Schutz durch Therapie

Durch die Hemmung der Virusvermehrung kann das HI-Virus auch auch beim Sex ohne Kondom nicht übertragen werden. Ein Meilenstein für die Vorbeugung, sagt Annette Haberl vom HIV-Center der Uniklinik Frankfurt. Ein Gastbeitrag.

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Annette Haberl
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Das Medikament Truvada wird prophylaktisch und zur Therapie der HIV-Infektion eingesetzt. Kondome schützen zudem auch vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Menschen, die mit HIV leben und ihre Diagnose nicht kennen, tragen ein hohes Risiko im Rahmen ihrer unerkannt fortschreitenden Abwehrschwäche zu erkranken und andere anzustecken.

© Salome Roessler

Weltweit leben derzeit rund 37 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion. In Deutschland sind es nach den aktuellesten Daten (Stand: November 2016) des Robert Koch-Instituts etwa 84 700 Personen. Doch nicht jeder HIV-Positive kennt seine Diagnose oder hat, je nachdem wo er lebt, auch Zugang zu einer Therapie. Damit sich das ändert, werden zahlreiche Anstrengungen unternommen. Als globales Ziel hat UNAIDS (Joint United Nations Programme on HIV/Aids; deutsch: Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zu HIV/Aids) die Strategie 90-90-90 auf den Weg gebracht.

Mit dem Programm soll es durch internationale und nationale Initiativen bis zum Jahr 2020 gelingen, 90 Prozent aller Menschen, die mit HIV leben, zu diagnostizieren und 90 Prozent davon in eine Therapie zu bringen. Die Behandlung soll dann bei 90 Prozent so erfolgreich sein, dass in ihrem Blut keine Viren mehr zu finden sind. Wird dieses Ziel erreicht, verhindert man bei den Betroffenen ein Fortschreiten der HIV-Infektion und damit letztlich Aids-Erkrankungen. Werden die Ziele der Strategie 90-90-90 erreicht, könnte Berechnungen zur Folge bis zum Jahr 2030 eine Eliminierung von Aids gelingen. Eine ambitionierte, aber keineswegs unmögliche Herausforderung.

Durch die Entwicklung wirksamer Medikamente ist die HIV-Infektion heute bei frühzeitiger Diagnosestellung und Therapiebeginn zu einer gut behandelbaren chronischen Erkrankung geworden, die es den Betroffenen ermöglicht, trotz einer HIV-Infektion ein normales Leben führen. Die eingesetzten medikamentösen Kombinationstherapien hemmen bei zuverlässiger Einnahme dauerhaft die Virusvermehrung und führen so zu einer Stabilisierung beziehungsweise Verbesserung des Immunsystems.

Neue Prophylaxe zugelassen

Durch die Hemmung der Virusvermehrung hat die HIV-Therapie neben ihrem therapeutischen, zusätzlich auch noch einen präventiven Effekt: Lassen sich im Blut eines HIV-Positiven keine Viren mehr nachweisen, kann HIV auch beim Sex ohne Kondom nicht mehr übertragen werden. Folgerichtig ist Sex ohne Kondom dann auch kein ungeschützter Sex mehr, denn den Schutz bietet ja die erfolgreiche HIV-Therapie. Ihre Schutzwirkung ist vergleichbar mit der des Kondoms. Dieser präventive Effekt der HIV-Therapie konnte inzwischen in mehreren Studien gezeigt werden und stellt einen Meilenstein in der HIV-Medizin dar. Auch nach einem bereits stattgefundenen Risikokontakt kann man HIV-Medikamente einsetzen, um eine mögliche Infektion noch zu verhindern. Die sogenannte HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP) wird innerhalb weniger Stunden nach dem Risikokontakt angesetzt und über einen Zeitraum von vier Wochen eingenommen. Die Einschätzung des HIV-Infektionsrisikos und die Notwendigkeit einer Postexpositionsprophylaxe erfolgt immer durch einen Arzt.

