Eigentlich ist das nördliche Breitmaulnashorn ausgestorben. Denn seine letzten Exemplare – zwei ältere Weibchen – sind unfruchtbar, ihre Eileiter arbeiten nicht mehr. Es würde daher nichts bringen, sie mit dem Sperma der Bullen zu behandeln, das schon seit längerem in Labors auf seinen Einsatz wartet. Doch ein internationales Forscherteam stellt nun Hilfe in Aussicht: durch eine Introzytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Sie ist bislang eher als künstliche Befruchtungsmethode für den Menschen bekannt und soll jetzt helfen, eine akut bedrohte Tierart vor dem Aussterben zu bewahren.
Im Fokus von Wissenschaftlern
Ein Forscherteam um Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung plant für diesen September, den beiden letzten Weibchen einige Eizellen zu entnehmen, diese mit einer Injektionsnadel zu befruchten und dann den Kühen einer eng verwandten Art, des südlichen Breitmaulnashorns, zu implantieren. Die würden dann als Leihmütter fungieren und später ein nördliches Nashorn-Baby gebären – wenn alles klappt.
Hildebrandt ist überzeugt, dass der Plan funktioniert. Denn im Labor haben Forscher bereits Hybrid-Embryonen aus dem Sperma von nördlichen und den Eizellen von südlichen Exemplaren erzeugen können. „Wir hoffen, dass die nördlichen Breitmaulnashörner in drei Jahren wieder Nachwuchs haben werden“, sagt Hildebrandt.
Das Projekt des deutschen Veterinärmediziners ist nicht das einzige dieser Art. Die „De-extinction“ – auf deutsch: Rück-Ausrottung – ausgestorbener oder akut vom Aussterben bedrohter Tierarten steht zunehmend im Fokus von Wissenschaftlern. Sie erhoffen sich, etwas gegen den aktuell grassierenden Artenschwund auf der Erde unternehmen zu können.
Zu den heißen Kandidaten für die Wiederbelebung zählen noch das Heidehuhn, der Dodo, die Wandertaube, der Auerochse, der Pyrenäensteinbock und sogar das Woll-Mammut. Die dafür eingesetzten Methoden sind genauso unterschiedlich wie die Tierarten selbst.
So setzten Forscher beim Auerochsen etwa auf Züchtung und Vererbungslehre. Denn von diesem, vor rund 400 Jahren ausgestorbenen Paarhufer gibt es noch Nachfahren: unsere gewöhnlichen Hausrinder. In einigen ihrer Rassen steckt noch Auerochsen-Erbgut. Deshalb züchten und kombinieren Forscher diese nun so miteinander, um am Ende wieder einen Auerochsen herauszubekommen. Der Name dieses Projekts: Tauros. Die bisherigen Züchtungen sind bereits überaus athletisch und wehrhaft, könnten auch einen Wolfsrudel in die Flucht schlagen. In etwa 15 Jahren oder fünf Generationen soll man die Tauros-Rinder zumindest äußerlich nicht mehr vom Auerochsen unterscheiden können.
Dodo, Mammut, Wandertaube und Pyrenäensteinbock hingegen wollen die Wissenschaftler klonen. Die Erfolgschancen sind dabei umso größer, je mehr funktionstüchtiges Erbgut man noch von dem ausgestorbenen Tier hat. Gute Chancen haben Forscher, wenn das Verschwinden des Tieres noch nicht allzu lange her ist. Wie etwa beim Pyrenäensteinbock, dessen letztes Exemplar vor knapp 20 Jahren von einem umfallenden Baum erschlagen wurde.
