Schlecht geschützt

Immer mehr Frauen verzichten auf die Antibaby-Pille und greifen stattdessen zum Smartphone: Sogenannte Zyklus-Apps sollen die fruchtbaren von den unfruchtbaren Tagen unterscheiden. Doch viele Anwendungen sind nicht zuverlässig. Frauenärzte schlagen jetzt Alarm.

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Nadine Zeller
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Ärzte warnen: Frauen, die ihren Zyklus mithilfe einer App auswerten, sind nicht ausreichend vor einer Schwangerschaft geschützt. © dpa

Irgendwann begannen sich die Frauenärzte eines Stockholmer Krankenhauses zu wundern: Innerhalb von drei Monaten hatten sich 37 Frauen gemeldet, die ungewollt schwanger geworden waren, obwohl sie verhütet hatten. Rasch stellte sich heraus, dass die Frauen die Zyklus-App Natural Cycles benutzt hatten. Die vom TÜV Süd zertifizierte, mit renommierten Reproduktionsmedizinern entwickelte Zyklus-App sei so sicher wie die Pille, warben die Anbieter noch zu Beginn. 37 ungewollte Schwangerschaften sprachen eine andere Sprache.

Die Geschichte von Natural Cycles steht symptomatisch für einen zunehmend unübersichtlichen Markt der Verhütungs-Apps. Doch wie funktionieren diese überhaupt? Um den Zeitpunkt des Eisprungs zu bestimmen, füttern die Nutzerinnen die Miniprogramme aus dem Google- oder Apple-Store mit ihren Zyklusdaten: Sie messen regelmäßig Temperatur, prüfen die Konsistenz des Gebärmutterschleims – oder beides. Daraus errechnet ein Algorithmus die fruchtbaren Tage der Frau. Die Apps heißen Lily, Ovy, Clue, Flo oder Maya und geben vor, die fruchtbaren Tage der Frau zuverlässig bestimmen zu können.

Desaströses Ergebnis

Doch die Anwendungen sind alles andere als sicher. Erst im vergangenen Jahr testete Stiftung Warentest zwischen Juli und September 23 deutschsprachige Zyklus-Apps – mit desaströsem Ergebnis: Nur zwei schnitten mit „Gut“ ab. Der große Rest war „Mangelhaft“.

Gynäkologin Petra Frank-Herrmann von der Universitätsfrauenklinik in Heidelberg überrascht das nicht. Sie berät Frauen, die natürlich verhüten wollen, darunter auch Leistungssportlerinnen. Auf Grund jahrelanger Erfahrung weiß sie, wie stark der Zyklus vieler Frauen schwanken kann. „Intensiver Sport, Stress und Schlafmangel sorgen dafür, dass sich der Zyklus um bis zu zehn Tage verkürzen oder verlängern kann.“ Zwei Drittel aller Frauen kennen derartige Schwankungen. Es ist also nicht unüblich, dass sich die fruchtbaren Tage nach vorne oder nach hinten verschieben. Berücksichtigen Zyklus-Apps dies nicht, kommt es zu ungewollten Schwangerschaften.

Den Eisprung genau zu bestimmen, erfordert also Erfahrung und das Wissen um den eigenen Zyklus. Blöd nur, wenn Apps diese natürlichen Schwankungen ignorieren und der Frau zu einem falschen Zeitpunkt Unfruchtbarkeit suggerieren. Verantwortungslos findet Susanna Kramarz, Pressesprecherin des Berufsverbands der Frauenärzte, solche Apps. „Die schließen auf Basis des Vormonats-Zyklus Rückschlüsse auf den aktuellen Monat. Das ist vollkommen unzulässig.“ Nur Anwendungen, die auf der symptothermalen Methode basieren, die also Daten aus dem aktuellen Zyklus verwendeten und Körpertemperatur, Konsistenz des Zervixschleims – also des Gebärmutterschleims – und Muttermundweite miteinander kombinierten, erfüllten die Kriterien einer zuverlässigen Verhütung.

Aber lassen sich die fruchtbaren Tage der Frau überhaupt ableiten? Zum Hintergrund: Das Zeitfenster, innerhalb dessen eine Frau pro Zyklus fruchtbar sein kann, ergibt sich aus der Lebensdauer der weiblichen Eizelle und der Lebensdauer des Spermas. Obwohl eine weibliche Eizelle nur 12 bis 24 Stunden lang befruchtungsfähig ist, bedeutet das nicht, dass eine Frau nur an diesen beiden Tagen im Monat enthaltsam sein muss. Nicht nur, dass die Störfaktoren dafür sorgen, dass sich der fruchtbare Zeitraum verschiebt, auch Spermien können bis zu fünf Tage im Eileiter der Frau überleben. Und dort warten sie auf den Eisprung. Das vergrößert die Möglichkeit einer Befruchtung immens.

