Reformation - Mit der "Lutherbibel" schuf der Kirchenkritiker nicht nur die Grundlage einer demokratischeren Religionsauslegung, sondern auch einer einheitlichen deutschen Schriftsprache

Protest gegen Machtgier, Prunksucht und Aberglauben

Von 
Wolfgang Brjanzew
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Martin Luther hat eine neue Kirche begründet und damit die Welt geteilt. Seine Person steht ebenso für religiöse Erneuerung wie für katastrophale Kriege - und für die schlimmsten Zeiten in Mitteleuropa.

Das Jahr 2017 ist dem Gedenken an 500 Jahre Reformation gewidmet, obwohl es für deren Beginn kein verbindliches Datum gibt. Niemand hat sie je ausgerufen oder ausgelöst. Sie ist als Prozess das Ergebnis eines vielschichtigen Zusammenwirkens vieler Faktoren im Kontext unterschiedlicher religiöser und politischer Interessen.

Vor diesem Hintergrund ist 2017 eine symbolische Jahreszahl. Sie bezieht sich auf die von Martin Luther 1517 veröffentlichten 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche. Dieses Ereignis stellt eine bemerkenswerte Station innerhalb des Reformationsgeschehens dar. Kurz auf den Punkt gebracht, ging es den Reformatoren um die Erneuerung der von vielen Missständen geprägten spätmittelalterlichen Kirche. Dabei verstanden sie Erneuerung nicht als "Neuerfindung".

Die aus ihrer Sicht deformierte Kirche sollte reformiert werden. Bischöfe, Priester und Ordensleute waren oft ungebildet und fielen durch unsittliches Verhalten auf. Dagegen erhob sich zunehmend Widerspruch. Man warf der Kirche Machtgier vor, Prunksucht, den oft luxuriösen Lebensstil ihrer Führer und die Vernachlässigung ihrer Kernaufgaben. Statt Paläste zu bauen, Ämter zu verschachern, hohe Abgaben zu fordern und eine oftmals abergläubische Heiligen- und Reliquienverehrung zu fördern, sollte sie in apostolischer Armut leben, Gottes Wort verkündigen, Seelsorge treiben und sich um Notleidende kümmern.

Nicht kleine Korrekturen wurden gefordert, sondern eine umfassende Reform der Kirche. So äußerten sich bereits Ende des 14. Jahrhunderts unter anderem der englische Kirchenreformer John Wyclif und etwas später der aus dem heutigen Tschechien stammende Theologe Jan Hus. Dieser wurde 1415 wegen seiner Kritik an Kirche und Papsttum in Konstanz als Ketzer verbrannt.

Rund 100 Jahre später veröffentlichte der Wittenberger Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche. Gott sei nicht käuflich, und zur Vergebung der Sünden bedürfe es allein seiner Gnade und der Reue des Sünders. Da Luther sich der modernsten Drucktechnik seiner Zeit bediente, kamen seine Thesen rasch und auflagenstark unters Volk. Außerdem soll er sie am 31. Oktober 1517 auch noch an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben.

Heidelberger Katechismus

Der erste Ort außerhalb Wittenbergs, an dem Luther seine Lehre öffentlich darlegte, war die Universität Heidelberg. Dort fand 1518 die "Heidelberger Disputation" statt. Die Professoren waren schockiert, die Studenten begeistert. Viele von ihnen wurden Anhänger Luthers. Sie spielten später eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Reformation im Südwesten. Im zunächst lutherischen Heidelberg wurde 1563 auf kurfürstliche Anordnung der "Heidelberger Katechismus" veröffentlicht. Ihm hatten unter anderem die beiden Katechismen Luthers und der Genfer Katechismus des Schweizer Reformators Johannes Calvin als Vorlage gedient.

Reichstage in Worms und Speyer

Als eine der ersten Gemeinden hatte die niederländische Flüchtlingsgemeinde in Frankenthal den Heidelberger Katechismus übernommen. Später wurde Heidelberg als Teil der reformierten Kurpfalz calvinistisch - der Heidelberger Katechismus entwickelte sich zur weitest verbreiteten Lehr- und Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen.

Einer der engsten Weggefährten Luthers war der aus dem damals kurpfälzischen Bretten gebürtige Reformator Philipp Melanchthon. Wegen der Veröffentlichung seiner 95 Thesen und weiterer reformatorischer Schriften geriet Luther zunehmend in Konflikt mit der Amtskirche. Auf ihren Druck hin wurde er 1521 von Kaiser Karl V. zum Reichstag nach Worms geladen. Dort sollte er seine Schriften widerrufen. Dies verweigerte Luther unter Berufung auf sein Gewissen. Daraufhin wurde er mit dem päpstlichen Bann und der Reichsacht belegt. Auf dem Reichstag zu Speyer kam es 1529 zur "Protestation" evangelischer Fürsten und Reichsstädte gegen die kaiserliche Ächtung Luthers und seiner Schriften. Seither bezeichnete man die "Lutherischen" auch als "Protestanten". Schon in dieser Phase der Reformation vermischten sich religiöse und politische Interessen.