Glücklicherweise hatten spanische Forscher schon kurz vorher Gewebeproben von diesem Tier entnommen und eingefroren. Daraus konnten sie genug Erbmaterial gewinnen, um es insgesamt 57 Ziegen und Ziegen-Hybriden einzupflanzen. Von denen wurden lediglich sieben schwanger, und nur in einem Fall – einer Kreuzung aus Hausziege und spanischem Steinbock – entwickelte sich ein Kitz des Pyrenäensteinbocks. Es kam 2003 per Kaiserschnitt zur Welt. Allerdings überlebte es nur wenige Minuten, weil seine Lungen nicht genug entwickelt waren. Der Pyrenäensteinbock ist bislang die einzige Art, die mit Hilfe der Klontechnik erfolgreich wiederbelebt wurde – und die einzige, die zwei Mal ausstarb.
Von daher dürften die Chancen für eine Wiederkehr des Mammuts noch geringer sein. Denn seine sterblichen Reste liegen schon seit Jahrtausenden im Eis, und Zellen dürfen nicht länger als 16 Jahre tiefgefroren sein, wenn man sie noch zum Klonen verwenden will. Doch auch hier arbeiten Forscher an einer Lösung des Problems.
Artfremde Leihmütter
Denn es gibt zwar kein intaktes und funktionierendes Mammut-Erbgut mehr, aber nach ausführlichen Fossiluntersuchungen wissen Experten mittlerweile, wie es aussieht. Die Forschung kennt seine genauen DNA-Sequenzen, und die haben Wissenschaftler auch schon mit denen heutiger Dickhäuter verglichen.
Das Ergebnis: Der nächste noch lebende Verwandte des Mammuts ist der asiatische Elefant. Die Wege dieser beiden haben sich erst vor rund sechs Millionen Jahren voneinander getrennt, sie sind also ähnlich verwandt wie Schimpanse und Mensch.
Ein Forscherteam um George Church von der Harvard University hat daher begonnen, bestimmte Stücke vom Erbgut des Asia-Elefanten auszuschneiden und sie durch DNA-Sequenzen zu ersetzen, die man nach Mammut-Vorbild konstruiert hat. Möglich macht das ein Verfahren namens CRISPR/Cas, mit dem man DNA gezielt schneiden und verändern kann. 44 Abschnitte im Elefantenerbgut haben die Wissenschaftler damit bereits in Richtung Mammut dirigiert. Würden sie Embryonen daraus erzeugen und einer Elefantenkuh einsetzen, könnte sie zumindest schon ein besonders robustes Elefantenkalb mit langem Fell gebären – denn die dafür zuständigen Gene wären bereits eingebaut.
Weitaus wahrscheinlicher wäre aber, dass bei dieser Schwangerschaft genauso wenig herauskommt wie beim Pyrenäensteinbock. Denn offenbar haben Embryonen in einer artfremden Leihmutter Probleme, sich zu einem überlebensfähigen Baby zu entwickeln. Church plant daher eine künstliche Gebärmutter, in dem das Jungmammut bis zur Geburt heranwachsen soll. Eine entsprechende Studie dazu wird demnächst veröffentlicht.
Die Vielfalt verschwindet
- „Resurrection Biology“, auf Deutsch: Wiederauferstehungsbiologie, wurde lange als Utopie von Romantikern oder Science-Fiction-Fans belächelt, die aus der Erde eine Art „Jurassic Park“ machen wollen. Doch mittlerweile wird sie unter Wissenschaftlern mit großer Ernsthaftigkeit diskutiert.
- Der Grund: Die Natur wird derzeit von einem Massenaussterben heimgesucht, das man mit der Dinosaurier-Katastrophe vor 65 Millionen Jahren vergleichen kann. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen verschwinden – nicht zuletzt aufgrund menschlicher Aktivitäten – jeden Tag bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten. Warum sollte man davon, so das Argument der De-extinction-Forscher, nicht die eine oder andere wiedererwecken, um für mehr Biodiversität auf der Erde zu sorgen?
- Kritiker bemängeln allerdings, dass wiederbelebte Tierarten ja irgendwo angesiedelt werden müssen, wo sie dann das ökologische Gefüge durcheinander bringen könnten.
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