Apps, deren Algorithmen Störfaktoren nicht berücksichtigten und sich nicht streng an die Vorgaben der symptothermalen Methode nach Sensiplan halten, gelten daher als höchst unzuverlässig.

Die Sensiplan-Methode ist markenrechtlich geschützt, weil sie als einzige wissenschaftlich untersucht und evidenzbasiert getestet wurde. Bei richtiger Anwendung nach Sensiplan hält Gynäkologin Frank-Herrmann die symptothermale Methode für genauso sicher wie die Antibabypille. Das bestätigt auch der Pearl-Index.

Dieser zeigt an, wie sicher eine Verhütungsmethode vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt. Liegt der Pearl-Index einer Verhütungsmethode etwa bei fünf, bedeutet das, dass fünf von hundert sexuell aktiven Frauen, die damit ein Jahr lang verhüten, schwanger werden. Der Pearl-Index der Antibabypille schwankt zwischen 0,1 und 0,9 – ist also bei korrekter Einnahme sehr sicher. Der Index der symptothermalen Methode nach Sensiplan liegt bei 0,4 – ist also fast genauso zuverlässig. Zum Vergleich: Kondome haben nur einen Pearl-Index von 2 bis 12.

Doch wie genau funktioniert die symptothermale Methode? Um den Zeitpunkt des Eisprungs festzustellen, misst die Frau jeden Tag ihre Körpertemperatur morgens vor dem Aufstehen. Denn: Kurz vor dem Eisprung steigt die Temperatur der Frau leicht an. Zusätzlich beobachtet sie ihren Zervixschleim. Die Konsistenz und die Menge des Schleims verändern sich im Laufe des Zyklus. Um die Tage des Eisprungs herum ist der Schleim dünnflüssig und klar, später wird er dickflüssiger und zäher und hindert die Samenzellen daran, in den Gebärmutterhals zu gelangen. So kann die Frau erkennen, wann ihre fruchtbaren Tage enden. Diese Art der Verhütung erfordert viel Übung und gute Beratung, weist jedoch auch Vorteile auf. Sie hat keine Nebenwirkungen, kostet wenig und fördert das eigene Körperbewusstsein. Die Nachteile: Die Methode muss erst intensiv eingeübt werden, bevor sie Schutz bietet. Bis dahin müssen die Partner mit Kondom, Diaphragma oder anderen Barrieremethoden verhüten.

Was ist nun also von jenen Zyklus-Apps zu halten, die Stiftung Warenstest mit „Gut“ bewertete? Zunächst zu den Pluspunkten: Sowohl Lady Cycle als auch My NFP beziehen sich auf die symptothermale Methode der natürlichen Familienplanung nach Sensiplan.

Beratung fehlt

Doch im Gegensatz zur Original-Methode der Arbeitsgruppe fehlt es den Apps an individueller persönlicher Beratung ihrer Nutzerinnen und auch an einer evidenzorientierten Auswertung. Zwar erklären beide App-Anbieter auf ihren Homepages und innerhalb der App, wie die Zyklus-App angewandt werden sollte, doch eine wissenschaftliche Auswertung, wie gut die Frauen tatsächlich mit den Apps klarkommen, gibt es nicht. Deshalb fordert der Berufsverband der Frauenärzte nun eine bundeseinheitliche Zertifizierung von Verhütungs-Apps. Ob es diese geben wird, soll noch dieses Jahr entschieden werden.

Relevant ist das Thema allemal. Denn seit Herbst 2015 verzeichnet die Pharma-Industrie einen noch nie dagewesenen Rückgang der Verkäufe hormoneller Verhütungsmittel in Deutschland. Das hat nach Angaben des Berufsverbands der Frauenärzte eine Erhebung des Pharmamarktbeobachters Iqvia ergeben.

Zudem lässt sich in Deutschland im Jahr 2017 nach Angaben des statistischen Bundesamts ein deutlicher Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche verzeichnen. Sie nahmen um 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Das könnte zum einen an der Freigabe der „Pille danach“ liegen, so der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte. Zum anderen könnte die steigende Zahl ungewollter Schwangerschaften aber auch an dem unkritischen Umgang mit den Verhütungs-Apps liegen. Eine Zertifizierung von Verhütungs-Apps böte Mädchen und Frauen, die keine Pille nehmen wollen, seriöse Hilfe bei der Wahl der natürlichen Verhütung.

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