Der "Eckrentner" ist ein Phantom, er existiert nur auf Papier. Peter Klein aus Mannheim füllt die statistische Größe mit Leben. Eine Annäherung.
Vor 48 Jahren wird in Deutschland die Mehrwertsteuer eingeführt, und die Notstandsgesetze treten in Kraft. In den USA erreichen die Proteste gegen den Vietnamkrieg ihren Höhepunkt, und der Anführer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King, wird ermordet. Alles verdammt lang her, beinahe ein halbes Jahrhundert. Oder ein Arbeitsleben.
Vor 48 Jahren, am 2. September 1968, betritt Peter Klein zum ersten Mal die Tore der Zellstofffabrik Mannheim, in der seit 1884 Papier hergestellt wird. Er ist 15 Jahre alt und beginnt eine Lehre als Maschinenschlosser. Sein Ausbildungsgehalt beträgt 150 D-Mark. Die Arbeitersiedlung in der Zellstoffkolonie auf dem Waldhof ist sein Zuhause. Vater und Bruder arbeiten auch im Werk. Das Läuten der großen Glocke der Werksfeuerwehr begleitet ihn durch die Kindheit. "Es war wie eine große Familie. Wir waren füreinander da."
Ein Abschied ohne Wehmut
Dieses Gefühl ist längst verschwunden. Noch ein letztes Mal geht der 63-Jährige zum Abschied durch das Drehkreuz des Werks, das inzwischen zu dem schwedischen Hygieneunternehmen SCA gehört. Es ist vorbei. Der 31. Mai 2016 war offiziell sein letzter Arbeitstag. Ab 1. Juli ist er Rentner. Einen Monat muss er überbrücken, sich selbst versichern, um ohne Abschläge in den Ruhestand zu kommen. Klein geht ohne Wehmut. "Am Ende ist es mir nicht schwergefallen. Es hat sich so viel geändert in den letzten Jahren. Es war Zeit."
Seine Erwerbsbiografie ist eine Rarität. Eine einzige Unterbrechung weist sie auf. Nach der dreijährigen Ausbildung muss Klein 15 Monate zum Bundesgrenzschutz. Er kommt damit einer fiktiven Figur, den Statistiker zu Vergleichszwecken aufgestellt haben, sehr nah: dem deutschen Eckrentner. Er ist ein fleißiger, sehr gewissenhafter Mensch. 45 Jahre lang hat er unermüdlich durchgearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt. Weder hat er Elternzeit genommen noch seine Stundenzahl reduziert. Er hat viel Glück gehabt. Niemals war er über einen längeren Zeitraum krank, und auch eine Phase der Arbeitslosigkeit ist ihm erspart geblieben. Im Jahr 2015 lag die Regelsaltersrente für 45 Entgeltpunkte im Westen bei 1175,58 Euro und im Osten bei 1088,83 Euro.
"Mein Mann ist ein Schaffer"
Peter Klein blättert in einem schwarzen Ordner. Ein Leben in unscheinbare DIN-A4-Formate gedrängt: 2091, 59 Euro stehen auf seinem Rentenbescheid. Nach Abzug der Sozialbeiträge und der Pflegeversicherung bleibt ein Betrag von 1868 Euro netto. "Keine schlechte Ausbeute", findet Klein.
"Mein Mann ist ein Schaffer", sagt Ehefrau Elke stolz. Über die Ränder ihrer Brille schaut sie ihn liebevoll an. 1975 hat das Paar geheiratet. Da kannten sich beide schon eine halbe Ewigkeit, sie wurden zusammen konfirmiert. Elke hat beruflich zurückgesteckt. Die gelernte Arzthelferin kümmerte sich um die Erziehung der drei Kinder. Erst spät steigt sie stundenweise wieder in den Beruf ein. "Sie hat mir den Rücken freigehalten", sagt Klein. "Ich konnte mich immer weiterbilden."
Er steigt auf, wird Leiter der Lenkungsstelle, die den innerbetrieblichen Transport organisiert. Das unterscheidet ihn vom Eckrentner, der 45 Jahre stets den Durchschnittslohn verdient. Jetzt sitzen die beiden auf der Gartenbank nebeneinander. Klein legt den Arm um seine Frau. Sein Blick schweift über die Tomaten- und Paprikapflanzen, die Zucchini und Zwiebeln im Gemüsebeet. Der Rasen ist englisch gepflegt.
Peter Klein lehnt sich in seiner Oase zurück. Hier, auf der Schönau, will er alt werden. Seine weichen, gutmütigen Gesichtszüge und der Schnauzbart lassen ihn jünger wirken. Der 63-Jährige ist längst angekommen im Ruhestand. Mit 57 Jahren beantragt er den Vorruhestand. Drei Jahre lang erhält er 85 Prozent seines Gehalts. Seit 2013 konnte er mit dem angesammelten Geld zuhause bleiben. Es gibt neue Aufgaben. Kurz nach seinem Ausstieg erleidet seine Frau einen Bandscheibenvorfall. Er übernimmt die Wäsche und kocht, erzählt Elke Klein. Er sagt nur: "Ich will jetzt für die Familie da sein." Das fünfte Enkelkind ist unterwegs.
Immer etwas zurückgelegt
Keine Weltreisen, kein Abenteuerleben, kein zweites Auto. Sie haben immer ein bisschen was zurückgelegt, "für den Notfall", und ein paar Renovierungen am Haus. "Man muss seine Schäfchen zusammenhalten. Viele lügen sich in die Tasche, leben über ihre Verhältnisse." Erst beim Abgleichen des Rentenbescheids entdecken sie, dass Klein seit 1970 eine kleine Lebensversicherung über 50 D-Mark pro Jahr angespart hatte. Rund 2000 D-Mark werden ausgezahlt. Sie schmunzeln. "Unsere Generation hat sich lange nicht wirklich Gedanken machen müssen über die Rente."
Bei ihren Kinder und Enkeln pochen sie auf die Vorsorge, unterstützen die Kinder so gut sie können. Der älteste Sohn ist dem Vater gefolgt, arbeitet ebenfalls bei der SCA. Die Tochter ist Arzthelferin. Der Jüngste war Schreiner, macht gerade eine Umschulung zum Sozialpädagogen. "Die heutige Arbeitswelt ist viel schnelllebiger, sie verzeiht keine Schwächen." Ob die Kleins glücklich sind? Ihre Blicke treffen sich. Sie sind sich einig. "Alles ist gut gelaufen, sehr gut sogar."
Renten-ABC, Teil 1
Abschlagsfreie Rente
Seit 1. Juli 2014 können langjährig Versicherte, die mindestens 45 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert waren, schon ab 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen. Ab Jahrgang 1953 steigt diese Altersgrenze wieder schrittweise an. Für alle 1964 oder später Geborene liegt sie wieder wie bislang bei 65 Jahren.
Beitragsbemessungsgrenze
Die Beitragsbemessungsgrenze ist der Höchstbetrag, bis zu dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bei der Berechnung des Rentenversicherungsbeitrags berücksichtigt wird. Für darüber hinausgehendes Einkommen müssen keine Beiträge gezahlt werden.
Clearingstelle
Die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung prüft, ob jemand als abhängig Beschäftigter oder als Selbstständiger anzusehen ist. Die Prüfung erfolgt auf Antrag der Betroffenen (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Auftraggeber, Auftragnehmer).
Durchschnittsentgelt
Das Durchschnittsentgelt ist das mittlere Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten. Es wird jedes Jahr neu festgelegt und bildet die Grundlage für die Ermittlung der Entgeltpunkte, die bei der Berechnung der Rente in die Rentenformel einfließen. Es ergibt sich genau ein Entgeltpunkt, wenn das persönliche Jahresentgelt dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten entspricht. Liegt das Einkommen über dem Durchschnitt, bekommt der Zahler einen Rentenpunkt, der größer als eins ist, gutgeschrieben. Liegt das Einkommen dagegen darunter, ist der Entgeltpunkt kleiner als eins.
Erwerbsminderung
Erwerbsgemindert ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung nur eingeschränkt arbeiten kann. Voll erwerbsgemindert sind Personen, die aus gesundheitlichen Gründen weniger als drei Stunden am Tag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten können. Teilweise erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründen mehr als drei, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeiten kann.
Freibetrag
Der Rentenfreibetrag ist der Teil der Rente, der nicht zu versteuern ist. Er richtet sich nach dem Jahr des Rentenbeginns und wird immer aus der vollen Jahresbruttorente ermittelt. Seit 2005 steigt der steuerpflichtige Teil für Neurentner Jahr für Jahr um zwei Prozentpunkte. Bei einem Rentenbeginn im Jahr 2020 liegt er bei 80 Prozent der Jahresbruttorente.
Grundsicherung
Die bedarfsorientierte Grundsicherung ist eine finanzielle Unterstützung für Personen, deren Einkünfte und Vermögen nicht für den notwendigen Lebensunterhalt ausreichen. Die Grundsicherung wird auf Antrag von den Grundsicherungsämtern gegebenenfalls zusätzlich zu einer Altersrente oder einer Rente wegen Erwerbsminderung gezahlt.
Hinzuverdienstgrenze
Die Hinzuverdienstgrenze ist der Eurobetrag, den ein Rentner höchstens zusätzlich zur Rente verdienen darf, ohne dass die Rente gekürzt wird beziehungsweise wegfällt. Hinzuverdienstgrenzen sind bei vorgezogenen Altersrenten und bei Renten wegen Erwerbsminderung zu beachten. Nach Erreichen der Regelaltersgrenze dürfen Rentner unbegrenzt hinzuverdienen.
Information
Die Deutsche Rentenversicherung verschickt die Renteninformation über erworbene Rentenansprüche und eine Hochrechnung über die Höhe der voraussichtlichen Altersrente automatisch an alle Versicherten, die mindestens 27 Jahre alt sind. Außerdem müssen bereits fünf Jahre mit Beitragszeiten im Konto gespeichert sein, da dies die Grundvoraussetzung für eine Rente ist.
Jahresmeldung
Mit der Jahresmeldung meldet der Arbeitgeber der Krankenkasse als zuständige Einzugsstelle unter anderem die Entgelthöhen und Beschäftigungszeiten seiner Beschäftigten für das zurückliegende Kalenderjahr.
Kapitaldeckungsverfahren
Das Kapitaldeckungsverfahren ist eine Finanzierungsform der privaten und betrieblichen Altersvorsorge: Die eingezahlten Beträge werden angespart, möglichst gewinnbringend angelegt und später mit den Erträgen aus der Kapitalbildung an den Rentner ausgezahlt. Die gesetzliche Rentenversicherung wird dagegen im Umlageverfahren finanziert.
Renten-ABC, Teil 2
Leistung
Als Leistung werden alle Geldzahlungen oder sonstigen Unterstützungen der Sozialversicherung bezeichnet. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung sind das vor allem Renten und Rehabilitationen.
Mindestrente
Eine Mindestrente gibt es in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht. Die Höhe der Rente richtet sich nach dem individuellen Versicherungsverlauf. Es gibt jedoch Mindestentgeltpunkte für Versicherte mit niedrigen Pflichtbeiträgen.
Nachhaltigkeitsfaktor
Der Nachhaltigkeitsfaktor ist eine der Zahlen, die bei der jährlichen Rentenanpassung in die Rentenanpassungsformel eingesetzt wird und mitbestimmt, wie sich die Renten verändern. Mit diesem Faktor wird berücksichtigt, wie sich das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern entwickelt.
Osten
Während der Rentenartfaktor und der Zugangsfaktor in ganz Deutschland einheitlich festgelegt sind, werden die Entgeltpunkte und der Rentenwert im Osten und Westen Deutschlands separat bestimmt.
Pension
Die Pension ist eine gesonderte Altersversorgung, die in Deutschland an Beamte, Richter und Berufssoldaten sowie Pfarrer, Kirchenbeamte und andere Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, geleistet wird. Pensionäre haben Anspruch auf eine Mindestversorgung, welche Beamte so absichern soll, dass die gewünschte unabhängige Amtsführung durch Beamte jederzeit gewährleistet bleibt.
Rentenformel
Die monatliche Rentenhöhe setzt sich zusammen aus: Entgeltpunkte mal Zugangsfaktor mal Aktueller Rentenwert (wird der wirtschaftlichen Situation angepasst, ab 1. Juli beträgt er 30,45 Euro für Westdeutschland, 28,66 Euro für Ostdeutschland) mal Rentenartfaktor (richtet sich nach der Art der Rente: Altersrenten, Renten wegen voller Erwerbsminderung und Erziehungsrenten haben den Wert 1,0. Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung 0,5, Vollwaisenrenten 0,2 und Halbwaisenrenten 0,1. Bei Witwenrenten ist der Faktor 0,55 oder 0,6).
Sterbevierteljahr
Das Sterbevierteljahr ist die Zeit bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach dem Monat, in dem der Versicherte gestorben ist. Für diese Zeit wird die Witwenrente mit dem Rentenartfaktor 1,0 berechnet - Ehepartner beziehungsweise eingetragene Lebenspartner erhalten in dieser Zeit also eine Witwen- oder Witwerrente in Höhe der vollen Rente.
Teilrente
Mit der Teilrente soll der Übergang in den Ruhestand erleichtert werden. Versicherte können bei einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze mehr hinzuverdienen, wenn sie eine der Teilrenten statt der Vollrente wählen. Je weniger Rente sie beanspruchen, desto mehr können sie hinzuverdienen.
Umlageverfahren
Durch das Umlageverfahren wird die gesetzliche Rentenversicherung finanziert: Die aktuellen Einnahmen (Beiträge und Bundeszuschuss) decken die laufenden Rentenzahlungen. Dafür erwerben die Beitragszahler den Anspruch, später selbst eine Rente zu erhalten, die dann von der nachkommenden Generation finanziert wird (Generationenvertrag).
Versorgungsausgleich
Durch den Versorgungsausgleich werden die Renten- und Versorgungsansprüche, die die Partner während der Ehe beziehungsweise Lebenspartnerschaft erworben haben, im Fall einer Scheidung oder Auflösung der Lebenspartnerschaft gleichmäßig verteilt.
Waisenrente
Nach dem Tod des Versicherten können seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres - in bestimmten Fällen auch bis zum vollendeten 27. Lebensjahr - eine Waisenrente erhalten.
Zugangsfaktor
Mit dem Zugangsfaktor wird berücksichtigt, ob das gesetzlich festgelegte Rentenalter bei Rentenbeginn erreicht, über- oder unterschritten ist.
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