Relativ neu ist der Einsatz von HIV-Medikamenten vor einem zu erwartenden Risikokontakt. Die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist in Europa seit August dieses Jahres zugelassen. Das in der Therapie bereits seit vielen Jahren eingesetzte HIV-Medikament Truvada, eine fixe Kombination von zwei Wirkstoffen, erhielt eine Zulassungserweiterung für den Einsatz als PrEP. Die Präexpositionsprophylaxe kann Menschen mit einem hohen Infektionsrisiko Schutz vor einer HIV-Infektion bieten.

3200 Neuinfektionen

In den westlichen Industrieländern sind das vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), häufig ihre Sexualpartner wechseln und es dabei nicht immer schaffen, zuverlässig ein Kondom zu benutzen. Diese Gruppe macht auch den größten Anteil der jährlich etwa 3200 HIV-Neuinfektionen bei uns in Deutschland aus.

Bei täglicher Einnahme reduziert die PrEP mit Truvada das Infektionsrisiko für eine HIV-Infektion so zuverlässig wie ein Kondom, allerdings schützt sie nicht vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen, wie beispielsweise einer Syphilis oder einer Infektion mit Hepatitis-Viren. Hier ist das Kondom klar überlegen. Zudem gibt es einen gravierenden Unterschied im Preis, denn eine Monatspackung Truvada kostet in Deutschland derzeit noch 820 Euro. Wer sich dennoch für eine PrEP entscheidet, dem werden regelmäßige Kontrolluntersuchungen empfohlen, um sicher zu gehen, dass es unter der Medikamenteneinnahme zu keiner HIV-Infektion gekommen ist, denn einen 100-prozentigen Schutz bietet die PrEP ebenso wenig wie das Kondom.

Kommt es unter der PrEP zu einer HIV-Infektion, reicht das Medikament Truvada zur erfolgreichen Behandlung nicht aus. Es kann dann zur Entwicklung resistenter Virusstämme kommen. Eine PrEP ist also weitaus mehr als die Einnahme einer Pille am Tag. Sie stellt vielmehr ein Gesamtpaket dar, das als einer von vielen Bausteinen der HIV-Prävention nur für eine kleine Gruppe von Menschen mit hohem Infektionsrisiko sinnvoll ist. Ihnen sollte man die PrEP allerdings so bald wie möglich zugänglich machen.

Angst vor Konsequenzen

Menschen, die mit HIV leben und ihre Diagnose nicht kennen, tragen ein hohes Risiko im Rahmen ihrer unerkannt fortschreitenden Abwehrschwäche zu erkranken und erst im Rahmen ihrer symptomatischen HIV-Infektion getestet zu werden. Ziel muss es sein, die Zahl dieser sogenannten Late Presenter deutlich zu reduzieren. Zum einen, um ihnen HIV-bedingte Erkrankungen zu ersparen und zum anderen, um die Zahl von HIV-Übertragungen zu reduzieren. Das kann nur gelingen, wenn Haus- und Fachärzte mehr in die Testberatung und Durchführung eingebunden werden. Das bedeutet, dass im Patientengespräch stärker als bisher sexuelle Gesundheit und mögliche Infektionsrisiken für sexuell übertragbare Erkrankungen thematisiert werden müssen.

Die Betroffenen selbst erkennen ihr Risiko häufig nicht oder sie verdrängen es, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben. Dazu zählt auch die Angst vor Ausgrenzung im privaten und beruflichen Umfeld. Und diese Sorge ist tatsächlich nicht unbegründet. Auch heute noch werden Menschen mit einer HIV-Infektion bei uns stigmatisiert und diskriminiert. Ein offener Umgang mit der HIV-Infektion ohne Angst vor negativen Folgen haben zu müssen, würde für Menschen mit einem möglichen Infektionsrisiko eine bedeutsame Barriere zur Testung abbauen.

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