Luther lehrte, schrieb und predigte auf der Grundlage sorgfältiger Schriftauslegung. Er verstand die Bibel als Medium, durch das Gott selbst sich den Menschen mitteilt. Damit jeder sie in seiner Muttersprache lesen konnte, übersetzte er sie ins Deutsche. Die "Lutherbibel" wurde ein Bestseller und zur Basis für die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache. Durch Luthers Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade, durch sein Plädoyer für das Priestertum aller Getauften, durch seine Freiheitsschrift sowie seine Einführung des Laienkelchs und des Gemeindegesangs wurden viele Gläubige zu Anhängern der Reformation. Weil sie sich in Glaubensdingen auf das Evangelium beriefen, nannte man sie "die Evangelischen".

Der römischen Kirche liefen inzwischen viele Gläubige davon. Unter diesem Druck führte sie längst überfällige Reformen durch. So kam es zu einer durchaus erfolgreichen Gegenreformation. Die offiziell exkommunizierten Protestanten gründeten allmählich eigene evangelische Kirchen. Einige waren lutherisch, andere calvinistisch geprägt. Über lange Zeit gingen beide Richtungen weithin getrennte Wege. Die konfessionellen Spaltungen schmerzten viele Christen. Andererseits beflügelte der konfessionelle "Wettbewerb" das Ringen um die Klärung zentraler Glaubensfragen.

Kriege um die Konfession

Zu grundlegenden Regelungen im Blick auf das konfessionelle Miteinander kam es 1555 im Augsburger Religionsfrieden. Doch von individueller Religionsfreiheit war man noch weit entfernt. Die Landesherren entschieden über die Konfession ihrer Landeskinder. Wem das nicht passte, der musste auswandern.

Konfessionelle Konflikte wurden nicht nur in theologischen Diskussionen ausgetragen. Sie wurden auch immer wieder als Begründung für kriegerische Aktionen instrumentalisiert. Das gipfelte in der Katastrophe des 30-jährigen Krieges. Dieser wurde 1648 durch den Westfälischen Frieden beendet. Die hier getroffenen Vereinbarungen führten erstmals zu einer gewissen Stabilität. Bis in die Gegenwart hat die Reformation nicht nur das kirchliche und religiöse Leben beeinflusst, sondern auch die kulturelle, gesellschaftliche und politische Entwicklung in Europa und darüber hinaus.

Luthers Leben

  • 10. November 1483: Geburt in Eisleben, Vater Bergmann.
  • 1501-1505: Studium der freien Künste, dann kurzes Jurastudium.
  • 1505: Luther wird fast vom Blitz getroffen und gelobt, Mönch zu werden.
  • 1505: Eintritt ins Erfurter Kloster der Augustinereremiten.
  • 1507: Priesterweihe, Theologiestudium.
  • 1512: Promotion in Theologie, Professur in Wittenberg für Bibelauslegung.
  • 31. Oktober 1517: Luther veröffentlicht seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel - der Legende nach an der Tür der Schlosskirche Wittenberg.
  • 1518: Luther diskutiert in Heidelberg erstmals seine Thesen.
  • 1521: Kirchenbann, Luther hält auf dem Reichstag von Worms an seiner Lehre fest, Reichsacht (Wormser Edikt), Exkommunikation.
  • 1521: Luther übersetzt - als "Junker Jörg" getarnt - das Neue Testament auf der Wartburg ins Deutsche.
  • 1525: Luther heiratet die geflüchtete Nonne Katharina von Bora, drei Söhne und drei Töchter.
  • 1526: 1. Reichstag zu Speyer macht die Übernahme der Reformation von den Landesherren abhängig.
  • 1529: 2. Reichstag zu Speyer, wegen des Widerstands gegen den Kaiser Geburtsstunde der Bezeichnung "Protestanten" für die evangelischen Christen.
  • 18. Februar 1546: Luther stirbt in Eisleben, Beisetzung in der Schlosskirche Wittenberg. (tö)

Wolfgang Brjanzew

  • Wolfgang Brjanzew (62) ist Beauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden für das Jubiläum "500 Jahre Reformation 2017" und die damit verbundene Dekade.
  • Als Inhaber dieser Stabsstelle ist er geschäftsführend und inhaltlich gestaltend verantwortlich für die Entwicklung, Begleitung und Koordination von Angeboten und Projekten im Rahmen des gesamten Reformationsgedenkens.
  • Außerdem ist er ressortbezogen publizistisch tätig und für Fragen der Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
  • Ferner vertritt er in den das Reformationsjubiläum betreffenden Angelegenheiten die Landeskirche gegenüber der EKD, der Ökumene, der Politik, dem Kulturbetrieb und den verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen und Gruppierungen.
  • Zuvor war Brjanzew Dekan des Kirchenbezirks Karlsruhe-Land. (BILD: Privat)

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