Syrien - Internationale Gemeinschaft ringt um Entschärfung des Bürgerkriegs / Hilfe von Vereinen stößt auf Hürden im Ausreiserecht

Rebellen-Rückzug aus Aleppo läutet neue Kriegsphase ein

Von 
Birgit Cerha
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Eine Familie ist in den zerstörten Straßen der umkämpften syrischen Stadt Aleppos unterwegs. Die Zivilbevölkerung gerät immer wieder zwischen die Fronten.

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Das gnadenlose Vorrücken des Assad-Regimes nimmt den Rebellen in Syrien jede Hoffnung auf den Sieg.

Aleppo bebt. Kampfjets des syrischen Regimes und seines russischen Retters bombardieren konsequent, gnadenlos und menschenverachtend den Ostteil der Stadt und die Umgebung. Niemand kann mehr in der dreiwöchigen Schlacht um dieses wichtigste Zentrum der Opposition gegen Assad die Toten zählen. Hunderte Zivilisten sind es. 31 500 sind laut UNO in einer Woche geflüchtet. Eine Viertelmillion Menschen gilt als zwischen den Kriegsfronten eingeschlossen, darunter Zehntausende Kinder. Um nicht eingekesselt zu werden, zogen sich die Rebellen gestern aus der Altstadt zurück. Sie verloren damit seit Mitte November rund 80 Prozent der von ihnen seit 2012 gehaltenen Teile Aleppos. Siegessicher weist Präsident Baschar al-Assad das Angebot der Rebellen und internationale Appelle für einen Waffenstillstand zurück. Sein Sieg über diese größte und strategisch wichtige Metropole erscheint unabwendbar.

Bei der OSZE-Außenministerkonferenz hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow gestern eine Feuerpause für Aleppo verkündet. Nun bleibt den Rebellen nur der Rückzug in Richtung Idlib. Die Kampfmoral der Regimegegner hat einen Tiefpunkt erreicht. Es ist die schwerste Niederlage der Rebellen. Schon spricht der Diktator vom Beginn des Kriegsendes. Ist es tatsächlich der Anfang einer neuen - von Assad und seinen russischen und iranischen Verbündeten dominierten und diktierten - "Ordnung". Sollte sie hergestellt werden, bevor Donald Trump in Washington die Macht übernimmt? Der rasante Vormarsch der Regime-Kräfte leitet einen Wendepunkt im Syrienkrieg ein.

Assad suchte seinen Untergang durch Kriegsverbrechen abzuwenden. Nach unbarmherzigen Attacken kontrolliert der Diktator die militärisch wichtige Mittelmeer-Region und die fünf größten Städte des Landes. Die zynische Realität: Kein internationaler Versuch zur Beilegung des Konflikts kann diese militärischen Fakten ignorieren.

Nicht nur für Trump ist der Sturz Assads unwichtiger als der Kampf gegen die Terrororganisation des Islamischen Staates. Auch innerhalb der EU hat ein Meinungswandel eingesetzt. Eine Zukunft ohne Assad ist unrealistisch - weshalb sie nicht mehr zur Bedingung gemacht werden kann. Die Entwicklungen in Aleppo zeigen, dass die Rebellen den Vormarsch des Regimes nicht abwehren, geschweige denn den Diktator ernsthaft gefährden können.

Opposition steckt in Sackgasse

Anhänger des Regimes prophezeien einen Dominoeffekt: Die von Assads Gegnern kontrollierten Regionen werden eine nach der anderen fallen. Russland und die Amerikaner erwägen einen Auszug der Rebellen aus Aleppo in Richtung Idlib - der nordwestlichen Provinz, die ihre Verbündeten kontrollieren. Doch viele Rebellenverbände denken nicht an Rückzug. Andere Regimegegner verzagen angesichts des erwarteten Stopps amerikanischer Hilfe. Die verbliebenen Stützpunkte bieten ihnen kaum eine Basis, um den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten zu wenden.

Auch in anderen Landesteilen hat das Regime eine Serie von Geländegewinnen erzielt. Verbündete Milizen aus dem Irak, Iran und Libanon spielten dabei eine entscheidende Rolle. So konnte der Diktator seinen Sitz in Damaskus verteidigen und die Gegenoffensive starten.

Zahlreiche Regionen fielen nach monatelanger Belagerung an das Regime. Die Provinz Idlib, die im Frühjahr 2015 Rebellen unter ihre Kontrolle brachten, kann sich bis heute auf intensive Hilfe der Türkei stützen. Die Region entwickelt sich zu einem "Basiscamp" für Assads bewaffnete Gegner: Von hier aus organisieren sie ihre Attacken gegen Aleppo, Hama, Homs und Latakia.

Nach US-Schätzungen sind in Idlib, der Provinz Aleppo und an kleineren Stützpunkten im westlichen und südlichen Syrien insgesamt bis zu 50 000 Rebellen konzentriert, die Washington als "moderat" einstuft. Sie werden ihre Waffen kaum niederlegen. Zugleich konzentrieren sich allein in Idlib mindestens 20 000 radikale Dschihadisten der mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten Nusra-Front. Sie gilt als der am besten ausgerüstete Gegner Assads.

Ohnmacht führt zu Guerillakrieg

Frustrierte Rebellen, die sich vom Westen im Stich gelassen fühlen, drohen sich den Islamisten anzuschließen. Angesichts der Zerstörung des Landes und fast einer halben Million Toten dürften nur wenige Regimegegner zu Verhandlungen mit dem Diktator bereit sein.

Die Rebellen werden nun ihre Strategie überdenken. In den vergangenen fünf Jahren hatten sie versucht, erobertes Territorium militärisch zu halten. Dies ist angesichts der Schlagkraft Assads und seiner Verbündeten unmöglich geworden. Wie in der Stadt Homs zu beobachten, bietet sich ein Wechsel zu Guerillataktiken als Alternative an. 2015 ist es Assads Truppen gelungen, die Rebellenhochburgen Homs und Hama zurückzuerobern. Beide Städte kommen nicht zur Ruhe.

Zwar begann ein Wiederaufbauprogramm der Vereinten Nationen: Ein Großteil der Trümmer des nahezu vollständig zerstörten Stadtzentrums wurde entfernt. Doch Sprengstoffattacken zählen zum grausamen Alltag. Die Gemengelage ist kompliziert (siehe Grafik). Der Widerstand gegen das Regime lässt sich ohne eine Verständigung aller Kriegsbeteiligten nicht stoppen. Das ist im Irak seit 13 Jahren zu sehen.

Korrespondent

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