Quallen reinigen das Meer und regeln die Strömung

OZEANE: Was im Urlaub an Badestränden oftmals eine lästige Qual sein kann, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als wesentlicher Beitrag zum Erhalt eines stabilen Weltklimas. VON NICOLA KUHRT

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Wer an einem Meeresufer eine gestrandete Qualle betrachtet, wird sich vielleicht fragen, warum es diese merkwürdigen Tiere eigentlich gibt. Unter Wasser sehen Quallen, deren Körper zu 99 Prozent aus Wasser besteht, ja meist noch sehr hübsch aus. Sie schimmern und leuchten in unzähligen Farben, und mit teils meterlangen Tentakeln bewegen sie sich anmutig durch die Untiefen. Werden sie allerdings an Land gespült, ist es mit der Anmut vorbei. Platt und glibberig liegen sie im Sand. Weiteres Ärgernis: Manche Quallenarten sind giftig: Kommt man mit den Nesselzellen ihrer Tentakel in Berührung, wird ein darin lauerndes Gift ausgestoßen - mit für den Betroffenen meist recht schmerzhaften Folgen.

Verzichten kann man dennoch nicht auf die seltsamen Quabbeltiere. Sie sind fest in das empfindliche Lebenssystem des Meeres integriert, wie Kristina Barz vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven erklärt. Sie fressen Plankton, Fische und Wasserflöhe und werden ihrerseits von Fischen gefressen. Für manchen Fisch sind Quallen sogar überlebenswichtig: So hat sich zum Beispiel der Blaue Sittling mit einer Feuerqualle zusammengetan - er lebt darunter.

Wie wichtig die Glibbertiere aber tatsächlich sind, wird erst jetzt bekannt. Wie Biologen in der Zeitschrift Nature berichten, beeinflussen Quallen, gemeinsam mit anderen Kleinstlebewesen des Meeres, die Durchmischung und Umwälzung des Meeres und sind somit an der Entwicklung von Meeresströmungen beteiligt, was bekanntermaßen wiederum das gesamte Klima beeinflusst.

Wie sehr die Bedeutung von Quallen bislang unterschätzt wurde, zeigt sich schon daran, dass die meisten Forscher, wenn sie den Einfluss der Meeresströmungen auf den Klimawandel untersuchten, bislang einzig auf das Zusammenspiel von Wasser, Wind und Gezeiten blickten. Dabei hatte schon Sir Charles Darwin, Enkel des berühmten Naturforschers, vor über 50 Jahren den Mechanismus beschrieben, wie selbst kleinste Meeresbewohner die Durchwirbelung der Strömungen beeinflussen.

Wichtig wie die Gezeiten

Dennoch haben Wissenschaftler den Einfluss bislang als unbedeutend abgetan. Nicht so der Darwin-Enkel, denn er hatte den Einfluss der Tiere nicht einzig aus den Bewegungen der Quallen modelliert, sondern auch die Größe der Tiere und deren Körperform in seine Analyse mit einbezogen. Kakani Katija und John Dabiri vom California Institute of Technology in Pasadena, USA, haben im Pazifischen Ozean mittels eines neuartigen unterwassertauglichen, lasergestützten Bewegungsmesser die Turbulenzen untersucht, die Quallen durch ihre Bewegungen verursachen - und fanden Darwins Theorie bestätigt. Hochgerechnet auf die Bedeutung aller Kleinstbewohner des Meeres ergab sich sogar, dass die Tiere den gleichen Einfluss auf die Meeresströmungen haben wie Wind und Gezeiten. Sollte sich diese erste Analyse in weiteren Untersuchungen bestätigen, hätte das gravierende Folgen: Klimaforscher müssten schleunigst ihre Modelle überarbeiten. Und unsereins wird wohl mit etwas mehr Respekt auf eines dieser Tierchen blicken - wenn sie da so platt vor uns liegen. Am Strand.

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