Das geht auf die Knochen

Studien zeigen: Arthrose, Arthritis und Osteoporose nehmen dramatisch zu – und es liegt nicht nur an Übergewicht und Alter.

Von 
Jörg Zittlau
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Wer Arthrose vermeiden will, der sollte auf seinen Blutzuckerspiegel achten und die Finger von zuckersüßen Softdrinks lassen. © dpa

Deutschlands Knochen knirschen und plagen wie nie zuvor. Jeder vierte Bundesbürger klagt über akute Gelenkschmerzen. Arthrose und Osteoporose gibt es doppelt so häufig wie vor einem Jahrhundert. Übergewicht und gestiegene Lebenserwartung reichen als Erklärung dafür nicht aus. Was läuft also schief?

Das Leben vor einem Jahrhundert war hart. Man schuftete gebückt in Bergwerken und auf dem Acker – und doch stand es mit dem menschlichen Skelett noch nie so schlimm wie heute. So das Ergebnis einer Studie der Harvard University in Cambridge, wo man Hunderte menschlicher Skelette aus der Gegenwart mit denen aus prähistorischen Zeiten und der frühindustriellen Ära des 19. Jahrhunderts verglichen hat.

Die US-Forscher fanden in 16 Prozent der jüngeren Stichproben eine Kniearthrose, und damit mehr als doppelt so viele wie bei den Knochen der prähistorischen und frühindustriellen Zeit. „Diese Erkrankung hat also in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen“, betont Studienleiter Ian Wallace.

„Viele Verdächtige“

Was aber laut Ansicht des Evolutionsbiologen noch überraschender ist: Der dramatische Anstieg resultiert eher wenig aus der veränderten Altersstruktur und dem grassierenden Übergewicht in unserer Wohlstandsgesellschaft. Was man ja hätte erwarten können, da gerade Kniegelenke umso mehr leiden, je mehr Lebensjahre und Kilos man ihnen zumutet. Doch diese Faktoren konnten Wallace und sein Team herausrechnen – und trotzdem blieb es dabei, dass es den Gelenken heute viel schlechter geht als früher.

Es muss also noch andere Entwicklungen im modernen Lebensstil geben, die ihnen zusetzen. „Und wenn man diese kennt“, so Wallace, „wäre auch Prävention möglich“. Doch es gibt viele Verdächtige.

Wie etwa die sogenannten Fluorchinolone. Es handelt sich dabei um Antibiotika, die ein für Bakterien überlebenswichtiges Enzym namens Gyrase hemmen. Was sehr effektiv ist, aber die Gyrasehemmer ziehen auch Magnesium aus Sehnen und Gelenkknorpeln, die dadurch schwächer und verletzungsanfälliger werden.

Trotzdem wandern hierzulande so viele Fluorchinolone über den Apothekentresen wie nie zuvor: Sechs Millionen Packungen pro Jahr an mehr als vier Millionen Patienten. Eine deutliche Senkung dieser Quoten würde den Gelenken der Patienten sicherlich gut tun.

Ein weiterer, immer öfter vorkommender Risikofaktor für Arthrose ist ein erhöhter Blutzuckerspiegel. Laut einer Studie des Universitätsklinikums Erlangen bekommen Diabetiker vier Mal so häufig ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk. Neben dem typischen Übergewicht spielt hier auch eine Rolle, dass hohe Blutzuckerwerte nicht nur entzündliche Reaktionen anstacheln, sondern auch für Fehlbelastungen in den Gelenken sorgen.

Denn langfristig erhöhter Blutzucker schädigt die Nerven, und dadurch könnten Diabetespatienten, wie Studienleiter Georg Schett ausführt, „die Fehlhaltungen und Belastungen ihrer Gelenke nicht mehr richtig spüren“. Es lohnt sich also auch im Hinblick auf Arthrose, regelmäßig den Blutzucker kontrollieren zu lassen und weniger zuckersüße Soft-Drinks zu vertilgen.

Letztere Empfehlung gilt auch für die nahe Verwandte der Arthrose, die Arthritis. Bei ihr attackiert das Immunsystem – quasi im Übereifer – die körpereigenen Gelenke.

Die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht sich, wie man am Brigham and Women’s Hospital in Boston ermittelte, um das 1,7-fache, wenn Menschen mehr als einen Soft-Drink pro Tag konsumieren. Und das ist vermutlich der Grund dafür: Die süßen Drinks erhöhen mit ihrem verflüssigten Zucker die Anfälligkeit für bakterielle Zahnfleischentzündungen, die wiederum das Immunsystem überaktivieren und dadurch das Risiko für Autoimmunreaktionen erhöhen.

Chronische Entzündungen spielen offenbar auch eine wichtige Rolle beim Entstehen von Osteoporose. Sie trifft überdurchschnittlich oft Patienten mit Morbus Crohn, Psoriasis, Arthritis und ständig verstopften Nebenhöhlen. Das liegt nicht nur daran, dass diese Erkrankungen mit knochenaufweichenden Kortikoiden behandelt werden. Auch die Entzündungen selbst gehen zulasten der Knochensubstanz, weil dabei Botenstoffe freigesetzt werden, die den Körper zur Bildung von Osteoblasten anregen – und die Funktion dieser Zellen besteht im Verdauen von Knochengewebe. In jedem Falle scheint es angebracht, zum vorbeugenden Schutz von Knochen und Gelenken auf ein halbwegs entzündungsfreies Leben zu achten.

Regelmäßig Sport treiben

Dazu gehört regelmäßiger Sport, weil er die Produktion entzündungshemmender T-Zellen anwirft. Sie sind, wie Sportmediziner Wilhelm Block von der Sporthochschule Köln erklärt, „gewissermaßen der Schalter, der verhindert, dass das Immunsystem überstark reagiert und überstark aktiviert ist“. Allerdings entwickeln leidenschaftliche Fußballer, Skifahrer und andere High-Impact-Sportler wegen der häufigen Dreh- und Stoßbelastungen öfter eine Arthrose. Es kommt also auf die Sportart und ihre Dosierung an.

Die absolute Null-Dosierung empfiehlt sich hingegen für das Rauchen. Denn das fördert einerseits Entzündungen und Autoimmunreaktionen und blockiert andererseits die Durchblutung der Knochen. Schon sieben Zigaretten pro Tag verdoppeln bei Frauen das Arthritis-Risiko, und eine Schachtel sorgt dafür, dass ein Mann beim Osteoporose-Risiko sogar die eigentlich dafür prädisponierten Frauen hinter sich lässt. Besser also, man verzichtet – denn sonst erledigt sich das Problem möglicherweise von selbst, weil die Knochen den Raucher nicht mehr zum Zigarettenautomaten tragen.

Aktuelle Zahlen

  • Laut Erhebungen des Robert-Koch-Institut berichten 29 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer hierzulande von akuten Schmerzen an den Gelenken.
  • Fast jeder fünfte Erwachsene leidet unter Arthrose. Bei den Frauen über 65 ist es sogar jede zweite, und in dieser Altersgruppe findet man auch bei jeder Vierten den Knochenschwund der Osteoporose.
  • In früheren Jahren fiel die Quote deutlich niedriger aus. So werden derzeit allein in den Krankenhäusern von Nordrhein-Westfalen über 14 000 Patienten mit Osteoporose behandelt, pro Jahr. Das sind ungefähr 22 Prozent mehr als ein Jahrzehnt zuvor.

Freier Autor Geboren 1960 in Düsseldorf. Studierte Philosophie, Biologie und Sport. Nach Tätigkeit in Lehre und Forschung wechselte er 1991 zum Wissenschaftsjournalismus.

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