"Absolute Abstinenz ist und bleibt die beste Methode, sich aus einer Alkoholabhängigkeit zu befreien." Daran lässt Professor Karl Mann keinen Zweifel. Der Suchtforscher vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim weiß aber auch, dass es nur die wenigsten Trinker schaffen, ein Leben lang Wein, Bier, Schnaps & Co aus ihrem Leben zu verbannen. "Die Einstiegshürde ist für die meisten einfach zu hoch."
Jetzt können Alkoholiker auf ein Medikament hoffen, das extrem hohen Konsum reduziert - weil, salopp gesagt, das berauschende Lustgefühl beim Trinken gedrosselt wird. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat grünes Licht für ein sogenanntes Anti-Craving-Mittel gegeben, das im Spätsommer dieses Jahres auf den deutschen Markt kommen soll.
Craving - was soviel wie Begierde bedeutet - steht in der Suchtmedizin für das Verlangen nach einer bestimmten Substanz, die Wohlgefühle auslöst. Das körpereigene Opiatsystem sorgt dafür, dass unser Hirn auf Alkohol mit der Ausschüttung von Endorphinen, im Volksmund als Glücklichmacher bezeichnet, reagiert. Zudem setzt es den Botenstoff Dopamin frei, der Lust auf mehr macht - und damit auf den nächsten Schluck. Hier setzt der Wirkstoff Nalmefen ein, der am Opiodrezeptor als Blocker wirkt. "Wenn Alkohol keine belohnende Wirkung mehr entfaltet", erläutert Suchtforscher Mann, dann lasse auch der Druck nach, sich ständig neu zu belohnen. Eine verwandte Substanz, Naltrexon, ist bereits im Einsatz - aber zum Unterstützen einer Entwöhnung.
In drei klinischen Studien - eine davon leitete Suchtforscher Mann - offenbarte sich, dass schwer Alkoholabhängige mit dem Wirkstoff ihre Trinkmenge reduzieren können. Die mehr als 2000 Probanden hatten im Durchschnitt täglich 10,5 alkoholische Standardgetränke zu sich genommen. Schon nach vier Wochen Nalmefen-Einnahme verminderte sich der Konsum um 40 Prozent und mehr - am Ende der Studie, nach einem halben beziehungsweise einem ganzen Jahr, im Schnitt gar um stattliche 60 Prozent.
Es wurde nicht nur deutlich wenige getrunken. Auch die Zahl jener Tage, an denen die Testpersonen massiv über den Durst hinaus zur Flasche griffen, nahm ab: Die vorher durchschnittlich 20 "Sauftage" pro Monat verringerten sich auf sieben. Erstaunlicherweise ging in der Vergleichsgruppe, die nur ein Scheinmedikament erhielt, ebenfalls die Zahl der "heavy drinking days" zurück - von 20 auf elf. Experte Mann ist überzeugt, dass dies mit der hohen Motivation der Studienteilnehmer und den intensiven ärztlichen Begleitgesprächen zu tun hat.
Nur wenige in Therapie
Um die zwei Millionen Alkoholabhängige gibt es in Deutschland - aber nur zehn Prozent erhalten eine Therapie. Mann vermutet, dass dies auch damit zu tun hat, dass sich viele Süchtige nicht vorstellen können, ein Leben lang nicht mehr zu trinken, oder dass so manche nach einem Rückfall resigniert haben. Von einem sanften Aussteigen mittels reduziertem Konsum erhofft er sich, mehr Alkoholkranke therapeutisch erreichen zu können.
Übrigens soll das Medikament nach Bedarf eingenommen werden. Wer beispielsweise Probleme hat, in geselliger Runde - ob beim Stammtisch oder bei einer Feier - das rechte Maß bei Bier, Wein und Hochprozentigem zu finden, könnte vor solchen Anlässen die Pille als Blocker süffiger Begierde schlucken. Von einem Wundermittel mag der Wissenschaftler nicht sprechen. Aber von einer Alternative für all jene, die den kompletten Ausstieg nicht - oder noch nicht - schaffen.
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