Vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, dampfte die erste Eisenbahn durch deutsche Lande. Mit der Lokomotive "Adler'" an der Spitze rollte die Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth.
Es war kalt an diesem Montagmorgen in Nürnberg. Trotzdem war in der Stadt alles auf den Beinen, was laufen konnte. Noch in der Dunkelheit machen sich die Leute auf den Weg, zu Pferd, in der Kutsche, zu Fuß, um das Ereignis mitzuerleben. Morgens um 9 Uhr sollte ein Dampfwagen an der Spitze eines Zuges von Nürnberg nach Fürth rollen.
Alle wollten sie dabei sein, vom Tagelöhner bis zu den Aktionären der Privatbahn sowie zahlreiche Ehrengäste aus nah und fern. Nur ein Repräsentant des bayerischen Königshauses fehlte. Ludwig I. war wohl etwas verschnupft, dass ihn die Nürnberger mitten im Winter ins Freie locken wollten. Außerdem galt die Vorliebe des Monarchen damals eher dem Bau des Main-Donau-Kanals als der Eisenbahn.
Teures Bahnprojekt
Dabei war der Anlass in Nürnberg von epochaler Bedeutung: Mit der legendären Fahrt der "Locomotif" Adler und ihren neun Wagen für etwa 200 Fahrgäste über 6,05 Kilometer auf fast schnurgerader Strecke - entsprechende Achsen-Technik und Drehgestelle an der Lok für enge Kurven gab es damals noch nicht - begann vor 175 Jahren mit der Ludwigsbahn die Erfolgsgeschichte der Eisenbahn auch in Deutschland. Um das nötige Kapital von 170 000 Gulden aufbringen zu können, gründeten Kaufleute und Politiker im Mai 1833 eine Aktiengesellschaft. Wie auch bei heutigen Bahnprojekten - siehe Stuttgart 21 - wurde es dann doch teurer. Am Ende kostete Nürnberg-Fürth mit Strecke, Waggons und Lok 200 000 Gulden.
Ursprünglich hatte die Jungfernfahrt schon am 25. August 1835 stattfinden sollen, am Geburtstag des Königs, dessen Name die Ludwigsbahn trug. Doch Auslieferung und Zusammenbau der Lokomotive aus der Fabrik des Eisenbahnpioniers Robert Stephenson aus Newcastle upon Tyne verzögerten sich. In 19 Kisten waren 100 Einzelteile per Schiff und Pferdefuhrwerk in Nürnberg angekommen.
In Großbritannien stand die Wiege der Eisenbahn. Im Februar 1804 fuhr der erste mit Dampfkraft bewegte Zug der Welt auf der Hüttenwerksbahn von Merthyr Tydfil in Süd-Wales. Die Lok, eine Art Dampfmaschine auf Rädern, hatte Richard Trevithick gebaut. 1825 fuhr von Stockton nach Darlington der erste Dampfzug, der auch für die Personenbeförderung eingerichtet war. Am 15. September 1830 wurde die erste Eisenbahnstrecke von Liverpool nach Manchester eingeweiht, die bereits modernen Kriterien genügte: Lokomotivbetrieb, Personen- und Güterverkehr, zweigleisige Trasse, Bahnhöfe mit Ausweich- und Rangiergleisen, Tunnel, Viadukte - und einem Fahrplan. Der Zug schaffte die 26 englischen Meilen in elf Stunden. Das Eisenbahn-Fieber, die Railway Mania, schwappte hinüber auf den Kontinent, aber auch über den großen Teich in die USA. Während in den Vereinigten Staaten, aber auch Frankreich und Belgien die Züge rollten, beklagte der Westfälische Fabrikant und spätere Landtagsabgeordnete Friedrich Harkort noch 1833 die "deutsche Schlafmützigkeit". Zu gerne hätte er eine Eisenbahn zwischen Köln und Minden gebaut, doch zwischen Rhein und Weser wurde das erste Teilstück erst zwölf Jahre später fertiggestellt.
Also gebührt der Ruhm Nürnberg-Fürth und dem "Adler" mit der Fabriknummer 118 aus der englischen Lokomotivenfabrik. Die Lok, sechs Tonnen schwer, etwas über sieben Meter lang, entwickelte ungefähr 40 Pferdestärken und soll bei der Eröffnungsfahrt 40 km/h gefahren sein. Aus Sicherheitsgründen wurde im Alltagsverkehr die Geschwindigkeit später jedoch auf 30 km/h reduziert.
Nachdem eine Gedenktafel mit der Inschrift "Deutschlands erste Eisenbahn mit Dampfkraft 1835" enthüllt worden war, setzte sich das Dampfross in Bewegung. Auf der offenen Plattform standen Lokomotivführer William Wilson, der zusammen mit der Stephenson-Maschine aus Newcastle importiert worden war und auch den Zusammenbau überwacht hatte, sowie Heizer Johann Georg Hieronymus aus Nürnberg.
Lokführer mit hohem Gehalt
Neun Minuten später war alles vorbei, der Zug erreichte die Endstation in Fürth. Wilson war der Held des Tages. Gern blieb er in Nürnberg, der Liebe wegen, so heißt es. Aber es war auch das Geld, Stephenson hatte ihn so gut wie mittellos nach Deutschland entsandt, und hier verdiente er als Lokführer ein stattliches Gehalt. Der Schotte aus Aberdeen sollte für seine Dienste, die außer dem Fahrdienst auch die Reparatur und Wartung des rollenden Materials sowie die Ausbildung künftigen Personals umfassten, ein Jahressalär von 1500 Gulden bekommen. Zum Vergleich: der erste Direktor der Ludwigseisenbahn, Johannes Scharrer, verdiente damals 1200 Gulden; Wilsons Assistent Hieronymus immerhin 400 Gulden; die Tagelöhner, die 1835 beim Gleisbau eingesetzt waren, bekamen je nach Qualifikation einen halben bis eineinhalb Gulden täglich. Dabei musste Wilson in den kommenden Monaten nur zweimal täglich auf seine Lok steigen. Denn ab 8. Februar 1835 fuhr die Ludwigsbahn nun stündlich - jedoch meist als pferdebespannter Zug von Nürnberg nach Fürth. Nur um 13 und 14 Uhr zog der Adler die Wagen. Steinkohle zum Heizen, aus Sachsen importiert, war eben teuer. Erst 1863 wurde der Pferdebetrieb endgültig aufgegeben.
Trotzdem, mit der ersten Fahrt vor 175 Jahren war der Siegeszug der Eisenbahn auch in Deutschland nicht mehr aufzuhalten. Bald kamen die ersten Lokomotiven aus deutschen Landen. Borsig in Berlin, Maffei in München und Emil Kessler in Karlsruhe entwickelten bereits 1841 leistungsfähige Loks. So lief bis 1850 "Made in Germany" den Lokomotiven der Engländer und der Amerikaner den Rang ab. Als Initialzündung dafür gilt auch der wirtschaftliche Erfolg der Bahnstrecke im Ballungsraum Nürnberg, Fürth und Erlangen, auf der nicht nur Personen, sondern gleich zu Beginn auch Güter wie Zeitungen und Bier befördert wurden. Wenn das König Ludwig geahnt hätte, wäre er sicher am 7. Dezember 1835 zur Einweihung gekommen. Sein Main-Donau-Kanal wurde erst 157 Jahre später, 1992, in Betrieb genommen.
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