"Länger ohne Bildschirm"

Von 
Anne Kathrin Doerr
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Herr Lankau, wie beurteilen Sie den Einsatz digitaler Medien in der Kindertagesstätte?

Ralf Lankau: In der Kita haben digitale Medien in der pädagogischen Arbeit nichts verloren. In diesem Alter müssen Kinder die Welt im Wortsinn erst begreifen, also sinnlich erleben, anfassen, fühlen und schmecken, bevor sie zwischen Welt und medialer Darstellung unterscheiden lernen.

Das eine schließt das andere ja nicht zwingend aus. Welche Befürchtungen haben sie denn konkret?

Lankau: Es sind weniger Befürchtungen als vielmehr entwicklungspsychologische und pädagogische Überlegungen. Kein Kind braucht Bildschirmmedien, sondern Zuwendung und die Möglichkeit, seine Umgebung zu erkunden. Zeit am Display oder Touchscreen fehlt den Kindern für kindgerechte Formen des Spielens, Lernens und Experimentierens.

Ab wann halten Sie den Einsatz für sinnvoll?

Lankau: Die ersten drei Jahre sollten komplett bildschirmfrei sein -und je länger diese bildschirmmedienfreie Zeit dauert, umso besser. In der Grundschule sollten generell keine Bildschirmmedien eingesetzt werden.

Das Argument für einen frühen Einsatz lautet meist, dass die Kinder in ihrer Lebenswelt ohnehin mit digitalen Medien konfrontiert werden und sie somit eine Anleitung benötigen. Wie beurteilen Sie diesen Einwand?

Lankau: Das sind Scheinargumente. Schule muss nicht alles spiegeln, was in den Lebenswelten außerhalb der Schule zu finden ist. Sonst könnte man auch die ganze Zeit den Fernseher im Unterricht laufen lassen oder in der Schule Alkohol ausschenken. Schule schafft einen besonderen sozialen Raum außerhalb der Familie und "normalen" Lebensumwelt, in dem von und miteinander gelernt werden kann und soll. Es gibt nach wie vor keine wissenschaftlich validen Studien, ob digitale Medien das Lernen verbessern können.

Aber sollte man nicht so früh wie möglich anfangen, den richtigen Umgang mit Medien zu vermitteln?

Lankau: Es gibt definitiv weder Nachholbedarf noch Defizite, was die Bedienung und Benutzung der Geräte angeht. Die Frage ist eine ganz andere. Ab welchem Alter können Kinder selbstverantwortlich und selbstbestimmt mit Medien umgehen? Wann sind sie in der Lage, über ihr Tun und ihre Medienrezeption zu reflektieren? Die definitiv einzige Nutznießer bei den derzeit konzipierten Projekten sind - wieder einmal - ausschließlich die Anbieter von Hard- und Software. akd

Ralf Lankau

Ralf Lankau unterrichtet als promovierter Kunstpädagoge Gestaltungstechniken mit analogen und digitalen Werkzeugen, seit 2002 als Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg.

Im Buch "Kein Mensch lernt digital", setzt er sich kritisch mit digitalen Medien im Unterricht auseinander. akd Bild: Curticapean

Volontariat Anne Kathrin Doerr ist seit Dezember 2015 Volontärin beim "Mannheimer Morgen". Während ihres Studiums der Germanistik, Sozialkunde und Bildungswissenschaften (Staatsexamen) an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und unmittelbar im Anschluss daran arbeitete sie unter anderem bei der Kindernachrichtensendung logo! (ZDF), der Tageszeitung "Die Rheinpfalz", der "Pirmasenser Zeitung" sowie dem Gastromagazin "Espresso" und engagierte sich bei Campusradio Mainz. Als Autorin schrieb sie das "LEO Pfälzer Hüttenbuch", das im März 2016 bei der Pfälzischen Verlagsanstalt erschienen ist. Ein Auszug daraus wurde in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Die Pfalz" gedruckt.

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