Zypern - Vor 40 Jahren leitete ein Attentat auf Staatspräsident Makarios III. Ankaras Invasion auf die Mittelmeerinsel ein, die seither zwischen Griechen und Türken geteilt ist

"Schnell, schnell, weg! Die türkischen Panzer kommen!"

Von 
Takis Tsafos
Lesedauer: 

So nah und doch so fern: Während auf den Häusern von Nikosia im Bildvordergrund die griechische Flagge weht, ist zwischen den beiden Moschee-Türmen dahinter die türkische Nationalflagge zu erkennen.

© dpa

Seit vier Jahrzehnten beißen sich an der Zypernfrage alle Vermittler die Zähne aus. Die Mittelmeer-Insel bleibt gespalten. Traumatische Erinnerungen haben die Menschen im griechischen wie im türkischen Teil. Ein Augenzeuge berichtet.

In Europa gibt es bis heute ein geteiltes Land: Zypern. Die dramatischen Ereignisse, die zu der Spaltung der Mittelmeer-Insel führten, jähren sich diesen Sommer zum 40. Mal. Am 15. Juli 1974 putschte die zyprische Nationalgarde unter griechischer Führung gegen Staatspräsident Erzbischof Makarios III. Die Türkei und der damalige Führer der türkischen Zyprer, Rauf Denktasch, sahen das als Signal dafür, dass Athen den Anschluss Zyperns an Griechenland durchsetzen wollte. Ankara reagierte: Am 20. Juli landeten türkische Truppen im Norden der Insel.

Die Kämpfe endeten erst einen Monat später mit der Einnahme der Hafenstadt Famagusta durch die türkische Armee. Mehr als 200 000 Menschen flüchteten aus ihren Dörfern und Städten. Die Erinnerungen sind für viele Zyprer traumatisch - Griechen wie Türken. Die Insel ist seither geteilt.

Famagusta ist Sinnbild des Dramas. Als die türkischen Panzer am 14. August 1974 auf die Stadt vorrückten, verließen rund 40 000 Bewohner des griechisch-zyprischen Stadtteils Varosha - Türkisch: Maras - ihre Häuser. Seitdem ist das Viertel im Süden der Stadt unter türkischer Kontrolle, aber nicht besiedelt. Es gleicht einer Geisterstadt.

Überstürzte Flucht

Andreas Stylianou, damals 16 Jahre alt, erinnert sich: "Meine Mutter hatte an jenem 14. August keine Lust zu kochen. Es war heiß, fast 40 Grad", erzählt er. Deswegen sollte es auf die Schnelle ein Omelett geben. "In dem Moment, als das Omelett in der Pfanne gewendet wurde, hörten wir die Nachbarn rufen: ,Schnell, schnell, weg! Die türkischen Panzer kommen!'" Andreas konnte nur seine Schultasche und einige Fotos mitnehmen. "Seitdem habe ich mein Haus an der Kanari-Straße in Famagusta nicht wieder gesehen."

Besonders hart traf es die älteren türkischen Zyprer. Tausende von ihnen hatten schon 1963 nach ethnischen Unruhen und Gräueltaten griechisch-zyprischer Nationalisten ihre Dörfer verlassen und sich in Enklaven zurückziehen müssen.

Nach der türkischen Militärintervention zogen fast alle türkischen Zyprer - damals 18 Prozent der Bevölkerung - in den von den Truppen besetzten Norden. Mehr als 160 000 griechische Zyprer flohen von dort. In den Jahren danach verschoben Zehntausende Siedler aus Anatolien die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung. Heute machen die türkischen Zyprer mit den Siedlern schätzungsweise rund 30 Prozent der Inselbewohner aus.

Der Streit zwischen Griechen und Türken auf Zypern reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Damals siedelte das Osmanische Reich auf seiner Mittelmeerinsel muslimische Landsleute an. Unter britischer Herrschaft nach dem Ersten Weltkrieg forderten christliche Zyperngriechen verstärkt den Anschluss an Athen, bis hin zu Aufruhr und Terroranschlägen in den 1950er Jahren.

Drei Jahre nach der Unabhängigkeit kam es 1963 erneut zu Gewalt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. In der Folge verließen viele Türken ihre bisherigen Siedlungsgebiete. 1974 dann der Putsch.

Seit 1974 hat es immer wieder Gespräche zur Überwindung der Teilung gegeben, aber jedes Mal endeten sie in einer Sackgasse. Das Hauptproblem ist nach wie vor, dass die türkischen Zyprer befürchten, gegenüber den zahlenmäßig überlegenen Griechen ins Hintertreffen zu geraten. Diese wiederum trauen keiner Lösung, für die am Ende die Türkei als Garantiemacht steht.

Einkaufen am Wochenende

Griechische und türkische Zyprer leben heute getrennt. Kontakte gibt es dennoch: An Wochenenden strömen Hunderte türkische Zyprer nach Nikosia-Süd, um dort einzukaufen. Im Süden sind sie willkommen, denn sie konsumieren gewaltig in diesen Krisenzeiten. Griechische Zyprer wiederum dürfen im Rahmen sogenannter vertrauensbildender Maßnahmen in verlassenen Kirchen im Norden Gottesdienst halten. Zehntausende türkische Zyprer haben sich einen Pass der international anerkannten Republik Zypern beschafft und können sich damit als EU-Bürger weltweit frei bewegen.

US-Vizepräsident Joe Biden hat im Mai die Insel besucht und sich für eine baldige Lösung ausgesprochen. Er schlug die Rückgabe der Geisterstadt Famagusta an ihre ursprünglichen Bewohner vor.

So träumt Andreas noch von dem Tag, an dem er nach Hause zurückkehren darf. "Und dann werde ich meinen Enkeln ein Omelett machen - das, welches meine inzwischen gestorbene Mutter nie vollenden konnte", sagt er. An eine Wiedervereinigung glaubt er aber nicht mehr.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen