In Bezug auf das misslungene Attentat vom 20. Juli 1944 sind noch viele Fragen offen. Zum 75. Jahrestag ist nun eine neue Debatte über die Motivation der Hauptakteure entbrannt.
Demokraten im heutigen Sinne findet man nur sehr wenige unter den Männern und Frauen, die im Widerstand gegen Adolf Hitler ihr Leben riskiert haben. Vor allem in bürgerlichen Kreisen, im Adel und unter den Offizieren der Reichswehr gab es viele, die mit den Angehörigend des Widerstands zunächst auch Hoffnungen verbanden – etwa mit Blick auf die Überwindung des ungeliebten Vertrags von Versailles. Der Friedensvertrag, der nach dem Ersten Weltkrieg zwischen den Siegern Frankreich, USA, Großbritannien und Italien sowie dem besiegten Deutschen Reich geschlossen wurde.
Darüber, ob die Mitglieder des militärischen Widerstandes heute trotzdem zum Vorbild taugen oder nicht, ist jetzt – 75 Jahre nach dem misslungenen Attentat im Führerhauptquartier Wolfsschanze – eine neue Debatte entbrannt. Befeuert wird dieser Streit von mehreren neuen Publikationen, die sich vor allem mit der Motivation von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auseinandersetzen, dem Oberst, der am 20. Juli 1944 einen Sprengsatz zündete, um Hitler zu töten. Ging es Stauffenberg darum, eine bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht gegenüber den Alliierten zu verhindern oder gar um die eigene heroische Tat? Handelte er, der als ranghoher Militär viel wissen musste über die Verbrechen des Regimes, aus religiöser Überzeugung und Verantwortungsgefühl?
Nur leichte Verletzungen
Klar ist: An jenem 20. Juli sollte Hitler durch eine Bombe sterben. Bei dem 36 Jahre alten Stabschef des Heeres-amtes liefen die Fäden zum Sturz des Reichskanzlers zusammen. Nach Hitlers Ermordung wollte von Stauffenberg die Macht ergreifen und mit den Westalliierten einen Frieden aushandeln. Stauffenberg flog am 20. Juli 1944 von Berlin zum Führerhauptquartier „Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen. In der Baracke, wo die Lage statt wie üblich im Bunker erörtert wurde, stellte er eine Bombe mit Zeitzünder in einer Aktenmappe ab. Er verließ den Raum unter dem Vorwand, telefonieren zu müssen, und flog nach Berlin zurück. Bei der Explosion wurden fünf von 24 Anwesenden getötet, Hitler erlitt nur leichte Verletzungen. Wieder in Berlin und vom Tod Hitlers überzeugt, setzte von Stauffenberg die Operation „Walküre“ in Gang. Am späten Abend wurde klar, dass der Anschlag gescheitert war. Noch in derselben Nacht wurden Stauffenberg, sein Förderer General Friedrich Olbricht und andere Mitverschwörer im Hof des Bendler-blocks in Berlin hingerichtet. Insgesamt fielen rund 200 Mitverschwörer der Nazi-Justiz zum Opfer.
Große Bedeutung für Bundeswehr
Die Gestapo fand bei ihren Ermittlungen heraus, dass die Verschwörer auch Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen außerhalb des Militärs unterhalten hatten. Dennoch setzte sich die von Hitler damals in einer Rundfunkansprache gemachte Behauptung, hinter dem Attentat habe eine „kleine Clique“ von Offizieren gesteckt, in vielen Köpfen fest. Die Verschwörer des 20. Juli wurden vielleicht auch deshalb in den ersten Jahrzehnten nach dem verlorenen Weltkrieg von vielen Deutschen immer noch als „Verräter“ angesehen. Das änderte sich erst allmählich.
Für das Traditionsverständnis der Bundeswehr hat der militärische Widerstand bis heute große Bedeutung. Denn wie Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow und andere Militärs, die dem verbrecherischen NS-Regime den blinden Gehorsam verweigerten, so sollen auch die Soldaten der Bundeswehr als Bürger in Uniform selbst denken und nicht blind Befehlen folgen. Seit 1999 erinnert die Bundeswehr am 20. Juli mit einem Gelöbnis im Bendlerblock – heute einer der Dienstsitze des Verteidigungsministeriums – an den Widerstand der Offiziere gegen Hitler. Ihr Streben nach Frieden und für Menschenrechte soll als Traditionslinie für die Bundeswehr bewahrt werden.
Empörung wegen Vereinnahmung
Knapp zwei Wochen vor dem 75. Jahrestag des Hitler-Attentats lud die Berliner Bertelsmann-Repräsentanz den Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, zum Streitgespräch mit Thomas Karlauf ein. Karlaufs Biografie „Stauffenberg. Porträt eines Attentäters“ hatte zuletzt für einigen Wirbel gesorgt. Tuchel hielt Karlauf, der in seinem Buch den großen Einfluss des im Jahr 1933 verstorbenen Dichters Stefan George auf Stauffenberg betont, entgegen, der spätere Attentäter sei sehr wohl „ein politischer Kopf“ gewesen.
Da die Protagonisten des militärischen Widerstandes hingerichtet wurden und auch aus dem mit ihm verbundenden „Kreisauer Kreis“, der Pläne für eine Nachkriegsordnung erarbeitet hatte, nur wenige überlebten, sind bis heute nicht alle Fragen, die Historiker interessieren, beantwortet. Vor allem die Frage, was die Verschwörer wann über die Vernichtung der Juden in den Konzentrationslagern wussten, und inwieweit sie dieses Wissen bei ihren Überlegungen leitete, ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Regelrecht empört zeigte sich Tuchel bei der Diskussion mit Karlauf über die von ihm beobachtete Vereinnahmung Stauffenbergs durch die AfD und die sogenannte Neue Rechte, die in ihrer Fundamentalopposition gegenüber den etablierten Parteien von „Widerstand“ spricht. Die Thüringer AfD-Landtagsfraktion hatte vor zwei Jahren das Konterfei Stauffenbergs mit dem Spruch „Der echte Antifaschismus hat keine bunten Haare“ veröffentlicht. „Nee, ihr seid nicht im Widerstand. Dies ist etwas anderes als Widerstand in einer totalitären Diktatur“, betonte Tuchel.
Schlechte Besetzung
Ähnlich hatte sich zuvor auch Sophie von Bechtolsheim, eine Enkeltochter Oberst Stauffenbergs, geäußert. Sie hatte im Juni das Buch „Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter“ veröffentlicht. Mit dem Titel will die Autorin ausdrücken, dass es ihrem Vorfahren nicht um die Tat selbst gegangen sei, sondern darum, eine neue Ordnung in Deutschland zu etablieren.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg war als Attentäter jedoch keine ideale Besetzung. Das Hantieren mit dem Zünder war für ihn aufgrund seiner Kriegsverletzung nicht leicht. Er hatte 1943 in Tunesien ein Auge, eine Hand, sowie mehrere Finger der anderen Hand verloren. Dass er derjenige war, der die Bombe zündete, war auch dem Umstand geschuldet, dass sich unter denen, die Zugang zu Hitler hatten, kein anderer fand, der bereit gewesen wäre, das Attentat auszuführen.
Nationalsozialismus
- Als „Nationalsozialismus“ bezeichnete sich eine politische Bewegung, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) entstand. 1933 errichtete sie eine Diktatur. Es gab nur noch eine Partei, die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) unter Adolf Hitler.
- 1939 wurde der Zweite Weltkrieg von Deutschland begonnen. Er dauerte bis 1945.
- Von 1933 bis 1945 wurden Millionen politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Sinti und Roma und vor allem Juden verfolgt und ermordet.
- Insgesamt gab es im Zweiten WeltKrieg mehr als 60 Millionen Tote. (her)
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