringen, zwei 380 000 Volt starke Leitungen zu verbinden. Bei der bisher einzigen 380 kV-Erdkabelstrecke in Deutschland - sie unterquert Berlin - "war nach rund acht Jahren Betrieb nur noch eine Muffe am Leben", sagt Tenbohlen. Daher bleibt der Einsatz von Kabeln bisher auf Spezialanwendungen begrenzt.
Eine dieser Spezialanwendungen ist der Transport der Energie aus Offshore-Anlagen über Hochspannungsgleichstromkabel an Land. Die Windkraftturbine erzeugt durch die mechanische Drehbewegung Wechselstrom. Doch dieser wird zunächst gleichgerichtet und über ein Gleichstromkabel an Land geführt und dort wieder in Wechselstrom zurückgewandelt. Der Grund: Den Wechselstrom bekommen die Techniker über die vielen Kilometer nicht per Kabel an Land. Durch Spezialschiffe lassen sich aber auch kilometerlange Gleichstromkabelstücke verlegen. Im Unterschied zum Landwirt im Schwarzwald hat der Energiewirt in Norddeutschland keine andere Wahl als das Kabel.
Stromnetze in Deutschland
Strom lässt sich als Wechselstrom oder als Gleichstrom übertragen. Da die meisten Anlagen über Turbinen (Wasserkraft, Dampfkraft) Wechselstrom erzeugen, ist das Stromnetz dafür optimiert.
Wechselstromnetze überziehen das Land. Die Stromversorger müssen sicherstellen, dass so viel Strom produziert wie verbraucht wird. Sonst bricht die Spannung weg.
Im Wechselstromnetz fließt der Strom den Weg des geringsten Widerstands. Fällt eine Leitung aus oder ist die Kapazitätsgrenze erreicht, nimmt der Wechselstrom Umwege. So kommt es vor, dass Strom aus Norddeutschland über die Niederlande oder Polen bis Süddeutschland strömt. Netzbetreibern bauen Schaltbollwerke zur Abwehr.
Hochspannungsgleichstromübertragung: Im Unterschied zum Wechselstrom funktioniert die Gleichstromübertragung wie eine Art Strompumpe. Ingenieure können in Schaltanlagen festlegen, in welche Richtung wie viel Strom fließt.
Hierarchie: In Deutschland gibt es drei Stufen an Stromnetzen. Das Übertragungsnetz (220 kV, 380 kV) verknüpft Großkraftwerke mit Wirtschaftszentren sowie für Notfälle und zum Lastausgleich auch Nachbarländer. Das Verteilnetz (60 kV, 110 kV) bringt Energie in Städte und Industriegebiete. Das Nieder- und Mittelspannungsnetz (230 V, 400 V) versorgt Haushalte und Betriebe.
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