Das Israel Museum in Jerusalem zeigt eine Ausstellung über Herodes. Kuratoren haben dazu 30 Tonnen antiker Funde aus dem Westjordanland herbeigeschafft und sich damit eine Kontroverse ins Haus geholt.
Der Aufstieg durch das Tunnellabyrinth im Inneren des Berges verlangt sportliche Kondition. Die steilen, in Stein gehauenen Stufen, die von den unterirdischen, mehr als 2000 Jahre alten Zisternen hoch ans Tageslicht führen, bringen jeden ins Keuchen. Aber oben auf dem Bergplateau lauscht man in flirrende Stille. Pure Entspannung für vom Jerusalemer Verkehrslärm gestresste Ohren. Am Hang zwischen dem Geröll knabbert eine Schafherde am frisch sprießenden Gras. Fast fühlt sich man in biblische Zeiten zurückversetzt. Ganz im Hier und Jetzt ist nur der palästinensische Schäfer, der den Touristen keck zuruft, umsonst lasse er sich nicht fotografieren.
Zeitlos ist dagegen der grandiose Blick vom Herodion, einer von israelischen Archäologen freigelegten Ausgrabungsstätte. In der Ferne ist bei klarer Sicht die massive jordanische Felsenkette auszumachen, die hinter dem bläulich schimmernden Toten Meer aufragt. König Herodes, der hier auf dem frei stehenden, von einem lauen Lüftchen umwehten Berg vor mehr als 2000 Jahren seinen Sommerpalast errichten ließ, hatte Sinn für spezielle Orte. Hier genoss der ungeliebte, da vom Römischen Senat ernannte König der Juden seine Distanz zum heiligen Jerusalem und zum niederen Volk. Hier lebte er seine Extravaganz aus. Wenn man durch die Ruinen des Palastrondells wandelt, kann man sich das Hofleben im Herodion, die königlichen Partys auf dem Säulenplatz, die Darbietungen im Amphitheater noch heute vorstellen.
Das fällt besonders leicht, wenn man zuvor im Israel Museum in Jerusalem war, wo gerade eine einzigartige Ausstellung zu Herodes zu besichtigen ist. Es ist ein weltweit erstmaliges Unterfangen, sich mit jenem König näher zu befassen, der sowohl unter den Juden als unter den Christen einen denkbar schlechten Ruf genießt. Kontrovers ist die bis in den Oktober geöffnete Jerusalemer Ausstellung allerdings nicht wegen der geschichtsträchtigen Person, sondern wegen der gegenwärtigen Politik.
30 Tonnen archäologischer Funde, darunter Fresken, Keramiken, Säulen, aber vor allem der wieder zusammengesetzte Sarkophag, der mutmaßlich einst die Gebeine von Herodes barg, bis jüdische Rebellen ihn zertrümmerten, wurden eigens angeliefert. Das allermeiste stammt aus besetzten Teilen des Westjordanlandes, aus Jericho und vom Herodion, das südöstlich von Bethlehem liegt. Nach internationalem Gesetz ist das nicht gerade koscher. Auch wenn Israel laut den Osloer Abkommen die Oberaufsicht über antike Stätten in der Westbank bis zum Abschluss eines Friedensvertrages genießt.
Kunst trifft auf Politik
Museumskurator David Mevorah mag davon nicht gerne hören. Es gehe doch um Historie, um Kultur, um Kunst. "Unser Thema ist nicht die Politik", sagt er genervt. Mevorah, der um den Hals einen vielfach geschlungenen Künstlerschal trägt, ist ein Feingeist. Beinahe tut es den Journalisten leid, ihn mit unliebsamen Fragen zu behelligen. Schließlich haben er und viele andere Hände, wie Mevorah betont, "eine enorme Arbeit in die Rekonstruktion des kulturellen Erbes gesteckt". Mühen wurden tatsächlich nicht gescheut. Um den mächtigen Herodes-Sarkophag samt Säulenkranz im Museum aufzustellen, musste das Bodenfundament verstärkt werden. Der Sarg aus rötlichem Gestein, den der israelische Archäologieprofessor Ehud Netzer 2007 bei Ausgrabungen auf der Nordseite des Herodion entdeckte, ist das Prunkstück der Ausstellung. Nicht umsonst heißt sie "Die letzte Reise des Königs".
Höchst anschaulich bringt das Israel Museum den Besuchern nahe, wie die Leiche Herodes von Jericho, wo er den Überlieferungen zufolge im Alter von 69 Jahren nach schauderhaften Todesqualen starb, in einer Prozession zum Herodion überführt wurde. Seine Grabesstätte in einem 25 Meter hohen Mausoleum hatte er selber entworfen und sich damit ein Monument gesetzt. Zugleich war Herodes ein Mann der Innovation. Die Herodes-Ausstellung deckt auch diese Seite des tyrannischen Königs auf. Er führt die Badewanne ein, importierte Schiffsladungen mit Äpfeln, Fischsoße, Marmor und Wein aus Europa und war dazu ein architektonisches Genie.
Israelische Museumskuratoren verstehen sich besser als viele andere darauf, Geschichte lebendig werden zu lassen. Aber rechtfertigt das, antike Scherben und Schätze aus Gebieten abzuschleppen, die Israel zwar kontrolliert, aber die nicht zum israelischen Staatsgebiet gehören? Nicht nur palästinensische Archäologen sagen nein. Ein Artikel, der 1999 der internationalen Konvention zu Kriegs- und Konfliktzonen hinzugefügt wurde, legt fest, dass weder Kunstgegenstände noch Artefakte von besetztem Boden entfernt werden dürfen. Auch Israel hat diese, auf das Jahr 1954 zurückgehende Konvention unterzeichnet, allerdings war sie damals allgemeiner gehalten.
"In legaler Hinsicht gibt es nicht viel zu deuteln", findet jedenfalls Jonathan Misrahi. "Mit internationalem Recht ist die Herodes-Ausstellung schwer vereinbar." Misrahi, ein unkonventioneller Lockenkopf in Jeans und Boots, hat selber früher für die israelische Altertumsbehörde gearbeitet. Bis er 2007 Emek Shaveh gründete, eine Organisation kritischer Archäologen, die sich auf die Problematik von Ausgrabungen in Ost-Jerusalem und der Westbank konzentrieren. Israel unterhält inzwischen sechs archäologische Nationalparks auf besetztem Gebiet, ein Projekt, das die Regierung Benjamin Netanjahu fördert. Alle zusammen konzentrieren sich auf "das jüdische kulturelle Erbe in Judäa und Samaria".
Misrahi sagt, dass fast ausschließlich nach Hinweisen auf frühzeitliche Synagogen und andere jüdische Hinterlassenschaften geschürft werde. "Im Endeffekt dienen solche Stätten den Siedlern, um ihre Ansprüche auf das Land zu stärken." Dass ausgerechnet das unter Wissenschaftlern renommierte Israel Museum dieses Dilemma nicht zur Kenntnis nimmt, regt Misrahi auf. Für ihn wäre es "eher akzeptabel, wenn die Kuratoren wenigstens zugeben würden, dass die Herodes-Ausstellung eine umstrittene Sache ist." Zumal es im israelisch-palästinensischen Konflikt Schlimmeres gibt als den Streit um Altertümer.
Anders als im Falle zerstörter Häuser oder gefällter Olivenbäume geht bei Israels Grabungsarbeiten im Westjordanland nichts zu Bruch. Vieles wurde entdeckt und restauriert, was sonst weiter verfallen würde. Eine mühselige, mitunter riskante Arbeit. Ehud Netzer bezahlte seine passionierte Suche nach dem Königsgrab von Herodes am Ende gar mit seinem eigenen Tod. Er stürzte vor drei Jahren auf dem Herodion ab, just als die ersten antiken Trümmer verladen werden sollten.
Zumindest Museumskurator Mevorah ist überzeugt, dass man mit der Rettung der Herodion-Ruine der Menschheit einen Dienst erwiesen habe. Alle Welt könne jetzt eine unschätzbare Sammlung bestaunen. Das Museum erhebe keine Besitzansprüche. "Irgendwann", verkündet Mevorah, "können wir hoffentlich die Funde an ihre Originalstätte zurückbringen". Vorausgesetzt, dort sei für angemessene Aufbewahrung gesorgt. Ganz ähnlich wird in europäischen Museen argumentiert. In Berlin geht es dabei um eine eventuelle Rückgabe der Nofretete an Kairo oder in London um in der Kolonialzeit geraubte Buddha-Statuen, die Indien gerne wieder hätte.
Verhandlung um Funde
"Aber Israel vermeidet selbst die Diskussion, wem die Funde auf besetztem Gebiet gehören", klagt Misrahi. Das stimmt nicht ganz. Auf eigene Initiative haben kritische israelische und palästinensische Archäologen 2004 ein inoffizielles Statut vereinbart. "Punkt eins besagt", weiß Nasmi Jubeh, Historiker der Birzeit-Universität bei Ramallah, "dass alle aus der Westbank stammenden Stücke zurückgegeben werden müssen". Manches ließe sich auch über Leihgaben regeln. Nur, sagt Jubeh selbstbewusst, "das müssen künftig die beiden Staaten aushandeln, Israel kann das nicht einfach für sich entscheiden."
Israelische und palästinensische Antikenhändler kooperieren da effizienter, wenngleich in der legalen Grauzone. Die Läden im Suk der Jerusalemer Altstadt sind gut gefüllt mit vorzeitlichen Münzen, Mosaiken, Ornamenten und Vasen. Woran es mangele, glaubt Jubeh, ein Palästinenser, der in Tübingen studiert und nebenbei schwäbische Gründlichkeit schätzen gelernt hat, sei ein archäologischer Schutzplan, um das alles wissenschaftlich aufzuarbeiten. "Sonst machen weitere Ausgrabungen keinen Sinn."
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