Geschichte - Die Ausrufung der Zweiten Französischen Republik entfachte auch in Baden den Ruf nach demokratischen Rechten – aber nach einer Verhaftungswelle brach der Widerstand zusammen

Mannheim – Keimzelle der 1848er Revolution

Von 
Wilhelm Kreutz
Lesedauer: 
Die Mannheimer Bürger verteidigten sich während der Revolution 1848 gegen die „fremden“ Soldaten. Hier eine Barrikade an der Rheinbrücke. © dpa

Vor 170 Jahren versammelten sich in der Kurpfalz rund 2500 Bürger, die in einer Petition vom badischen Landtag unter anderem die Pressefreiheit und außerdem ein deutsches Parlament forderten.

Am Abend des 27. Februars 1848 strömten Mannheims Einwohner in die Aula des Vereinigten Großherzoglichen Lyceums. Eine länger geplante Bürgerversammlung hatte über Nacht politische Brisanz gewonnen: Am Vorabend waren die ersten Meldungen über den Ausbruch der Pariser Februarrevolution in Mannheim angekommen, und die Morgenzeitungen hatten die Abdankung des Bürgerkönigs Louis Philippe sowie die Ausrufung der Zweiten Französischen Republik bestätigt.

Es verwundert daher nicht, dass sich im größten Saal der Stadt 2500 Bürger, mehr als zehn Prozent der Stadtbevölkerung, um die Oppositionsmänner drängten, allen voran Friedrich Daniel Bassermann, Karl Mathy, Wilhelm Sachs, Alexander von Soiron und Adam von Itzstein.

Nach deren teilweise hitzigen Reden beschlossen die Versammelten, dem badischen Landtag eine Petition mit „vier Forderungen des Volkes“ zu übermitteln, die den Kern der „Märzforderungen“ bildeten: Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere, unbedingte Pressefreiheit, Schwurgerichte nach dem Vorbild Englands und die sofortige Herstellung eines deutschen Parlaments.

„Das war ’ne heiße Märzenzeit …“

Am 1. März brachte die Eisenbahn 600 Mannheimer nach Karlsruhe, die die von Gustav Struve formulierte Petition Friedrich Hecker übergaben, der sie an den Kammerpräsidenten weiterleitete. Den am 4. März folgenden umfangreicheren Forderungskatalog versprach Großherzog Leopold zu erfüllen. Nur einen Tag später diskutierten in Heidelberg 51 süddeutsche Parlamentarier – darunter zehn Mannheimer – über die Pläne zu einer Nationalversammlung und bildeten aus eigener Vollmacht einen Siebener-Ausschuss, der die Einberufung eines „Vorparlaments“ vorbereiten sollte.

Doch die Regierung geriet nicht nur durch die Fakten schaffende Opposition unter Druck, sondern auch durch die im März im Odenwald, im Bauland und im Kraichgau aufflammenden Unruhen der Bauern, die sich gegen die Rentämter der adligen Grundherren, aber auch gegen die jüdische Bevölkerung richteten.

In dieser Zwangslage kündigte Großherzog Leopold am 15. März nicht nur die Beseitigung aller noch bestehenden Feudalrechte an, sondern genehmigte zudem die Einrichtung von Bürgerwehren. Doch über die Frage, wer jetzt bewaffnet werden sollte – die „Vollbürger“ der Oberschicht oder alle wehrtauglichen Männer –, kam es zum offenen Streit zwischen Gemäßigten und Radikalen: Noch bevor die 2000 Mann starke offizielle Bürgerwehr am 16. März in Mannheim ihren Dienst aufnahm, war bereits ein 500 Mann zählendes Freikorps, unter Führung Franz Sigels, entstanden, das sich der Kontrolle der Behörden entzog. Die wachsenden politischen Differenzen prägten auch die Volksversammlung vom 19. März in Offenburg, wo Struve und Hecker unter dem Jubel der Anwesenden sich nachdrücklich für eine deutsche Republik einsetzten.

Mittlerweile hatten der preußische König und der österreichische Kaiser nach tagelangen blutigen Kämpfen reformbereite „Märzministerien“ berufen und der Bundestag seinen Widerstand gegen Wahlen zu einer Nationalversammlung aufgegeben. Vom 30. März bis zum 2. April bereitete das „Vorparlament“, zu dem Parlamentarier aus allen deutschen Bundesstaaten nach Frankfurt gekommen waren, die reichsweiten Wahlen vor und setzte als provisorisches Exekutivorgan einen „Fünfzigerausschuss“ ein, dem Alexander von Soiron vorstand.

Dass die in Frankfurt Versammelten weder Hecker noch Struve in die 50-köpfige Kommission wählten, bestärkte nicht nur diese in der Auffassung, damit seien bereits die Weichen für eine konstitutionelle Monarchie gestellt. Umso lauter regte sich der Unmut der Radikalen in Mannheim und im Seekreis um Konstanz, zumal aus der Schweiz und Frankreich Handwerkergesellen heranrückten, um die deutsche Revolution zu unterstützen. Das Fass zum Überlaufen brachte die Verhaftung des Redakteurs der „Seeblätter“, Josef Fickler, den Karl Mathy am 8. April auf dem Karlsruher Bahnhof abführen ließ. Am 11. April kamen Hecker, Struve und Sigel nach Konstanz, um einen Tag später zum „Heckerzug“ aufzubrechen. Um der Unruhe in Mannheim Herr zu werden, verlegte der Großherzog ein Bataillon seines Leibregiments und ein nassauisches Infanterieregiment in die Quadratestadt, zog die badischen Truppen aber am 22. April wieder ab, da er sie gegen Hecker einsetzen wollte.

Die Provokationen und Reibereien zwischen Einheimischen und „fremden“ Soldaten wuchsen täglich. Es gab Tote und Verletzte. Anfang Mai standen den rund 24 000 Einwohnern 8000 Soldaten gegenüber. Nach der Verhaftung der Radikalen, dem Verbot ihrer Zeitungen und der Verhängung des Kriegsrechts war an weiteren Widerstand nicht mehr zu denken.

Dennoch wählten die Bürger des Wahlkreises Mannheim-Ladenburg-Schwetzingen den republikanischen Mannheimer Tabakhändler Wilhelm Sachs in das erste gesamtdeutsche Parlament. Er fehlte aber am 18. Mai bei der feierlichen Eröffnung der Verfassungsgebenden Nationalversammlung in der Paulskirche, auf der nun die politischen Hoffnungen aller Deutschen ruhten.

Wilhelm Kreutz



  • Wilhelm Kreutz wurde am 11. Mai 1950 im pfälzischen Beindersheim geboren. Kreutz studierte an der Universität Mannheim Geschichte und Politikwissenschaft. Promotion (1982) und Habilitation (1992) erfolgten ebenfalls in Mannheim.
  • Seit 1992 Privatdozent, seit 2014 außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim.
  • Zu seinen Schwerpunkten gehören der Vormärz und die Revolution von 1848. (was)

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen