Kosovo: Auch fast zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung müssen internationale Truppen den brüchigen Frieden zwischen Albanern und Serben absichern

Im Armenhaus des Balkans fühlen sich Serben nicht wohl

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Das Kosovo ist unabhängig - aber bettelarm. Nur die internationale Hilfe hält die Republik am Leben. Während die albanische Mehrheit von besseren Zeiten träumt, sehnt sich die serbische Minderheit nach der Vergangenheit zurück und hat mit finanzieller Unterstützung von Belgrad de facto einen Parallelstaat errichtet.

Walter Serif

Überall nur Tankstellen! Groß sind sie, modern und nagelneu. Seltsam. Immerhin sind wir im Kosovo, einem der ärmsten Länder Europas. Wo kommen nur alle diese Zapfsäulen her? Schon bei der Einreise über die mazedonische Grenze gibt dieses Land Rätsel auf. Die merkwürdige Geschichte klärt sich allerdings schnell auf: Zumindest hinter vorgehaltener Hand kann man von den internationalen Organisationen hören, dass die Tankstellen in Wirklichkeit Geldwaschanlagen sind. Eine plausible Erklärung, immerhin ist das Kosovo ein Mekka für die organisierte Kriminalität.

Rund 40 Prozent des afghanischen Opiums wird durch die kleine Balkanrepublik geschleust. Viele Menschen verdienen sich an diesem Geschäft eine goldene Nase. Nur, wer mehr als 10 000 Euro im Kosovo auf der Bank anlegen will, muss die Herkunft des Geldes deklarieren. Deshalb bietet sich für die Kriminellen der Einstieg ins Tankstellengewerbe zur Tarnung geradezu an. Jedenfalls sind die Kosovaren erfinderischer, als es uns Vizepremier Hajredin Kuci weismachen will. "Geldwäsche? Wie kommen Sie darauf? Wahrscheinlich mangelt es den Menschen nur an den Ideen", sagt er. Nach dem Motto, lieber Tankstellenpächter als Wirt.

Es gibt aber nicht nur (Tankstellen)-Geldwaschanlagen im Kosovo. In der Hauptstadt Pristina ist ein Bauboom ausgebrochen. Kolonnen von Arbeitern spucken kräftig in die Hände und steigern so das Bruttosozialprodukt. Oder auch nicht, denn wie in vielen Balkan-Ländern gibt es oft mehr Leute als Arbeit. Deswegen ist das Tempo nicht immer mörderisch, mancher Kosovo-Albaner bewegt seine Schaufel kaum. Insgesamt hat der Wildwuchs merkwürdige Züge angenommen. Einen Schönheitspreis dürfte die Kapitale mit ihren vielen hässlichen Flecken kaum gewinnen. Außerdem bringt das Verkehrschaos die Hauptstädter zur Verzweiflung. Man gewinnt leicht den Eindruck, als gäbe es hier mehr Autos als Menschen.

Der Bauboom hat nichts daran geändert, dass die ökonomische Lage im Kosovo auch fast zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung alle Wünsche offen lässt. "Die Wirtschaft läuft nicht rund, auch weil der Reformprozess stagniert", bilanziert Pieter Feith, der EU-Sondergesandte. Obwohl die internationalen Organisationen viele Millionen Euro ins Land pumpen, ist der Lebensstandard bescheiden. "Zum Glück schicken viele Kosovaren aus dem Ausland Geld nach Hause, sonst wäre alles noch schlimmer", sagt die 18-jährige Dolmetscherin Zana Behra. "Die Hälfte der jungen Männer ist arbeitslos, sitzt in den Cafés herum oder fährt Auto." Aufbruchstimmung hört sich anders an.

Korruption und Kriminalität

Korruption und Kriminalität lähmen zusätzlich die Entwicklung. Wer den Kampf gegen das Verbrechen aufnehmen will, lebt deshalb gefährlich. Wie zum Beispiel die Fernsehjournalistin Jeta Xharra. In einer TV-Sendung hatte sie über dubiose Geschäfte in einer Gemeinde berichtet. Darüber war der Bürgermeister so erbost, dass er die ihm nahestehende Zeitung einschaltete. Diese rief offen zu Gewalt gegen die Journalistin auf. "Mein Kamerateam ist in zwei Jahren mehrfach angegriffen worden", sagt sie traurig. Sie hat Angst, aber aufgeben will die tapfere Frau dennoch nicht. Ihr Traum: dass sich das Kosovo zu einem Rechtsstaat entwickelt.

Aber das wird schwierig. "Die Politiker sitzen jetzt zwar am Steuer, aber so richtig kommen sie mit dem Verkehr nicht zurecht", erklärt EU-Sondergesandter Feith. Dabei hatten sie viel Zeit, sich auf die Übernahme von mehr Verantwortung einzustellen, denn seit dem Ende des Kriegs 1999 steht das Kosovo unter internationaler Kontrolle - sowohl zivil als auch militärisch.

Rund 14 000 Mann stark ist die militärische Präsenz, sie soll allerdings bis Ende Januar um 4000 Soldaten abgebaut werden. Der Grund: Die Sicherheitslage auf dem Balkan hat sich deutlich verbessert. KFOR-Kommandant Markus Bentler: "Von außen droht keine Gefahr mehr."

Damit meint er, dass Belgrad seine territorialen Ansprüche aufs Kosovo zwar nicht aufgegeben hat, aber keine Lust mehr verspürt, sich wie noch unter Serben-Führer Slobodan Milosevic mit der internationalen Gemeinschaft anzulegen. Veränderte Welt: Erst überzogen die Serben den Balkan mir mehreren Kriegen, die hunderttausende Menschen das Leben kosteten. Und jetzt muss man sie als Minderheit im Kosovo schützen - vor den Albanern. "Wenn nur ein Kloster brennt, ist hier die Hölle los", nennt KFOR-Kommandant Bentler das Horrorszenario, dessen Eintreten "uns um Jahre zurückwerfen würde". Die Serben pflegen nicht nur ihr Image als unterdrückte Minderheit. Sie verweigern sich der Wirklichkeit und tun so, als lebten sie in einem eigenen, unabhängigen Staat. Wie zum Beispiel Wladislaw Lasarevic. Der 44-Jährige wohnt im serbischen Teil Mitrovicas. "Das hier ist Serbien", sagt er trotzig. Äußerlich sieht es fast so aus. Die Autos haben serbische Kennzeichen, keine einzige albanische Fahne ist zu sehen, und in den Geschäften zahlt Lasarevic mit serbischen Dinars. "Wir haben unsere eigene Polizei, die Bürgermeister sind natürlich auch Serben", umreißt er die Strukturen im serbischen Parallelstaat. Belgrad unterstützt seine Landsleute zwar mit viel Geld, aber ironischerweise arbeitet Lasarevic in einer Großbäckerei, die mit EU-Geldern gefördert wird.

Mitrovica ist de facto geteilt. Die Stadt mit ihren 115 000 Einwohnern braucht nicht einmal eine Mauer - der Fluss Ibar bildet die Grenze zwischen dem südlichen Teil, wo rund

95 000 Kosovo-Albaner leben, und dem Norden, wo die Serben mit knapp 20 000 die große Mehrheit bilden. Kaum jemand überquert in dieser Stadt die Brücken, selbst die UN-Verwaltung hat sich damit abgefunden, dass Albaner und Serben in Mitrovica nicht mehr zusammenleben wollen. Bei der Kommunalwahl im November

gab es nur im albanischen Teil vier Wahllokale - im serbischen Viertel wurde der Urnengang wegen der Sicherheitslage abgesagt. Kein Wunder, 2004 wäre es beinahe zum großen Knall gekommen - die KFOR-Schutztruppe verhinderte damals ein Blutbad zwischen den verfeindeten Nationalitäten.

Auch die 13-jährigen Mädchen Diana und Kaca würden nie das Albaner-Viertel im Süden der Stadt besuchen. "Wir haben dort sowieso keine Freunde", sagen die Mädchen. "Einen Albaner würden wir nie heiraten", sagen Diana und Kaca. Dass die Serben auf dem Balkan viel Unheil angerichtet haben - davon wissen die Mädchen nichts. Sie kennen nicht einmal Milosevic. Sie wissen aber, dass die NATO 1999 Belgrad bombardiert hat. Irgendwann werden sie ihren Kindern erzählen: Damals haben uns die Albaner überfallen. So werden in der serbischen Propaganda aus den Tätern im Laufe der Zeit Opfer.

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